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Als Reaktion auf ihre Kolleginnen und Kollegen, die regulär arbeiten gehen, haben die Streikenden bei SRW metalfloat gemeinsam mit der IG Metall ein Banner an der Werkhalle aufgehangen. Bildrechte: MDR/Ralf Geißler

Arbeitskampf100 Tage Ausstand: Streik bei Schrottrecycling-Firma in Espenhain dauert an

15. Februar 2024, 17:54 Uhr

Seit genau 100 Tagen streiken vor einer Schrottrecycling-Firma im sächsischen Espenhain die Beschäftigten. Anfangs ging ihr Ausstand in der Öffentlichkeit unter, weil die Streiks der Lokführer und Lehrkräfte viel mehr Menschen betrafen. Doch dann besuchten hochrangige Politiker die Streikenden, der Landrat schaltete sich ein. Bislang vergebens, denn noch immer gibt es keine Gespräche zwischen der Geschäftsleitung und der Gewerkschaft.

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Das Feuer lodert immer noch. Eine Handvoll Beschäftigter sitzt um die wärmende Tonne vor dem Werkstor von SRW metalfloat in Espenhain bei Leipzig. Viele tragen rote IG Metall-Mützen. Die Schrott-Recycler streiken schon seit 100 Tagen.

"Wenn man so hört, was die anderen Standorte verdienen, die nicht mal in drei Schichten arbeiten, dann ist das eine Frechheit, was wir hier verdienen. Und gleichzeitig wird überall alles teurer", sagt Toni. Sein Kollege Jonny fügt hinzu: "Also wenn du schlechte Laune kriegen willst, dann brauchst du bloß einkaufen gehen, wenn du die Preise siehst. Benzin wird teurer, alles wird teurer."

Doch nicht nur das: "Das ist anstrengende Arbeit, den ganzen Tag acht Stunden am Band zu stehen", erklärt ihre Kollegin Daniela. "Und die Metalle sind ja auch nicht gerade leicht. Man weiß ja, Blei ist schwer, Kupfer ist schwer. Das geht auf den Körper, auf den Rücken."

Kürzere Arbeitszeiten, mehr Lohn und einen Tarifvertrag

Die Schrottwerker fordern eine 38-Stunden-Woche, acht Prozent mehr Lohn, einen Tarifvertrag. Doch ihr Arbeitgeber zeigt sich unbeeindruckt. SRW metalfloat gehört einem chinesischen Investor und der will bislang einfach nicht verhandeln.

Zum Ärger des Gewerkschaftssekretärs Michael Hecker: "Das Unternehmen hat sich in einer internen Selbstverpflichtung, einem sogenannten Code of Conduct, eigene Verhaltensregeln gegeben. Und in diesem Code of Conduct ist ganz klar beschrieben, dass das Recht zur Verhandlung von Tarifverträgen sowie ein fairer und lösungsorientierter Umgang hier zur Unternehmenskultur gehört. Herr Quinn, der Geschäftsführer, hat das selbst unterzeichnet. Das Skandalöse ist, dass er sich nicht daran hält."

Das Unternehmen sagt auf MDR-Anfrage: Zu mehr Lohn sei man bereit, zu einem IG Metall-Tarifvertrag aber eben nicht.

Streikdauer beinahe rekordverdächtig

Es streiken auch nicht alle Beschäftigten, ein Teil geht zur Schicht. Für sie ließ das Unternehmen ein Plakat aufhängen, auf dem steht: "Wir arbeiten für den Erhalt von 200 Arbeitsplätzen". Die Gewerkschaft kontert auf der anderen Zaunseite mit dem Banner: "Streikbrecher bleiben Untertan". Die Lage ist verfahren.

Schon jetzt dauert der Konflikt ungewöhnlich lange, sagt Streikforscher Alexander Gallas: "Also der größte große Streik in der Geschichte der Bundesrepublik dauerte 114 Tage. Der liegt aber schon sehr lange zurück, das war 1956/57 in der Metallindustrie in Schleswig-Holstein. Damals ging es um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall."

Damals konnte sich die Gewerkschaft durchsetzen. Gallas hält das auch in Espenhain für möglich. Allerdings streikt dort nur ein einzelner Betrieb.

Immer häufiger betriebsinterne Konflikte

Solche betriebsinternen Konflikte nehmen laut dem Jenaer Sozialforscher Klaus Dörre seit Jahren zu. "Das hängt schlicht damit zusammen, dass das System der branchenbezogenen Flächentarifverträge erodiert, wir immer mehr Betriebe und Unternehmen haben, die gar nicht mehr unter Flächentarifvertragsregelungen fallen. Und das führt dazu, dass die Gewerkschaften sogenannte Häuserkämpfe führen müssen. Also von Betrieb zu Betrieb, von Unternehmen zu Unternehmen überhaupt tarifliche Standards durchsetzen müssen."

Der Kampferprobteste in Espenhain ist Verhandlungsführer Hecker. Jeden Tag ist der Gewerkschafter da, er hat den Streikenden einen Containerbau organisiert. Daneben hat die Nachtschicht einen Briefkasten montiert. "Der Arbeitgeber ist herzlich eingeladen, sein Angebot hier zuzustellen", sagt Michael Hecker. Doch der Briefkasten ist auch heute leer.

Wie lange das so weitergehen kann, ist unklar. Die Streikenden leben derzeit von Streikgeld. Das ist weniger als ihr Lohn. Und es sind Menschen, die ohnehin wenig haben. Sortiererin Daniela gibt sich dennoch entschlossen: "Aufgeben ist nicht drin. Ich halte durch bis zum bitteren Ende."

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 15. Februar 2024 | 06:08 Uhr