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Rabbiner Elischa M. Portnoy Bildrechte: Elischa M. Portnoy

MDR Kultur | 12.01.2024Schabbat Schalom mit Rabbiner Elischa Portnoy aus Halle: Für alles dankbar sein!

12. Januar 2024, 10:29 Uhr

Nichts ist selbstverständlich. Wir sollen für alles Gute, das uns begegnet, dankbar sein und diese Dankbarkeit auch klar zum Ausdruck bringen, meint der Hallenser Rabbiner Elischa Portnoy, nachzulesen im Wochenabschnitt Waera. Er beruft sich dabei ausgerechnet auf die Geschichten um die biblischen Plagen.

Die jüdische Bibel, die Tora, ist vor allem ein Gesetzbuch. Dort stehen sowohl sieben Noachidische Gesetze für Nichtjuden als auch 613 Gebote für die Juden. Auch solche Sätze wie "Liebe deinen Nächsten wie du dich selbst" oder "Stelle kein Hindernis vor den Blinden", die wie moralische Imperative aussehen, sind trotzdem eindeutige Gebote. Auch mehrere Geschichten wie die Erschaffung der Welt, der Auszug der Juden aus Ägypten oder die vierzigjährige Wüstenwanderung geben lediglich den Hintergrund ab für die zahlreichen Gebote und Verbote.

Was wir aber in der Tora praktisch nie finden, ist die Aufforderung, gute Menschen zu sein: dankbar, gastfreundlich oder aufmerksam den anderen gegenüber. Doch die Tora legt natürlich großen Wert auch auf guten Charaktereigenschaften. Und die Lehre, wie man ein guter Mensch wird, finden wir zwischen den Zeilen, wenn wir den G’ttlichen Text aufmerksam lesen.

Was es mit den Plagen auf sich hat

Solch eine wichtige Idee finden wir auch in unserem Wochenabschnitt Waera. Dieser Wochenabschnitt handelt von den ersten sieben von insgesamt zehn Plagen, die G’tt über Mosche auf den Pharao und Ägypten herabkommen ließ.

Wenn wir diese Plagen aufmerksam betrachten, fällt auf, dass die ersten drei Plagen nicht von Mosche, sondern von seinem Bruder und Vertrauten Aharon ins Werk gesetzt wurden. Zum Beispiel, als sich bei der ersten Plage das ganze Wasser des Nils in Blut verwandelt. Dazu steht in der Tora Folgendes: "Sprich zu Aharon: Nimm deinen Stab und strecke deine Hand aus gegen die Gewässer Mizrajims, gegen ihre Ströme, gegen ihre Flüsse, gegen ihre Teiche und gegen all ihre Wasserbehälter, dass sie zu Blut werden."  Doch warum sollte diese Plage Aharon ausführen, und nicht Mosche hochpersönlich?!  Unsere Weisen antworten darauf: Als Mosche nach der Geburt von seiner Mutter in einem Korb im Nil abgesetzt wurde, hat der Nil den Säugling quasi gerettet. Deshalb wäre es seitens Mosche undankbar, den Nil zu schlagen und seine Gewässer in Blut zu verwandeln.

Das Gleiche galt auch bei den nächsten zwei Plagen. Bei der Plage mit Fröschen kamen die Frösche aus Nil, und deshalb konnte Mosche wiederum seine Hand nicht  gegen den Nil erheben, wieder  übernahm das Aharon, wie es steht: "Sprich zu Aharon: Strecke deine Hand mit deinem Stabe aus gegen die Ströme, gegen die Flüsse und gegen die Teiche und bring herauf die Frösche über das Land Mizrajim."

Bei der dritten Plage sollte der Staub zu Stechmücken umgewandelt werden. Auch in diesem Fall war Mosche fürs Ausführen der Plage disqualifiziert, weil er auch dem Staub dankbar sein sollte. Staub hatte den von Mosche getöteten Ägypter bedeckt und damit versteckt. Deshalb führte auch hier Aharon die dritte Plage aus: "Und sie taten also, und Aharon streckte seine Hand mit seinem Stabe und schlug den Staub der Erde, und so waren Stechmücken an Menschen und an Vieh."

Nichts ist selbstverständlich

Unsere Weisen betonen hier, wie wichtig die Eigenschaft der Dankbarkeit ist. Wenn Mosche dem Fluss und dem Staub, die nichts fühlen, dankbar sein sollte, um wie viel mehr sollen wir unseren Eltern, Geschwistern, Ehepartnern, Lehrern, Kollegen und Bekannten dankbar sein. Manchmal ist es für uns selbstverständlich, wenn der Ehepartner uns Frühstück macht, Lehrer und Erzieher unseren Kindern viel Kraft und Energie geben, Kollegen uns bei kleinen Fragen helfen. Doch nichts ist selbstverständlich. Wir sollen für alles Gute, was uns getan wird, dankbar sein und diese Dankbarkeit auch klar artikulieren und zeigen.

Die Tora beinhaltet auch mehrere Beispiele, was passiert, wenn einzelne Menschen oder gar ganze Völker sich als undankbar erweisen. Gerade deshalb sollten wir die Tora aufmerksam lesen und wichtige Lehren, die zwischen Zeilen "versteckt" sind, wahrnehmen und verinnerlichen.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbiner Elischa M. PortnoyRabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.

Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 11. Januar 2023 | 15:45 Uhr

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