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Im Januar haben in Halle Tausende Menschen gegen Rechtsextremismus protestiert – unter ihnen auch die "Omas gegen Rechts". Bildrechte: Nele Störmer

Studierende schreiben für den MDRProtest gegen Rechts: Warum Menschen in Halle jetzt politisch aktiv werden

30. März 2024, 11:14 Uhr

Seit Januar protestieren bundesweit hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus. In Halle bemerken die "Omas gegen Rechts", dass das Interesse, bei politischen Bündnissen mitzumachen, gestiegen ist. Was die Menschen jetzt motiviert, sich zu engagieren, und was das Besondere am Protest in Ostdeutschland ist: Ein Gastbeitrag einer Studentin aus Halle.

von Nele Störmer, Studentin Multimedia und Autorschaft

Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.

Als Reaktion auf die Recherchen des Netzwerks "Correctiv" gehen seit Januar 2024 bundesweit hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Auch in Halle und anderen Großstädten in Ostdeutschland haben zahlreiche Menschen für Demokratie demonstriert. Sabine F. von den "Omas gegen Rechts" in Halle sagt: "Es war einfach nur beeindruckend. Mit so vielen Menschen habe ich überhaupt nicht gerechnet."

Doch nach allen Fakten, die bereits vorher über die AfD bekannt waren, lässt sich die Frage stellen, warum die Menschen genau jetzt die Notwendigkeit sehen, zu demonstrieren oder sich anderweitig politisch zu engagieren.

Interesse an Initiativen wie "Omas gegen Rechts" wächst

Als die Ortsgruppe "Omas gegen Rechts" 2019 in Halle entsteht, erscheint sie für Sabine F. wie ein Zeichen: "Da habe ich wirklich gedacht, man muss was machen gegen die. Also wehret den Anfängen! Immer wieder", betont sie im Gespräch. Sie und Sabine G. sind bereits seit einigen Jahren Mitglieder der Regionalgruppe. Aktuell bestehe sie aus circa 25 Mitgliedern. "Durch die Proteste sind jetzt einige Interessentinnen dazugekommen", erklärt Sabine G. Auch bundesweit sind laut den beiden Frauen mehrere Neugründungen zu verzeichnen. Zu den aktuellen Protesten meint Sabine G.: "Es ist einfach das Fass zum Überlaufen gekommen, dass so viele Leute jetzt auf die Straße gegangen sind."

Es ist einfach das Fass zum Überlaufen gekommen, dass so viele Leute jetzt auf die Straße gegangen sind.

Sabine G. | "Omas gegen Rechts" Halle

Mehr über die "Omas gegen Rechts"

Die "Omas gegen Rechts" sind nach eigenen Angaben eine zivilgesellschaftliche, überparteiliche Initiative, die sich 2018 in Deutschland als Reaktion auf die zuvor entstandene gleichnamige Initiative in Österreich gegründet hat. Auf der offiziellen Website der "Omas gegen Rechts" schreiben sie über ihren Grundsatz:

"Wir setzen uns ein für eine demokratische, rechtsstaatlich organisierte, freie Gesellschaft. Wir sind gegen faschistische Tendenzen, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzungen Behinderter, alter Menschen und Ausländern, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Sozialabbau, und wir wollen diesbezügliche Missstände in Politik und Gesellschaft mit geeigneten Methoden öffentlich machen."

Demonstrieren für mehr Selbstwirksamkeit und Zusammenhalt

Neben den "Omas gegen Rechts" waren bei der Großdemonstration im Januar in Halle laut Angaben der Polizei circa 16.000 Menschen auf der Straße. Einer von ihnen ist Christian H. Der Hallenser war erstmals seit den 90er Jahren wieder auf einer Demonstration, dieses Mal zusammen mit seiner fünfköpfigen Familie: "Ich finde, es wurde höchste Zeit. Ich nehme eine Radikalisierung wahr in dieser Gesellschaft. Keiner hört mehr zu, man redet eigentlich nicht miteinander, sondern man beschreit sich gegenseitig, warum der andere doof ist und warum man Recht hat." Zudem sehe er die Demokratie und "eine entspannte, vielfältige, friedliche Gesellschaft" in Gefahr. Er ergänzt: "Ich möchte das auch für meine Kinder, die sollen genauso gut leben können wie ich."

Ich möchte das auch für meine Kinder, die sollen genauso gut leben können wie ich.

Christian H. | Familienvater aus Halle

Das, was Christian H. im Interview beschreibt, deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, die Ende Januar vom Kölner Rheingold-Institut veröffentlicht wurde. Dort wurden die Beweggründe der Menschen, die aktuell in Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, untersucht. Dazu gehört demnach vor allem auch "ein lange vermisstes, gesellschaftliches Wir-Gefühl". Die Demonstrationen seien nun für viele Menschen ein Mittel, sich von den Ohnmachtsgefühlen zu befreien, die die Krisen der letzten Jahre ausgelöst haben. Dabei werde für die Demonstrierenden ein Gefühl des Miteinanders in Zeiten einer "auseinanderdriftenden" Gesellschaft gestärkt.

Krisen als Ursache für politische Partizipation

Sowohl die Studie als auch der Soziologe Tobias Jaeck aus Halle benennen die Anhäufung von Krisen in den letzten Jahren, wie die Corona-Pandemie, die Klimakrise und den Ukraine-Krieg als eine Ursache für eine vermehrte Protestaktivität. "Wir sprechen von einer sogenannten Poly-Krise mittlerweile", sagt Jaeck. Er vermutet, dass schon "Fridays for Future" der Anfang der größeren Protestwellen gewesen ist: "Das war so der Beginn, dass man merkt: Irgendwas funktioniert nicht. Es kann so nicht weitergehen."

Wir sprechen von einer sogenannten Poly-Krise mittlerweile.

Tobias Jaeck | Soziologe

Laut der Studie des Rheingold-Instituts sehen sich die Menschen einer aktiven Gefahr durch Kriege ausgesetzt und befürchten, dass die Demokratie gefährdet ist. Die Offenlegung der Correctiv-Recherche zu dem Treffen in Potsdam habe dann zusätzlich viele Menschen verunsichert.

Besondere Herausforderungen in Ostdeutschland

In Bezug auf Ostdeutschland betont Jaeck, dass sich das Potential für politische Partizipation im Vergleich zu Westdeutschland insgesamt kaum unterscheide. Allerdings hätten Bundesländer wie Sachsen-Anhalt andere Herausforderungen. So seien die Krisen der Vergangenheit, wie eine Entwertung der eigenen Lebensverhältnisse nach der Wende, kaum verarbeitet gewesen als bereits die nächsten Krisen folgten. In den letzten Jahren haben sich die krisenhaften Ereignisse dann summiert. "Das ist eine Situation, die es so eigentlich noch nicht gegeben hat", meint Jaeck.

Sabine G. nimmt bei den "Omas gegen Rechts" bundesweit vor allem Unterschiede in der Sozialisation wahr: "Da sind schon in den westlichen Teilen Deutschlands Frauen, die damals als Alt-68er auf die Straße gegangen sind und heute wieder auf die Straße gehen. Das ist bei uns in der Gruppe eben so nicht."

"Es braucht einen langen Atem, um etwas zu verändern"

Ob die Demonstrationen das Potential haben, tiefgreifende politische Veränderungen hervorzurufen, bleibt laut dem Soziologen Jaeck fraglich. Was die Demonstrationen jedoch bewirkten, sei eine Signalfunktion. Zudem sei der "Aufwärtshype bei der AfD erstmal zum Erliegen gekommen". Potentielle Veränderungen können laut Jaeck nicht sofort umgesetzt, aber weiterhin seitens der Politik unterstützt werden.

Von der Politik würde ich mir wünschen, dass sie das als Chance begreifen, dass die Mehrheit der Gesellschaft interessiert ist an Politik und die Grundrechte verteidigen will.

Christian H. | Familienvater aus Halle

Auch Sabine G. von den "Omas gegen Rechts" betont: "Es braucht einen langen Atem, um etwas zu verändern." Der Familienvater Christian H. meint: "Von der Politik würde ich mir wünschen, dass sie das als Chance begreifen, dass die Mehrheit der Gesellschaft interessiert ist an Politik und die Grundrechte verteidigen will. Und das sollte man doch aufgreifen und die Leute auch mitnehmen."

"Omas gegen Rechts" als starke Gemeinschaft

Ein Effekt, der sich schon jetzt abzeichnet, ist ein größeres gesellschaftliches und mediales Interesse an Initiativen wie den "Omas gegen Rechts". Diese bleiben beständig und werden infolge der Demonstrationen vielleicht sogar noch weiterwachsen. Sabine F. und Sabine G. schätzen den Austausch mit anderen "Omas". Durch die unterschiedlichen persönlichen Interessen und Kenntnisse würden sie voneinander lernen und profitieren. Zudem sei der Dialog mit jungen Menschen sehr bereichernd, auch wenn man nicht immer einer Meinung sei.

Im August soll der erste Bundeskongress der "Omas gegen Rechts" stattfinden. Bis dahin werden die beiden weiterhin bei den zahlreichen Aktionen teilnehmen und auch die Veranstaltungen von anderen Regionalgruppen und Vereinen besuchen, um sich weiter in Mitteldeutschland zu vernetzen. "Man kann auch im Alter noch was tun. Man muss nicht aus dem Fenster hängen und meckern", findet Sabine G.

Bildrechte: Arnold Barkau

Über die AutorinNele Störmer studiert seit 2023 Multimedia und Autorschaft an der Martin-Luther-Universität in Halle. Ihren Bachelor "Kultur- und Medienpädagogik" hat sie in Merseburg gemacht. Abgesehen von einem Auslandsaufenthalt in Frankreich, wo sie in einem Seniorenheim gearbeitet hat, wohnt sie schon lange im Raum Sachsen/Sachsen-Anhalt und interessiert sich für das lokale politische und kulturelle Geschehen. Sie sammelt gerne Geschichten von verschiedensten Menschen und ist interessiert an einem transgenerationalen Austausch. Im journalistischen Arbeiten recherchiert sie vor allem zu kulturwissenschaftlichen und sozialpolitischen Themen.

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