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PolenStaatsfernsehen soll wieder unabhängig werden – PiS reagiert mit Besetzung

21. Dezember 2023, 20:46 Uhr

Polens ehemalige Regierungspartei PiS hat die öffentlich-rechtlichen Medien zum Propagandainstrument degradiert. Polen erschien in deren Sendungen als ein Land, wo Milch und Honig fließen, die PiS-Regierung hatte lauter Erfolge und die Opposition war ein unfähiger, zerstrittener und unpatriotischer Haufen. Nun beginnt die neue Regierung mit dem Umbau. Die PiS-Spitze mit Jarosław Kaczynski reagiert mit einer Besetzung des Staatsfensehens und will ihre Anhänger auf die Straße bringen.

Für den Vorsitzenden der rechtsnationalistischen PiS Jaroslaw Kaczynski und seine engsten Mitarbeiter wurde die Nacht vom 19. auf den 20. Dezember unerwartet lang. Sie haben sie im Gebäude des Staatsfernsehens TVP verbracht, um laut Kaczynski die "Freiheit der Medien" zu verteidigen. Einige PiS-Politiker verstiegen sich sogar zu der Behauptung, es handle sich um einen "Staatsstreich". Alle saßen stundenlang auf Stühlen im Foyer und wurden mit Essen und Getränken von der Kantine versorgt, die extra für sie am späten Abend öffnete.

Auslöser war eine Resolution des Parlaments, die die Regierung aufforderte, die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien wiederherzustellen, die in Polen dem Staat gehören. Kultusminister Bartłomiej Sienkiewicz fackelte danach nicht lange und tauschte die Führung des Polnischen Fernsehens, des Polnischen Rundfunks und der Polnischen Presseagentur aus. Sichtbar für alle wurde das, als der Nachrichtenkanal TVP Info am späten Vormittag des 20. Dezember unvermittelt abgeschaltet wurde – ein laufendes Interview wurde mitten im Satz abgebrochen. Die anderen TVP-Kanäle sendeten weiter, für den Rest des Tages allerdings ohne Nachrichten.

PiS-Vorsitzender Jarosław Kaczyński betritt den Hauptsitz von TVP in Warschau. Seine Partei versucht, ihren Einfluss auf das öffenlich-rechtliche Fernsehen in Polen mit einer unbefristeten Besetzung zu verteidigen. Bildrechte: IMAGO / newspix

Polizei bewacht Staatsfernsehen TVP

Als der neue Aufsichtsratsvorsitzende von TVP sein Amtszimmer betreten wollte, wurde er von den PiS-Besetzern aufgehalten. Nur mit Hilfe von zwei anderen Männern, offenbar privaten Sicherheitskräften, konnte er sich Zutritt verschaffen. Eine PiS-Abgeordnete klagte später, dass einer der Bodyguards ihr während des Gemenges beinahe den Arm gebrochen habe.

Als kurz danach der Nachrichtenkanal TVP Info abgeschaltet wurde, verließen die PiS-treuen Fernsehmacher ihre Redaktionsräume und zogen zum privaten, politisch rechts stehenden Fernsehsender Republika um. Dort protestierten sie gegen das "Attentat" auf TVP und sendeten ihre "Nachrichtensendungen" weiter, die auf YouTube und bei Republika zu sehen waren. Im TVP-Gebäude waren inzwischen mehrere Polizisten im Einsatz, die unter anderem die Eingänge zu Regieräumen bewachten. Die Polizei wurde laut Medienberichten von beiden Seiten des Konflikts gerufen.

Polizisten im Foyer von TVP Bildrechte: IMAGO / newspix

Präsident Duda auf Seiten der PiS

Eine Sanierung der öffentlich-rechtlichen Medien, die in den beiden letzten Wahlperioden vom Staat finanziert und von der PiS-Regierung gesteuert wurden, steht ganz oben auf der Agenda des neuen Regierungschefs Donald Tusk. Die Tatsache, dass sie aufgrund einer Parlamentsresolution, die eigentlich kein bindender Rechtsakt ist, und nicht auf dem regulären Weg eines Gesetzes eingeleitet wird, ist unter Politikern und Juristen allerdings umstritten.

Grund für dieses Vorgehen ist die Haltung von Präsidenten Andrzej Duda, der die PiS-Partei offen unterstützt und nach deren Wahlniederlage angekündigt hat, von seinem Vetorecht künftig regen Gebrauch zu machen. Deshalb versucht die neue Regierung, die Reform auf der Grundlage bereits existierender Gesetze durchzuführen. Bei TVP bietet sich das Gesellschaftsrecht an, da der Sender formell eine Aktiengesellschaft ist, die sich zu 100 Prozent in Staatseigentum befindet. "Moralisch" flankiert wird das durch die besagte Parlamentsresolution, die der Präsident nicht kassieren kann, weil sich sein Vetorecht nur auf Gesetze bezieht, nicht aber auf Parlamentsresolutionen.

Nachrichtenticker in Form von bunten Bändern im unteren Teil des Bildes sind bei vielen Sendern üblich – die von TVP wurden im Volksmund aber wegen ihres propagandistischen Inhalts "Ticker des Schreckens" genannt. Bildrechte: picture alliance/dpa/PAP | Wojciech Olkusnik

Dass die PiS-Politiker jetzt von einem Staatsstreich sprechen und vorgeblich die "Freiheit der Medien" verteidigen wollen, hält der Jurist Michał Wawrykiewicz für die reinste Heuchlerei. Der Mitbegründer der Initiative "Freie Gerichte" hat sich in den acht Jahren der PiS-Regierung stark für die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien eingesetzt. Jetzt spricht er von einem "moralischen Recht" der neuen Regierung, die Parteipropaganda bei TVP durch unabhängigen Journalismus zu ersetzen. "In den vergangenen Jahren hatten wir mit einer Hasssprache zu tun, das Fernsehen hat die PiS nur glorifiziert und jeden Opponenten verbal vernichtet", sagt er.

Was die rechtliche Grundlage für das Vorgehen der Regierung angeht, hat er keine Zweifel: "Der Staat ist der einzige Eigentümer der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen. Der Kultusminister hat auf Grundlage des Gesellschaftsrechts gehandelt und von seinem Recht als Eigentümer Gebrauch gemacht", meint der Jurist zur Neubesetzung der Aufsichtsräte. Er ist aber sicher, dass viele diesen Weg in Frage stellen werden und hält Gerichtsprozesse für möglich.

Demo vor dem Machtwechsel in Polen – "TVP hetzt und lügt" heißt es auf einem Plakat. Bildrechte: imago images/Eastnews

Tradition politischer Einflussnahme

Die heftige Reaktion der PiS zeigt, welche enorme Wichtigkeit das Staatsfernsehen für sie hat. Ohne dieses Medium stehen ihr nur kleinere Privatsender mit geringer Reichweite zur Verfügung, die nur im Internet oder über Kabel zu empfangen sind. Auch für die Tusk-Regierung spielt das Fernsehen eine große Rolle – sie kann es sich nicht leisten, dass die vielen nötigen und äußerst schwierigen Reformen nach acht Jahren PiS an der Macht durch Lügen und Hetze eines Mediums torpediert werden könnten, die für viele Menschen gerade im ländlichen Raum nach wie vor die Informationsquelle Nummer eins ist – und oft die einzige überhaupt. Tusk kündigte schon im Wahlkampf an, dass TVP in Zukunft unparteiisch und unabhängig berichten wird. Man kann nur hoffen, dass es auch so wird.

PiS-Politiker und Journalisten bei TVP Bildrechte: IMAGO / newspix

Dass Politiker öffentlich-rechtliche Medien zu beeinflussen versuchen, ist in Polen nichts Neues. Allerdings war keiner der Machtwechsel dort so hart und brutal wie die Neuausrichtung unter der PiS. Zwar hat es auch früher Versuche gegeben, unbequeme Journalisten mundtot zu machen. Das geschah allerdings nicht durch Entlassung, sondern durch die Versetzung in andere Positionen und die Beauftragung mit neuen Aufgaben – ein Mechanismus, der in vielen Firmen bekannt ist. Der Vorstand von TVP wurde zwar mit Personen aus der Politik besetzt, die allerdings unterschiedlichen Parteien nahestanden. Das schuf eine Art politisches Gleichgewicht. Auch wenn die Tatsache, dass es diesen politischen Einfluss überhaupt gab, schon immer für Kritik sorgte, kam es nie zu einer Situation, in der eine einzige Partei den ganzen Sender komplett vereinnahmte.

Dies änderte sich 2015, als die PiS an die Macht kam. Der Vorstand wurde auf eine einzige Person reduziert: den bekannten früheren PiS-Politiker Jacek Kurski. Journalisten, die sich entschieden haben, mitzuspielen, wurden de facto zu Propagandisten, die in ihren Sendungen die politischen Gegner der Regierung ohne Pardon angegriffen und die PiS unverschämt priesen. Symbolisch wurde ein Interview, in dem die Moderatorin der Hauptnachrichtensendung, Danuta Holecka, Präsident Andrzej Duda, der sich damals um eine Wiederwahl für seine zweite Amtszeit bewarb, fragte: "Was können wir noch tun, damit Sie gewinnen?"

Die unfaire Debatte vor der Parlamentswahl 2023, in der die Moderatoren manipulative Suggestivfragen stellten und ihre Sympthien mit der PiS offen an den Tag legten, wurde zu einem Sinnbild der Propaganda bei TVP – einem von vielen. Bildrechte: IMAGO / newspix

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Regierung Tusk der Versuchung widerstehen kann, die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen und kritische Berichterstattung zu unterdrücken. Das erwarten die meisten der über elf Millionen Polen, die sich bei der letzten Parlamentswahl für den links-liberalen Wandel in Polen entschieden haben.

Unsere Autorin Monika Sieradzka

Monika Sieradzka war mehr als zwei Jahrzehnte als Journalistin bei TVP in verschiedenen Positionen, sowohl als Reporterin, als auch Führungskraft, tätig und konnte die Vorgänge im Sender aus nächster Nähe beobachten. Sie hat TVP vor acht Jahren, wie Hunderte andere Journalisten, aus Protest gegen die Übernahme des Senders durch die PiS verlassen. Seit Oktober 2015 berichtet sie als "Ostbloggerin" aus Polen für den Mitteldeutschen Rundfunk.

Journalistische Laufbahn von Monika Sieradzka bei TVP

  • 1994-1998 – Reporterin der Nachrichtensendung "Wiadomości" 
  • 1999-2003 – TVP-Korrespondentin in Stockholm
  • 2006-2007 – Chefin vom Dienst bei der Nachrichtensendung "Wiadomości" (inhaltlich für jeweils eine ganze Ausgabe verantwortlich)
  • 2008-2009 – Moderatorin des Spartenkanals TVP Polonia für Polen, die im Ausland leben 
  • 2009-2010 – Chefin der Informationsangebote des Nachrichtenkanals TVP Info
  • 2011-2015 – Leiterin der Redaktion Publizistik des Kanals TVP 2 (zuständig für Reportagen und Studiogespräche)

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 20. Dezember 2023 | 19:30 Uhr