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"Die sollen sich an ihre gute Kinderstube erinnern"Was zwei Polen aus Sachsen-Anhalt über den polnischen Regierungswechsel denkenvon Alisa Sonntag, MDR SACHSEN-ANHALT

17. Dezember 2023, 08:20 Uhr

Nach acht Jahren nationalkonservativer PiS-Regierung steht in Polen ein Regierungswechsel an. Izabela Peter aus Magdeburg blickt voller Optimusmus auf die neue Regierung. Sie hofft auf einen Kulturwandel hin zu einem respektvolleren Umgang in der polnischen Gesellschaft. Der Magdeburger Krzysztof Blau wünscht sich mehr Demokratie – prophezeit der neuen Regierung aber auch einen schweren Weg.

Am Mittwoch ist der ehemalige EU-Politiker Donald Tusk als neuer polnischer Ministerpräsident vereidigt worden. Damit sind die Regierungstage für die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) in Polen vorbei. Bei der Parlamentswahl Mitte Oktober war die PiS zwar stärkste Kraft geworden, hatte aber keine Mehrheit im Parlament zusammenbekommen. Die Parlamentsmehrheit ging mit insgesamt 248 der 460 verfügbaren Plätze an ein Dreierbündnis aus liberalkonservativen bis linken Oppositionsparteien. Bis die neue Regierung jedoch tatsächlich vereidigt werden konnte, brauchte es ein gescheitertes Vertrauensvotum und zwei Monate.

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Polen und Polinnen sind nach Menschen aus der Ukraine und aus Syrien die größte ausländische Community in Sachsen-Anhalt. Mehr als 13.000 Menschen mit polnischen Wurzeln haben laut Statistischem Landesamt 2022 in Sachsen-Anhalt gelebt. Wir haben zwei von ihnen gefragt, was sie sich von der neuen Regierung in Polen erhoffen und mit welchen Gefühlen sie den Regierungswechsel beobachten.

Izabela Peter: "Die Leute sollen sich an ihre gute Kinderstube erinnern"

Izabela Peter stammt aus Danzig, lebt aber seit 1996 in Magdeburg. Sie ist ehrenamtlich im Vorstand der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Sachsen-Anhalt aktiv. Bei ihrer Arbeit als Mobilitätsberaterin berät sie unter anderem Auszubildende bei der Durchführung von Auslandsaufenthalten. Die 51-Jährige ist für ihren Mann nach Magdeburg gezogen. Als Jugendliche hatte sie ihn im Ferienlager in Deutschland kennengelernt. Peter hat die polnische Staatsbürgerschaft und konnte so bei der Parlamentswahl im Oktober auch ihre Stimme abgeben.

MDR SACHSEN-ANHALT: Wie haben Sie das Vertrauensvotum im polnischen Parlament am Montag verfolgt?

Izabela Peter: Ich habe es live mit meinem Mann angeschaut und dabei mit meiner Familie in Polen gechattet. In Warschau hat die Übertragung sogar Kinosäle gefüllt, mit Popcorn und allem! Wir hatten zu Hause zwei Streams gleichzeitig offen – den vom regierungstreuen Sender TVP Info und den vom liberalen TVN. Meine Schwester hat sich kaputtgelacht deswegen, aber ich wollte die Kommentare unter dem Bild vergleichen.

Ich war vorher unglaublich nervös, ob alle Abgeordneten der neuen Regierung da sein würden – schließlich hätten wenige Stimmen schon einen Unterschied beim Votum machen können. Als ich gesehen habe, dass alle da sind und niemand anders abstimmt als angekündigt, ist mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Endlich war der Weg frei für die neue Regierung. Präsident Duda hat dann zum Schluss angekündigt, dass er die neue Regierung am Mittwochmorgen vereidigt. Da hatte ich ein bisschen Angst, dass er noch irgendetwas in petto hat, um die neue Regierung doch nicht zustande kommen zu lassen. Aber es hat ja alles geklappt.

Das klingt, als ob Sie nicht besonders viel Vertrauen in die polnische Politik hätten.

Eher wenig Vertrauen in die Menschen. Man kann ja nie wissen, was passiert. Ich hatte Angst, dass eines der Mitglieder der neuen Regierung einknickt, sich vielleicht doch von der PiS kaufen lässt. Es gab vorher schon Politiker, die von anderen Parteien zur PiS gegangen sind, weil die ihnen persönliche Vorteile versprochen hat. Ein Mensch ist nur ein Mensch. Es hätte auch sein können, dass die alte Regierung die Wahl anficht und sagt, die Ergebnisse stimmen nicht. Man weiß nie, welche Tricks die noch im Kopf haben.

In Deutschland schimpft man auch, aber man kratzt den anderen nicht direkt die Augen aus, nur weil sie einer anderen Partei angehören.

Izabela Peter | Magdeburgerin mit polnischen Wurzeln

Ist das tatsächlich die politische Kultur in Polen?

Der Ton im politischem Diskurs in Polen war in den letzten Jahren sehr hart. Schimpfworte und Beleidigungen waren an der Tagesordnung, auch im Parlament. In Deutschland schimpft man auch, aber man kratzt den anderen nicht direkt die Augen aus, nur weil sie einer anderen Partei angehören. So ganz simple Dinge, dass man den anderen ausreden lässt, dass man vielleicht nicht mag, was andere zu sagen haben, aber sie trotzdem nicht anschreit – das ist abhanden gekommen. Da ist sehr viel Hass. Die Leute haben acht Jahre lang vorgefertigte Meinungen gehört und spulen das dann selber ab, gerade ältere Menschen. Vor der PiS-Regierung war das anders.

Dazu kommt noch Vetternwirtschaft und Korruption. Oft hat die PiS Gesetzesvorlagen erst in letzter Minute eingebracht, so dass keiner eine Chance hatte, sich dazu einzulesen. Weil sie sich so sicher waren, dass sie das Land regieren und alles machen können. Das wird sich jetzt ändern. Man spürt schon, dass der Ton ganz anders ist. Wir haben seit November einen neuen Parlamentspräsidenten, der dafür sorgt, dass die Leute sich im Parlament an Regeln halten und nicht immer dazwischenrufen.

Ich freue mich, wenn die Kinder in der Schule nicht mehr bestraft werden, weil sie nicht in der Messe waren.

Izabela Peter | Magdeburgerin mit polnischen Wurzeln

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Polens mit der neuen Regierung?

Einen Kulturwandel. Dass nicht alle immer nur von Gott reden, sondern die Nächstenliebe tatsächlich auch umsetzen. Dass sie sich mit Respekt begegnen, dass die Menschen darauf achten, was sie sagen und wie sie es sagen, dass sie sich informieren, bevor sie mit Vorurteilen um sich schmeißen. Dass alle gleich sind und man das auch lebt und nicht nur so sagt. Die Leute sollen sich an ihre gute Kinderstube erinnern.

Ich freue mich für meine Familie vor Ort. In meiner Familie in Polen gibt es aktuell drei Kinder, die zur Schule gehen. Für die wird sich hoffentlich einiges ändern. Die PiS-Regierung hat die wichtige Rolle, die die Kirche in Polen schon lange gespielt hat, ausgenutzt und ad absurdum geführt. Jede Veranstaltung musste mit einer Messe anfangen. Ich freue mich, wenn die Kinder in der Schule nicht mehr Ärger bekommen, weil sie nicht in der Messe waren. Wenn sie wieder eine neutralere Bildung bekommen können, die nicht politisch eingefärbt ist. Wenn die Nachbarn nicht mehr schief gucken, weil man seine Kinder nicht taufen lassen oder nicht kirchlich heiraten will. Ich hoffe, dass meine Familie da von baldigen Ergebnissen berichten kann.

Krzysztof Blau: "Es wird ein schwieriger Weg"

Krzysztof Blau ist vieles: Geschäftsführer der Auslandsgesellschaft in Sachsen-Anhalt, ehrenamtlicher Integrationsbeauftragter Magdeburgs, Vorsitzender des Beirates für Integration und Migration Magdeburgs, sogar stellvertretender Vorsitzender des Bundeszuwanderungsrates – und er ist erster Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Sachsen-Anhalts. Blau kam als Kind mit seiner Mutter nach Magdeburg, die hier die Liebe gefunden hatte, und lebt nun seit 40 Jahren in Sachsen-Anhalt. Wegen seines Ehrenamtes ist der 57-Jährige regelmäßig in Polen und hatte dank seiner doppelten Staatsbürgerschaft auch die Möglichkeit, bei der Parlamentswahl in Deutschlands Nachbarland seine Stimme abzugeben.

MDR SACHSEN-ANHALT: Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf den Regierungswechsel in Polen?

Krzysztof Blau: Die Entwicklung ist ja sehr erfreulich, es ist ein Sieg für die Demokratie. Wir hatten eine historisch hohe Wahlbeteiligung, die Wahl wurde durch die Aktivierung von Frauen und jungen Menschen entschieden. Es ist gut, dass das Thema in den europäischen Medien so positiv aufgenommen wird. Die neue Regierung braucht Partnerschaften und das Gefühl, nicht alleine in Europa zu sein.

...aber?

Die PiS hat die Wahl verloren. Trotzdem ist es nicht so, dass es eine eindeutige Botschaft der Wähler gab. Das Land bleibt polarisiert und geteilt. Der neue Ministerpräsident Donald Tusk hat die Hand ausgestreckt auch für die Wähler der PiS, das ist schön. Aber ich befürchte, dass es schwer wird, gegen die Polarisierung anzugehen. Dazu kommt: Die Menschen in Polen und vor allem die ehemalige Regierung werden sehr genau beobachten, was Tusk und seine Regierung machen. Vor allem, wenn es um Deutschland geht. Man will politisch aufeinander zugehen, aber alles, was Tusk an Schritten auf Deutschland zu macht, wird ihm von der PiS so angerechnet werden, dass er Polen an Deutschland verkauft. Das Narrativ pflegen sie schon sehr lange.

Letztendlich werden die Menschen die neue Regierung an ihren Taten messen. Bleiben die Sozialleistungen, die die PiS aufgebaut hat, erhalten, wie versprochen? Bei manchen Themen muss man auch erstmal schauen, wo die neue Regierung liegt. Denn sie besteht aus dreizehn doch sehr unterschiedlichen Parteien. Die Freude sollte überwiegen, ich glaube, wir müssen da wirklich einen Vertrauensvorschuss geben. Mein Vertrauen hat die Regierung erstmal, sie soll mal machen, aber es wird ein schwieriger Weg. Zumindest haben wir jetzt eine Regierung des guten Willens für die EU. Das ist schon etwas anderes als eine Regierung des Unwillens wie vorher.

Polarisierung und Spaltung sind auch hier Probleme. Was können wir in Deutschland Ihrer Meinung nach mitnehmen, wenn wir aktuell auf Polen schauen?

Die Menschen in Polen haben ein politisches System abgewählt, das demokratische Werte geschwächt hat, menschenfeindlich war, chauvinistisch, das Minderheiten abgewertet und die Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt hat. Das sollten wir in Deutschland als Anlass nehmen, auch nochmal darüber nachzudenken, wie man die Demokratie hier stärken kann.

Vielleicht ist es wie damals mit der Solidarność-Bewegung – die hat auch im kommunistischen Block alle gestärkt. Vielleicht ist es für die demokratischen Kräfte in Deutschland und überall in Europa ein Anstoß, sich darauf zu besinnen, dass sie die Mehrheit sind und daraus Kraft zu schöpfen. Pi mal Daumen zwei Drittel der Gesellschaft sind Demokraten. Das müssen wir auch zeigen.

Zumindest haben wir jetzt eine Regierung des guten Willens für die EU.

Krzysztof Blau | Magdeburger mit polnischen Wurzeln

In welchem Zustand übernimmt die neue Regierung das Land?

Die PiS hinterlässt kein Land, das wirtschaftlich am Boden liegt, im Gegenteil. Es gibt eine hohe Beschäftigungsquote und einen relativ stabilen Haushalt – es ist leicht nachzuvollziehen, dass die neue Regierung aufgrund der globalen Krisen Probleme haben wird, das zu erhalten.

Was sich in acht Jahren PiS stark verändert hat, ist das gesellschaftliche Klima. Über Jahre hinweg haben die Regierung und die Medien den Menschen ein so negatives Bild von Zuwanderung gepredigt, dass bei vielen eine unterschwellige Angst da ist. Es ist gefährlich, wie man eine Demokratie aushebeln kann, indem man solche Wahrnehmungen in der Gesellschaft erzeugt, dass die Ausländer oder Geflüchtete schuld sind an allem.

Auch die Beziehung zwischen Deutschland und Polen ist abgekühlt. Da muss man erst wieder Empathie füreinander aufbauen, mit Jugendaustausch, Städtepartnerschaften und solchen Sachen. Wenn man von allen Seiten immer nur hört, die sind schlecht und die sind schlecht, bleibt das hängen. In Deutschland wurde kritisch über die PiS-Regierung in Polen gesprochen – am Ende verbindet man das ja trotzdem mit dem Land an sich. Und in Polen wurde viel auf die Europäische Union gemeckert mit Deutschland als Synonym dafür.

Wenn man von allen Seiten immer nur hört, die sind schlecht und die sind schlecht, bleibt das hängen.

Krzysztof Blau | Magdeburger mit polnischen Wurzeln

Was kann Deutschland Ihrer Ansicht nach denn tun, um die neue Regierung in Polen zu unterstützen?

Die neue polnische Regierung braucht das Gefühl, dass sie nicht alleine in Europa ist. Deutschland sollte da deutliche positive Signale setzen. Beide Länder sollten schnellstens gemeinsame Regierungskonsultationen machen. Da ist in den letzten Jahren vieles liegengeblieben.

Polen ist sehr stark abhängig vom Handel mit Deutschland und auch für Deutschland ist Polen ein wichtiger Handelspartner, der fünftwichtigste insgesamt. Geschäfte funktionieren besser in einem freundschaftlichem Klima. Außerdem sind Polen auf Bundesebene die zweitgrößte Community in Deutschland. Trotzdem sind zum Beispiel die Zug- und Flugverbindungen gerade zwischen den östlichen Bundesländern und Polen ein Witz. Da müsste man deutlich sagen: Wir wollen das ändern. Beide Länder.

Die Fragen stellte Alisa Sonntag.

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MDR (Alisa Sonntag)

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