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Am 10. September 2023 wählt Nordhausen einen neuen Oberbürgermeister. Die Stadt steht dabei an einem politischen Scheideweg. Bildrechte: IMAGO / Olaf Döring

PolitikWegweisende Entscheidung in Nordhausen: Oberbürgermeister-Wahl am Sonntag

07. September 2023, 10:34 Uhr

Nordhausen hatte vier Oberbürgermeister in elf Jahren. Die vergangene Stadtpolitik war geprägt von Konflikten und Uneinigkeit. Am Sonntag, 10. September, steht Nordhausen nun vor einer wegweisenden Oberbürgermeisterwahl.

Ein Thüringer Oberbürgermeister soll möglichst lange regieren. Auch wenn die Bundesregierung sich streitet oder der Landtag sich zofft, ein Stadtoberhaupt soll seinen Bürgern Stabilität gewähren. Die Frauen und Männer sollen dem Staat ein Gesicht geben und Vertrauen schaffen. Das ist keine idealistische Fantasie von guter Politik, sondern Gesetz.

Das Thüringer Gesetz über kommunale Wahlbeamte (ThürKWBG) spricht in Paragraph 5 von einer "Verpflichtung zur Weiterführung des Amtes". Demnach muss der Wahlbeamte zur Wiederwahl antreten. Das Amt des Oberbürgermeisters soll ein politischer Fels in der Brandung sein.

Vier Stadtoberhäupter in elf Jahren in Nordhausen

30 Jahre nach seiner Verabschiedung, ist in Nordhausen vom Geist dieses Gesetzes kaum noch etwas zu spüren. In den vergangenen elf Jahren regierten vier verschiedene Personen die Stadt: Klaus Zeh (CDU) und Kai Buchmann (parteilos) als Oberbürgermeister, sowie Jutta Krauth (SPD) und Alexandra Rieger (SPD) kommissarisch. Krauth sprang ein, als Zeh aus gesundheitlichen Gründen abtrat, Rieger übernahm die Geschäfte nach Buchmanns Suspendierung. Zum Vergleich: Oberbürgermeisterin Barbara Rinke (SPD) regierte 18 Jahre am Stück, von 1994 bis 2012.

Thomas Müller, Stadthistoriker und ehemaliger Chef der "Nordhäuser Allgemeine", sieht in Rinkes Amtszeit eine gewisse Blütezeit: "Nordhausen erhielt ein völlig neues Gesicht. Die Kriegsschäden verschwanden, Hochschulgründung, Landesgartenschau und die neue Bibliothek fallen in diese Zeit. Eine neue Stadt im Grunde. Natürlich gab es damals mehr zu tun und mehr Fördermittel. Aber zu tun gibt es immer noch mehr als genug."

Thomas Müller ist Journalist und Historiker. Er leitete früher die Nordhäuser Allgemeine und arbeitet an einer Fortschreibung der Nordhäuser Stadtchronik. Bildrechte: MDR/Armin Kung

Wie die "Causa Buchmann-Jendricke" das Oberbürgermeisteramt beschädigte

Nicht nur der hohe Verschleiß an Stadtoberhäuptern lässt Nordhausens Politik der vergangenen Jahre schwach erscheinen. Auch die internen Streitigkeiten leisten ihren Beitrag. Unvergessen ist der Zoff zwischen dem damaligen Bürgermeister Matthias Jendricke (SPD) und Ex-Oberbürgermeister Klaus Zeh. Zeh musste aus gesundheitlichen Gründen abtreten, Jendricke wurde Landrat. Der Hahnenkampf wurde damals bis ins Privatleben geführt.

Auch mit der Wahl des parteilosen Außenseiters Kai Buchmann 2017 hörte der Streit nicht auf. Buchmann überwarf sich in seiner Amtszeit mit Journalisten regionaler Medien und legte sich mit dem Stadtrat an. Dass er Stadtratsbeschlüsse nicht umgesetzt habe, ist - bislang nur - ein Vorwurf in einem laufenden Disziplinarverfahren gegen ihn. Ende März wurde er vorläufig suspendiert. Erst per Gerichtsbeschluss konnte er im August zurück ins Amt. Wieder involviert: Matthias Jendricke.

"Ich würde das nicht 'Causa Buchmann', sondern 'Causa Buchmann-Jendricke' nennen. Es ist ein Kräftemessen zwischen Landrat und Oberbürgermeister. Und da ist auch noch Bürgermeisterin und OB-Kandidatin Alexandra Rieger mit rein geraten. Das gefällt den Leuten einfach nicht. Generell werden in Nordhausen und Ostdeutschland Streit und laute Debatten einfach negativer wahrgenommen", erklärt Thomas Müller.

Ich würde das nicht 'Causa Buchmann', sondern 'Causa Buchmann-Jendricke' nennen. Es ist ein Kräftemessen zwischen Landrat und Oberbürgermeister.

Thomas Müller | Stadthistoriker

AfD wittert ihre Chance

In einer Phase politischer Instabilität und Zoff hat die AfD Nordhausen nun das erste Mal einen Kandidaten ins Rennen geschickt. Jörg Prophet wirbt mit dem Slogan: "Neustart im Rathaus". Als "wertkonservativ, weltoffen und mittelstandsorientiert" bezeichnete er sich auf Nachfragen selbst. "Herr Prophet gibt sich als Biedermann, der nichts gegen Ausländer habe. Dass er natürlich gleichzeitig zu einer Versammlung einer rechtsextremen Zeitschrift geht, auf der genau das Gegenteil gesagt wird, das wird kaum gesehen", sagt Thomas Müller.

Die politische Unruhe im Südharz sei jedoch ein Vorteil für die AfD: "Die Situation in Nordhausen wird der AfD in die Hände spielen. Da bin ich sehr sicher. Wie viele Prozente das am Ende ausmacht, kann ich natürlich nicht beurteilen", schätzt Müller ein.

Jörg Prophet (AfD) bei der Podiumsdiskussion an der Hochschule Nordhausen im August 2023. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die deutsche Rechte hat unterdessen den Nordhäuser AfD-Kandidat als möglichen Politstar in Stellung gebracht. Das vom Bundesverfassungschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Compact-Magazin hatte sein Sommerfest in Sachsen-Anhalt bereits mit Jörg Prophet beworben. Der Trailer zur Veranstaltung zeigt ihn als ersten angekündigten Gast. Auch Prophet selbst sagte auf der jüngsten Podiumsdiskussion in Nordhausen, er sei von Compact angekündigt gewesen. Dafür ließ er sogar eine Kandidaten-Gesprächsrunde im Nordhäuser Stadtteil Stempeda sausen.

Linke gibt vage Wahlempfehlung

Die Partei des Thüringer Ministerpräsidenten tritt nicht zur OB-Wahl an. Linken-Kreischef Matthias Marquardt sagte MDR THÜRINGEN, man hat sich auf keinen Kandidaten einigen können. Eine Wahlempfehlung für einzelne Kandidaten wolle man trotzdem nicht geben. Alle demokratischen Kandidaten kämen in Frage, besonders jene mit regionalen Wurzeln. Nur den AfD-Kandidat schließt die Partei dabei aus.

Matthias Marquardt ist Kreischef der Linken in Nordhausen und Bürgermeister von Heringen/Helme. Bildrechte: MDR/Armin Kung

"Wir hoffen, die Menschen entscheiden sich für eine demokratische Partei. Und auch für Ansichten, die eben keine Menschen ausgrenzen, für die jeder Mensch im Mittelpunkt steht - und damit schließen wir die AfD und auch Herrn Prophet aus", sagt Marquardt.

Hochschule sorgt sich um Nordhausens Ruf

An der technisch-ausgerichteten Hochschule Nordhausens herrscht dagegen große Unruhe. Die Zahl der Ingenieurstudenten geht bundesweit zurück. An der Hochschule Nordhausen sind die Studierendenzahlen am Institut für regenerative Energietechnik in den vergangenen zehn Jahren um 80 Prozent eingebrochen.

Umso erfolgreicher zieht der Campus ausländische Studenten an. Die Mehrheit kommt aus Indien, Pakistan, Ägypten und Nigeria. Auf 60 deutsche Studenten im Fachbereich kommen bereits 150 ausländische Studenten. Fast alle Hochgebildeten wollen zurück in ihre Heimat. Doch auch die Thüringer Wirtschaft setzt auf die ausländischen Ingenieure.

Viele Studienbewerberinnen und Studienbewerber haben bereits Ängste in Bezug auf die AfD geäußert.

Jörg Wagner | Präsident der Hochschule Nordhausen

Und in den Büros der Studienberatungen ist die AfD längst Thema unter den Bewerbern, sagt Hochschulpräsident Jörg Wagner: "Viele Studienbewerberinnen und Studienbewerber haben bereits Ängste in Bezug auf die AfD geäußert, gerade im internationalen Bereich und auch im Bereich der alten Bundesländer. Die Wahl eines AfD-OB in Nordhausen würde natürlich bundesweit kontrovers diskutiert werden. Nach unseren bisherigen Erfahrungen würde das einen negativen Effekt auf die Studierendenzahlen haben", berichtet Wagner.

Jörg Wagner ist seit 2004 Rektor und wurde später Präsident der Hochschule Nordhausen. Bildrechte: MDR/Armin Kung

"Über einen Warnschuss sind wir längst hinaus"

Dass die Nordhäuser den ersten AfD-Oberbürgermeister Deutschlands wählen könnten, hält der Regionalforscher Thomas Müller für möglich. Schließlich habe es bereits einen Warnschuss an die Nordhäuser Politik gegeben. Er spielt auf die Oberbürgermeisterwahl im Jahr 2017 an. Damals siegte überraschend der Parteilose Kai Buchmann gegen die Kandidaten der anderen Parteien. Im ersten Wahlgang erreichte Buchmann auf Anhieb Platz zwei. In die Stichwahl ging er als Außenseiter und wurde Oberbürgermeister.

"Über einen Warnschuss sind wir längst hinaus. Das ist vorüber. Trotzdem ist Nordhausen nicht Sonneberg. Das liberale Bürgertum hat in Nordhausen als Rolandstadt, historisch gesehen, schon immer eine ganz andere Rolle eingenommen", urteilt der Historiker.

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MDR (ask)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | THÜRINGEN JOURNAL | 10. September 2023 | 19:00 Uhr

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