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Konzert in Halle nach Anschlag#HalleZusammen: Zusammenhalt statt Angst

19. Oktober 2019, 21:20 Uhr

Der Anschlag auf die jüdische Gemeinde und der Tod zweier Menschen waren für Halle ein Schock. Aber jetzt ist Mut gefragt. Ein persönlicher Blick auf die Tage nach dem Anschlag und das Konzert #HalleZusammen.

von Maria Hendrischke, MDR SACHSEN-ANHALT

Ein Zeichen setzen und zusammenhalten: Knapp 15.000 Menschen haben am Samstag das Solidaritätskonzert #HalleZusammen besucht. Bildrechte: MDR/Frank Nowak

Als die ersten Eil-Nachrichten nationaler und internationaler Medien über Halle auf meinem Handy aufblinkten, war ich nicht zu Hause. Ich war mehr als 9.000 Kilometer Luftlinie von meinem Wohnort entfernt – letzter Tag meines Jahresurlaubs in Japan. Aber als ich "Schüsse in Halle" und "zwei Tote" las, war ich in Gedanken sofort zu Hause. Ich wohne nicht weit von der Synagoge entfernt. Vermutlich hätte ich die Schüsse hören können.

Nach den Push-Meldungen der Nachrichten-Apps kamen die Whatsapp-Nachrichten von Freunden. "Hast du es mitgekriegt? Bist du schon wieder in Halle?" Nein, noch nicht, alles gut. Also, naja: nicht wirklich.  

Ein Zeichen setzen

Erst am Samstagnachmittag nach dem Attentat bin ich zum ersten Mal wieder in Halle. Am Hauptbahnhof, auf dem Marktplatz, in der Großen Ulli: eigentlich alles wie immer. Eigentlich ist es nach wie vor unvorstellbar, dass in einer Stadt wie Halle auf offener Straße Menschen erschossen werden. Eigentlich ist es leicht, den Vorfall zu verdrängen, weil die idyllische Altstadt selbst mich nie daran erinnern würde.

Aber in der Nähe des August-Bebel-Platzes kommt mir eine Studentengruppe mit Rosen in den Händen entgegen. Ein paar Schritte weiter gehe ich an einem Laden vorbei, vor dem ein ganzer Eimer mit Rosen steht. Man kann sie kostenlos mitnehmen. Daneben ein Zettel: Wir sollten alle ein Zeichen setzen. Es ist nur ein kleiner, unscheinbarer Hinweis. Doch ich realisiere in dem Moment wohl zum ersten Mal: Das ist wirklich passiert. Ein antisemitischer Anschlag. Ausgerechnet in Deutschland. In Halle. Und es ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Miteinander reden

Vor meinem Haus treffe ich zufällig meine Vermieterin. Wir sprechen kurz über meinen Urlaub, dann spreche ich über Halle. Sie sagt, sie sei in der Humboldtstraße aufgewachsen und kenne jede Ecke um den Tatort. Das mache die Tat noch erschreckender. Auch in den kommenden Tagen habe ich den Eindruck, dass die Menschen in Halle über den Anschlag reden wollen, reden müssen. Auch zum Benefizkonzert #HalleZusammen knapp anderthalb Wochen später kommen die Menschen überwiegend als Paar oder in Gruppen. Und sie reden miteinander.

Für mich haben der rechtsextreme Anschlag in Halle und der islamistische Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 viele Parallelen. 2016 wohnte ich in Berlin, war am 19. Dezember aber noch auf der Rückfahrt aus einem Urlaub. Auch damals: Push-Meldungen nationaler und internationaler Medien, viele Whatsapp-Nachrichten, darunter einige sehr besorgte, weil mein Handy eine Zeit lang aus war und ich erst Stunden später antwortete. Ich auch damals: Nein, ich bin nicht zu Hause, alles gut. Also, naja: nicht wirklich. 

Trauer verarbeiten

Wie in Halle an diesem Samstag gab es wenige Tage nach dem Anschlag in Berlin ebenfalls ein Konzert, am Brandenburger Tor. Übrigens auch mit Max Giesinger. Bei dem Berliner Konzert war ich nicht. Das lag vor allem am Datum, 23. Dezember. So kurz vor Weihnachten bin ich zu meinen Eltern gefahren.

Aber ich war am Abend davor am Breitscheidplatz, an der Gedenkstelle mit dem Kerzenmeer. Zusammen mit Freunden – darunter auch Muslime. Und danach für eine heiße Schokolade auf einem Weihnachtsmarkt. Ich denke, für mich war dieser Abend damals entscheidend, um das Ereignis zu verarbeiten. Für manchen in Halle wird der Konzertbesuch am Samstag vermutlich einen ähnlichen, positiven Effekt haben. Deswegen freue ich mich, dass die Musiker in Halle aufgetreten sind – und dass fast 15.000 Gäste gekommen sind. Denn Trauer ist wichtig. Und Freundschaft und Freude am Leben noch wichtiger.

Ich habe meine Masterarbeit über die Terrororganisation "Islamischer Staat" geschrieben. Was der Literatur zufolge Terroristen eint – und somit auch auf den Täter von Halle zutrifft: Sie wollen Angst schüren. So schrecklich ihre Taten sind: Es ist nicht ihr Hauptziel, Menschen zu ermorden. Oder Nachahmungstäter zu erreichen. Ihr oberstes Ziel ist es, mit ihren Taten die Überlebenden einzuschüchtern, Misstrauen zu säen und so Gemeinschaften zu schwächen.

Zusammenhalten

Soweit die Theorie. In der Praxis sagt auch der Sänger der Leipziger Band KLAN beim halleschen Konzert: "Wir dürfen jetzt keine Angst haben." Die anderen Künstler unterstreichen das. Sänger Joris erinnert außerdem daran, aufeinander aufzupassen, einander zuzuhören – und einzugreifen, wenn gegen eine Gruppe gehetzt wird, sei es offline oder online.

Diese Ansicht vertritt auch die jüdische Gemeinde in Halle, der der Anschlag am Feiertag Jom Kippur galt. Sie schreibt: "Der wahre Feind ist der Hass", vollkommen egal, gegen wen. Und eben die Angst, insbesondere vor den vermeintlich Fremden und Unbekannten, würde ich ergänzen. Darum: Trotzdem rausgehen, auch nach dem Benefizkonzert. Vielleicht ja zu den Jüdischen Kulturtagen Ende Oktober. Weiterleben. Ein bisschen nach dem Motto "Jetzt erst recht". Und zusammenhalten.

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über die AutorinMaria Hendrischke arbeitet seit Mai 2017 als Online-Redakteurin für MDR SACHSEN-ANHALT - in Halle und in Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Nachrichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts, Politik sowie Erklärstücke und Datenprojekte. Ihre erste Station in Sachsen-Anhalt war Magdeburg, wo sie ihren Journalistik-Bachelor machte. Darauf folgten Auslandssemester in Auckland und Lissabon sowie ein Masterstudium der Kommunikationsforschung mit Schwerpunkt Politik in Erfurt und Austin, Texas. Nach einem Volontariat in einer Online-Redaktion in Berlin ging es schließlich zurück nach Sachsen-Anhalt, dieses Mal aber in die Landeshauptstadt der Herzen – nach Halle. Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt sind die Klausberge an der Saale. Aber der Harz ist auch ein Traum, findet sie.

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Quelle: MDR/mh

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. Oktober 2019 | 19:00 Uhr

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