Winterschlacht 1941/42Moskau 1941 – Als die Wehrmacht den Nimbus der Unbesiegbarkeit verliert
Im Herbst 1941 stößt die deutsche Heeresgruppe Mitte auf die sowjetische Hauptstadt Moskau vor. Bei Wjasma und Brjansk erringen ihre Divisionen noch einmal einen gewaltigen Sieg. Doch dann bleibt die Offensive zunächst im herbstlichen Schlamm und später im russischen Winter stecken. Am 5. Dezember 1941 geht die Rote Armee vor den Toren Moskaus zur Gegenoffensive über. Sie setzt dem Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht ein blutiges Ende.
Am 30. November 1941 geht ein Schreckensruf durch die sowjetische Hauptstadt Moskau: "Die Deutschen stehen vor Chimki!" Es ist ein Erkundungstrupp des Wittenberger Pionier-Bataillons 62, einer Vorausabteilung der Panzergruppe 4, der am Mittag dieses Tages auf Krafträdern in die Kleinstadt nordwestlich von Moskau hineinprescht. Lange bleiben die Panzer-Pioniere nicht in der Hafenstadt am Moskwa-Wolga-Kanal. Kurz nach ihrem Erscheinen machen sie kehrt und verschwinden wieder. Dass sie jene deutschen Soldaten sind, die Moskau in diesem Krieg am nächsten kommen, ahnen sie nicht.
Knapp 24 Kilometer bis zum Kreml
Von Chimki sind es nur acht Kilometer bis zum Moskauer Stadtrand und knapp 24 Kilometer bis zum Kreml. Ein Katzensprung, gemessen an den weit über tausend Kilometern, welche die Soldaten der Wehrmacht seit dem Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zurückgelegt haben. Bereits Ende Juli haben die Panzergruppen und Armeen der Heeresgruppe Mitte - des kampfstärksten der drei höchsten Großverbände des deutschen Ostheeres - nahe dem westrussischen Smolensk die erste Verteidigungslinie vor Moskau durchstoßen. Keine 400 Kilometer liegen zwischen den Wehrmachtsoldaten und der sowjetischen Hauptstadt.
Hitler gibt Ukraine den Vorrang
Der Generalstabschef des Heers, Generaloberst Franz Halder, will die vor Moskau konzentrierte Masse der Roten Armee großräumig umfassen und in einer feldzugentscheidenden "letzten Schlacht" vernichten. Doch der Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Adolf Hitler, entscheidet am 21. August, dass zunächst nicht die sowjetische Hauptstadt, sondern die Ukraine mit dem "Industrie- und Kohlerevier am Donez" das Hauptziel der deutschen Operationen sein soll. Die Panzergruppe 2 der Heeresgruppe Mitte dreht daraufhin nach Süden ab. In einer großen Kesselschlacht östlich von Kiew nehmen ihre elf schnellen Divisionen an der Zerschlagung eines Großteils der sowjetischen Südwestfront teil.
Operation "Taifun" bricht los
Erst nach dem Abschluss der Ukraine-Operationen wird der Heeresgruppe Mitte am 30. September der finale Angriff auf Moskau befohlen. 78 Divisionen mit knapp zwei Millionen Soldaten bietet das Oberkommando des Heeres (OKH) für die Operation "Taifun" noch einmal auf. Doch die angetretenen Truppen sind mit denen des 22. Juni 1941 nicht mehr zu vergleichen. Vor allem die Panzerverbände, die kurz zuvor noch in der Ukraine gekämpft haben, sind verschlissen. Die Hälfte von ihnen verfügt nur noch über ein Drittel ihrer ursprünglichen Panzer. Auch 20 Prozent der Kraftfahrzeuge fehlen.
Doppelsieg bei Wjasma und Brjansk
Ungeachtet dieser Defizite erringen die Panzergruppen und Armeen der Heeresgruppe Mitte noch einmal einen gewaltigen Sieg. In der Doppelschlacht von Wjasma und Brjansk schließen sie bis zum 6. Oktober neun sowjetische Armeen mit 80 bis 90 Divisionen ein. 663.000 Rotarmisten gehen in deutsche Gefangenschaft. Über 1.200 sowjetische Panzer und 5.400 Geschütze werden zerstört oder erbeutet. Reichspressechef Otto Dietrich verkündet vollmundig, dass der "Russlandfeldzug" nunmehr entschieden sei.
Schukow kann Vorstoß nicht stoppen
Tatsächlich löst sich mit dem deutschen Doppelerfolg 300 bis 400 Kilometer vor Moskau ein Großteil der äußeren Vorfeld-Verteidigung der sowjetischen Hauptstadt auf. Dem neu ernannten Oberbefehlshaber der sowjetischen Westfront, Armeegeneral Georgi Schukow, gelingt es zwar, die Verteidigung Moskaus neu zu organisieren. Doch auch seine sechs Armeen mit ihren 71 Divisionen und elf Panzerbrigaden können den Weitermarsch der Wehrmachtverbände zunächst nicht stoppen. Am 12. Oktober erreichen die deutschen Panzerspitzen Kaluga, 160 Kilometer südwestlich von Moskau. Einen Tag später zieht eine Vorausabteilung der aus Weimar stammenden 1. Panzerdivision im 150 Kilometer nordwestlich von Moskau gelegenen Kalinin ein.
Zweite Verteidigungslinie wackelt
Damit haben die deutschen Angreifer die beiden Eckpfeiler der zweiten Verteidigungslinie vor Moskau ausgehebelt. Das Zentrum dieser Linie bildet Moschaisk - 110 Kilometer vor der sowjetischen Hauptstadt. Vor den Toren der westrussischen Stadt, auf dem historischen Schlachtfeld von Borodino 1812, entspinnt sich am 14. Oktober ein mehrtägiger, äußerst brutaler Kampf.
Erstmals setzt die sowjetische Seite frische Elitetruppen aus Sibirien ein. Sie sind kurz zuvor aus dem Fernen Osten herangeführt worden, nachdem der für die Sowjets in Tokio tätige deutsche Agent Dr. Richard Sorge gemeldet hat, dass Japan keinen Angriff auf die Sowjetunion plant.
Durchbruch bei Borodino und Moschaisk
Doch auch die mit großer Todesverachtung kämpfenden Sibirer und die erstmals in geschlossenen Verbänden eigesetzten T-34-Panzer, die allen deutschen Panzertypen weit überlegen sind, können nicht verhindern, dass die SS-Division "Das Reich" und die 10. Panzerdivision das Schlachtfeld von Borodino behaupten.
Am 18. Oktober marschieren die deutschen Truppen in Moschaisk ein. Das Ereignis löst in Moskau eine Massenpanik aus, die nur unter Anwendung des Standrechts unterdrückt werden kann. Trotzdem werden die Partei- und Staatsorgane in das 860 Kilometer östlich von Moskau liegende Kujbyschew (heute Samara) evakuiert. Der sowjetische "Führer" und Oberste Befehlshaber Josef Stalin bleibt jedoch mit seinem Hauptquartier in der Stadt. Eine halbe Million Moskauer legen vor den Toren der Hauptstadt eine dreigliedrige Befestigungslinie an.
Angriff bleibt im Schlamm stecken
Trotz der Mitte Oktober einsetzenden herbstlichen Schlammzeit, der "Rasputiza", wühlen sich die abgekämpften deutschen Verbände noch bis auf 60 Kilometer an Moskau heran. Doch Ende Oktober bleibt der Vormarsch endgültig im Schlamm stecken. Auch der Nachschub für die kämpfende Truppe kommt weitgehend zum Erliegen. Einzig Pferdegespanne sind noch einigermaßen verlässliche Transportmittel. Auch die viel zu schmalen Ketten der deutschen Panzer sind dem grundlosen Morast nicht gewachsen.
Bis vor die Tore Moskaus
Erst als Mitte November der Frost einsetzt, rollt der deutsche Vormarsch wieder. Am 26. November nehmen die Divisionen der Panzergruppe 4 das 35 Kilometer vor Moskau gelegene Istra ein. Vier Tage später kommt der Angriff zweier deutscher Panzerkorps bei Krasnaja Poljana, 18 Kilometer vor Moskau, bei minus 35 Grad Celsius zum Stehen. Am selben Tag erreicht der eingangs erwähnte Erkundungstrupp des Wittenberger Pionier-Bataillons 62 kurzzeitig das acht Kilometer vor der sowjetischen Hauptstadt gelegene Chimki.
Weiter geht es aber nicht mehr. Die deutschen Truppen sind nach monatelangen, verlustreichen Kämpfen vollends erschöpft.
Keine ausreichende Winterausrüstung
Winterausrüstung gibt es für die Wehrmachtsoldaten auch nicht. In ihren engen Stiefeln mit Nagelsohlen erfrieren den Soldaten die Füße. Waffen und Motoren frieren ein. Die Panzer, die über keine Heizung verfügen, verwandeln sich in eisige Särge. Die Ausfälle durch Erfrierung und Erschöpfung lassen die ohnehin sehr hohen Verlustzahlen des deutschen Ostheeres weiter hochschnellen. Bereits Ende Oktober liegen die Gesamtverluste an der Ostfront bei fast 665.000. Im November kommen noch einmal rund 48.000 Tote, Schwerverwundete, Gefangene und Vermisste hinzu. Fast 46.000 davon entfallen allein auf die vor Moskau kämpfende Heeresgruppe Mitte.
Körperlich und technisch ausgebrannt
Aber nicht nur körperlich, auch technisch sind die deutschen Angriffsverbände ausgebrannt. So verfügt die Panzergruppe 2, die als eine der beiden Panzergruppen der Heeresgruppe Mitte am 22. Juni 1941 mit 1.000 Panzern in die Sowjetunion eingefallen war, Mitte November 1941 noch über 150 Fahrzeuge. Die 18. Panzerdivision aus Chemnitz, die am 22. Juni mit 200 Panzern über den Bug gerollt war, hat am 9. November nur noch 14 Panzer. Zehn Tage später sind auch die verloren - wegen Treibstoffmangels. Statt ursprünglich fast 17.600 Mann zählt die 18. Panzerdivision Ende Oktober keine 9.600 und Anfang Dezember 1941 keine 2.000 Kämpfer mehr.
Sowjetische Gegenoffensive ab 5. Dezember
Hitler und die Heeresführung versuchen, die deutschen Armeen und Panzergruppen vor Moskau weiter zur letzten entscheidenden "Vernichtungsschlacht" zu treiben. Doch nichts geht mehr bei den Deutschen. Stattdessen startet die Rote Armee am 5. Dezember ihre lange geplante große Gegenoffensive vor Moskau. Der deutschen Feindaufklärung ist der sowjetische Aufmarsch komplett entgangen. Man wähnt den Gegner noch mehr am Ende, als man es selbst ist. Den nun angreifenden 106 sowjetischen Großverbänden haben die ausgemergelten Wehrmachteinheiten nichts mehr entgegenzusetzen. Vor allem gegen die 21 frischen und im Winterkampf trainierten Divisionen aus Sibirien haben die schlecht versorgten und frierenden deutschen Soldaten kaum eine Chance.
Bis zu 300 Kilometer zurückgeworfen
Bei eisigen Temperaturen werden die Reste der Wehrmachtverbände bis Anfang Januar 1942 zwischen 150 und 300 Kilometer nach Westen zurückgeworfen. Rund 170.000 Soldaten verliert das deutsche Ostheer noch einmal in den Monaten Dezember bis Januar. Zeitweise droht sogar ein Zusammenbruch der gesamten deutschen Ostfront. Dass es nicht dazu kommt, liegt auch an den Fehlern der sowjetischen Führung, die ihre überlegenen Kräfte immer wieder verzettelt. Ende Januar können die Deutschen an einigen Frontabschnitten sogar größere Abwehrerfolge erzielen.
Die ganz große Katastrophe ist Hitler und seinen Generalen noch einmal erspart geblieben. Doch der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht ist mit der verlorenen Schlacht um Moskau endgültig gebrochen.
Literaturhinweise
- Hartmann, Christian: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941-1945, München 2011.
- Bartov, Omer: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und Brutalisierung des Krieges, Hamburg 1999.
- Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 4. Der Angriff auf die Sowjetunion. Von Horst Boog, Jürgen Förster, Joachim Hoffmann, Ernst Klink, Rolf-Dieter Müller, Gerd R. Ueberschär. Hrsg. Vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1983.