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SpielsuchtGlücksspiel: Lücken bei Suchtberatungen und Therapieangeboten in Mitteldeutschland

07. April 2023, 10:16 Uhr

Wer glücksspielsüchtig wird, bekommt in Mitteldeutschland zu wenig Hilfe. Es fehlen spezialisierte Beratungsstellen, qualifizierte Suchtberater und Therapieplätze. Die Ausgaben der Länder für die Angebote sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen oder sogar gesunken – trotz der Legalisierung des Online-Glücksspiels.

Bei der Beratung und Therapie von Glücksspielsüchtigen bestehen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Versorgungslücken. Daniel Krause, Pädagoge in der Schwerpunktberatungsstelle Pathologisches Glücksspiel der Magdeburger Stadtmission, sagt dem MDR: "Es besteht dringender Handlungsbedarf. Es kommt vor, dass Klienten keine Langzeittherapien antreten, weil wir entsprechende Angebote nicht zeitnah und nicht in der Nähe anbieten können."

Spezialisierte Therapieangebote seien in Sachsen-Anhalt weder im klinischen noch im ambulanten Bereich vorhanden, berichtet Krause. Die Beratungsstelle in Magdeburg sei zudem bislang die einzige mit dem Schwerpunkt Glücksspiel im Land. Betroffene müssten für Beratungen und Therapien regelmäßig in andere Bundesländer vermittelt werden.

Die Leiterin der Landesstelle für Suchtfragen in Sachsen-Anhalt, Helga Meeßen-Hühne, bestätigt diese Einschätzung. Die personelle Ausstattung der Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt bewege sich "im Bundesvergleich am unteren Ende". Bei Prävention und -beratung zu Glücksspielsucht sei "bis zu einer halbwegs bedarfsgerechten Ausstattung sicher noch ein Weg zu gehen". Die Landesstelle für Suchtfragen ist eine Koordinierungsstelle, in der die in diesem Bereich tätigen Wohlfahrtsverbände zusammenarbeiten.

Sachsen-Anhalt: Ausbau des Beratungsangebots stockt

Sowohl Suchtberater Krause als auch Fachstellenleiterin Meeßen-Hühne verweisen darauf, dass ein Ausbau des Beratungsangebots in Planung sei. Noch in diesem Jahr sollen demnach eine Landeskoordinierungsstelle und weitere vier Schwerpunktberatungsstellen für das Thema Glücksspiel ihre Arbeit aufnehmen. Der Prozess dauere aber bereits Jahre an.

Eine Nachfrage des MDR beim Finanzministerium in Magdeburg ergab, dass verfügbare Haushaltsmittel für die Bekämpfung der Glücksspielsucht bislang nicht ausgeschöpft werden. Demnach standen vergangenes Jahr 530.000 Euro bereit. Nach vorläufigem Stand wurden aber nur rund 78.000 Euro ausgegeben. Mindestens seit 2020 liegen die Ausgaben auf diesem Niveau. Aus dem Ministerium hieß es, dass an einer neuen Förderrichtlinie gearbeitet werde, "die dem jetzigen Finanzvolumen Rechnung trägt." Woran die Ausschüttung der Mittel bisher konkret scheiterte, war nicht zu erfahren.

Sachsen: Ausgaben für Prävention und Suchthilfe gesunken

Auch in Sachsen sieht die Landesstelle gegen Suchtgefahren Defizite im Beratungsbereich. Der Leiter der Landesstelle, Olaf Rilke, sagt: "Wir müssen aus unserer Sicht die Hilfsangebote ausbauen, zusätzliches Personal einstellen und Mitarbeiter qualifizieren. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man einerseits im Glücksspielstaatsvertrag von zusätzlicher Prävention spricht, das dann aber nicht mit Zahlen unterlegt."

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Mit dem Glücksspielstaatsvertrag, von den 16 Bundesländern geschlossen, wurde zum Juli 2021 der Online-Glücksspielmarkt liberalisiert. Virtuelle Automatenspiele und Online-Poker wurden legalisiert. Seitdem erzielen die Länder erhebliche zusätzliche Steuereinnahmen.

Stichwort: GlücksspielstaatsvertragDer Glücksspielstaatsvertrag der 16 Bundesländer trat zum 1. Juli 2021 in Kraft. Er schuf bundeseinheitliche Regelungen für den Online-Glückspielmarkt. Online-Poker und virtuelle Automatenspiele wurden legalisiert. Ziel ist laut Vertrag, den Schwarzmarkt entgegenzuwirken und den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten.

Anbietern von Online-Glücksspielen und Sportwetten müssen seitdem über eine Lizenz verfügen, die an Auflagen gebunden ist. Sie müssen etwa Software einsetzen, die erkennen kann, welche Spieler süchtig nach Glücksspielen werden. Es gilt ein anbieterübergreifendes monatliches Spiellimit von 1.000 Euro. Spieler können sich ebenfalls anbieterübergreifend selbst sperren lassen.

Über die Einhaltung des Vertrages wacht die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder in Halle in Sachsen-Anhalt. Sie nahm zum 1. Januar 2023 vollumfänglich den Betrieb auf.

Festgelegt wurde darüber hinaus, dass auf die Einsätze bei Glücksspielen in Online-Casinos ein Steuersatz von 5,3 Prozent erhoben wird – ebenso hoch ist der Steuersatz bei Sportwetten.

Der Beratungsbedarf nehme durch die Legalisierung nach und nach zu, sagt Fachstellenleiter Rilke: "Wir fordern daher die Einrichtung von Schwerpunktberatungsstellen und eine zusätzliche Koordinierungsstelle, wie es auch in anderen Bundesländern gemacht wurde." Es gehe um insgesamt 13 zusätzliche Personalstellen. Insgesamt arbeiten in den an die Landesstelle angeschlossenen Einrichtungen bislang 200 Suchtberater.

Die Ausgaben für Suchtberatung und -prävention stagnieren in Sachsen. Für den gesamten Bereich der Suchtvorbeugung und Suchthilfe – also auch für die Bereiche Drogen, Alkohol oder Medienabhängigkeit – sind 2023 nach Angaben des Sozialministeriums in Dresden rund acht Millionen Euro eingeplant. Im Vergleich zu 2019 ist der Etat damit leicht um rund 160.000 Euro gesunken.

Thüringen: Dringender Forschungsbedarf

In Thüringen sieht die dortige Fachstelle Glückspielsucht die finanzielle Ausstattung als "gesichert" an. Doch auch in Erfurt bestehen mit Blick auf die Legalisierung des Online-Glücksspiels Sorgen. "Die Liberalisierung des Glückspielmarktes mit dem Glücksspielstaatsvertrag von 2021 sollte hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen evaluiert werden", teilt die Fachstelle mit. Es bestehe "kurzfristiger Forschungsbedarf, der von den Ländern finanziert werden muss". Zudem sollte die Prävention im Bereich des Online-Glücksspiels intensiviert werden, was die "Bereitstellung von finanziellen Ressourcen" erfordere.

In Thüringen sind die finanziellen Mittel für Suchtprävention und -hilfe in den vergangenen Jahren indes kaum gestiegen. Nach Angaben des Sozialministeriums sind dieses Jahr für die Fachstelle Glückspielsucht und die Fachstelle Suchtprävention insgesamt rund 527.000 Euro eingeplant. Das sind lediglich etwa 5.000 Euro mehr als 2020, dem Jahr vor der Legalisierung des Online-Glücksspiels.

Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL), die im Zuge der Glücksspiel-Liberalisierung in Halle angesiedelt wurde, verfügt ebenfalls nicht über ein Budget für Prävention und Forschung. Wie die GGL auf Anfrage mitteilte, stehen für diese Zwecke ab 2023 jeweils 500.000 Euro zur Verfügung. Demgegenüber haben die Länder vergangenes Jahr allein mit virtuellen Automatenspielen Steuern von mehr als 428 Millionen Euro eingenommen.

Einen ersten wissenschaftlichen Bericht zu den Auswirkungen der Legalisierung soll es nach Angaben der GGL Ende 2026 geben.

Hilfe bei Glücksspiel-SuchtWenn Sie selbst Probleme mit dem Spielen haben oder sich Sorgen um eine angehörige Person machen, wenden Sie sich an das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das Beratungsteam ist unter der Rufnummer 0800 1 37 27 00 kostenfrei und anonym erreichbar.
Sprechzeiten: Montags bis donnerstags 10 bis 22 Uhr und freitags bis sonntags 10 bis 18 Uhr an 363 Tagen im Jahr (ausgenommen der 24.12. und der 31.12.).

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 07. April 2023 | 19:00 Uhr

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