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MDR Kultur | 15.12.2023Schabbat Schalom mit Rabbiner Elischa Portnoy aus Halle: Josef als genialer Traumdeuter

15. Dezember 2023, 10:29 Uhr

In Träumen verbirgt sich die Wahrheit, ja – sie können Leben retten, wenn sie richtig gedeutet werden, wie der Hallenser Rabbiner Elischa Portnoy am Beispiel von Josef erklärt. Der steigt vom Sklaven in Ägypten zum Vize-König auf, nachzulesen im Wochenabschnitt Miketz.

In Wochenabschnitt Miketz lesen wir eine atemberaubende Geschichte über Josefs kometenhaften Aufstieg von einem Sklaven im Gefängnis zum Vize-König im Palast des Pharaos.

Die Alpträume des Pharaos

Der Pharao hatte zwei Alpträume. Zuerst sah er sieben fette Kühe, die von sieben mageren Kühen gefressen wurden. In zweiten Alptraum kurz darauf sah der Pharao sieben schöne und gesunde Ähren. Auch diese Ähren erwartete das gleiche Schicksal wie die fetten Kühe: Sie wurden von den sieben dünnen Ähren verschlungen, die daneben wuchsen.

Diese Träume beunruhigten den Pharao zutiefst, und er rief all seine Weisen und Traumdeuter zu sich, um die Bedeutung der Träume zu ergründen. Unsere Weisen erzählen, dass es an Deutungsversuchen nicht mangelte. Zum Beispiel wurde gedeutet, dass der Pharao sieben Töchter bekommen und sieben andere Töchter sterben würden. Oder, dass er sieben Länder erobern und sieben andere Länder gegen ihn rebellieren würden. Doch alle diese Versionen gefielen dem Pharao nicht. Er ahnte, dass seine Träume andere Bedeutung hatten.

Josefs Rat: Auf Vorzeichen mit Voraussicht reagieren

Als der Pharao keine befriedigenden Vorschläge mehr erhielt, erinnerte sich sein Weinschenk an Josef, mit dem er einst im Gefängnis gesessen hatte. Dort hatte Josef die Träume des Weinschenks und des Oberbäckers vollkommen richtig gedeutet. Daraufhin rief der Pharao Josef zu sich und erzählte ihm seine Träume, die Josef folgendermaßen erklärte: Die sieben fetten Kühe und die sieben gesunden Ähren stehen für sieben Jahren des Überflusses in Ägypten. Die sieben mageren Kühe und die sieben dünnen Ähren dagegen stehen für sieben Jahre des Hungers. Und Josef gab dem Pharao noch einen Tipp: Er solle eine Person aussuchen und sie als Verwalter einsetzen. Dieser Verwalter solle während der sieben fetten Jahre Vorräte anlegen, damit man die sieben Hunger-Jahre überstehen könne. Diese Träume seien von G’tt, um den König zu warnen. Da war der Pharao glücklich, weil er spürte, dass es genau die richtige Deutung war.

Doch hier muss man eine Frage stellen: Die Deutung von Josef ist eigentlich einfach und naheliegend. Wie aber kann es sein, dass kein einziger der ägyptischen Weisen und Traumdeuter auf eine so einfache Lösung gekommen war?! War es ein besonderes Wunder von G’tt, um Josef an die Macht zu bringen?

Der siebte Ljubawitscher Rebbe Rabbi Menachem Mendel Schneerson gibt eine brillante Antwort auf diese Frage. Natürlich dachten auch die ägyptischen Weisen an fette und hungrige Jahre, sagt der Rebbe. Jedoch erschienen im Traum sowohl die Kühe als auch die Ähren zeitweise gleichzeitig nebeneinander. Bei Jahren wäre das nicht möglich – Jahre kommen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Deshalb wurden Ereignisse vorgeschlagen, die nacheinander passieren, wie die Geburt und der Tod von Töchtern oder Kriege mit den Nachbarländern.

Wenn fette und magere Kühe im Traum erscheinen

Josef aber verstand, dass Gott dem Pharao mit dem Nebeneinander im Traum den Schlüssel zur Bewältigung des Problems gegeben hatte: Der Pharao sollte schon während der fetten Jahre an die schlechten Jahre denken, damit alle die Hunger-Jahre überleben. Das erklärt auch Josefs Vorschlag, einen Verwalter einzusetzen. Auf den ersten Blick erscheint dieser Vorschlag wie eine Frechheit. Wer hatte Josef denn um Rat gebeten?! Er sollte doch nur die Träume des Pharaos deuten! Dieser Rat war jedoch ein Teil der Traumdeutung. Der Verwalter, der sich sieben Jahre lang um die Vorräte kümmern sollte, stellte die Verbindung her – zwischen den fetten und den mageren Kühen, zwischen den gesunden und den dünnen Ähren in den Träumen des Pharaos.

Deshalb, sagt Rebbe Schneerson, verstand der Pharao, als er diese Deutung hörte, dass G’tt ihn nicht nur vor der Hungersnot gewarnt, sondern ihm mit Josef auch den passenden Mann zu ihrer Bekämpfung gegeben hatte. Der Pharao beherzigte die G’ttliche Botschaft und machte Josef zum Vize-König, der auch die Aufgaben des Verwalters übernahm. Deshalb war der Aufstieg Josefs kein Wunder, sondern das Ergebnis seiner Genialität.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbiner Elischa M. PortnoyRabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.

Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 15. Dezember 2023 | 15:45 Uhr

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