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MDR Kultur | 26.05.2023Schabbat Schalom: Woran das jüdische Erntedankfest Schawuot erinnert

25. Mai 2023, 14:49 Uhr

Vom 25. bis 27. Mai wird das jüdische Erntedankfest Schawuot gefeiert. Das Fest erinnert auch an die Übergabe der Thora, die mit ihren 613 Geboten das Leben der Juden regelt. Doch nach welchen Geboten sollen Nicht-Juden leben? Dieser Frage geht Rabbiner Elischa Portnoy diesmal in der jüdischen Wochensendung nach.

An diesem Schabbat wird nicht der nächste Wochenabschnitt der Tora gelesen, wie es sonst üblich ist. Denn an diesem Wochenende wird das Schawuot-Fest gefeiert. Das Hauptereignis, das an diesem Pilgerfest begangen wird, ist die Übergabe der Tora von G’tt an das jüdische Volk am Berg Sinai vor 3.335 Jahren. Auch wenn der Tora zufolge dieses Fest nur einen Tag dauern soll, erstreckt sich Schawuot heutzutage in der Diaspora über zwei Tage. In diesem Jahr wird von Donnerstagabend, den 25. Mai bis Samstagabend, den 27. Mai gefeiert, was ziemlich geschichtsträchtig ist: Denn das Schawuot-Fest muss nicht unbedingt auf einen Freitag und Samstag fallen, es kann vorkommen, dass es auch an einem anderen Tag der Woche liegt.

Wie vor 3.335 Jahren

Dieses Jahr jedoch haben wir die gleiche Konstellation wie vor 3.335 Jahren, als das Ereignis stattfand, das mit Schawuot gefeiert wird: Laut Überlieferung unserer Weisen hat G’tt Seine Tora den Menschen an einem Samstag gegeben. Unsere Weisen erzählen auch, dass die Tora ursprünglich schon am Freitag gegeben werden sollte. Doch Mosche, der Anführer des jüdischen Volkes, bat G’tt um einen zusätzlichen Tag, um den Empfang der Tora vorzubereiten. G’tt willigte ein, und so fand dieses bedeutende Ereignis am Samstag statt. Auf diese Weise wird in diesem Jahr außerhalb Israels (wo Schawuot immer noch nur einen Tag lang gefeiert wird) an den zwei Tagen gefeiert, die beide Daten beinhalten: am geplanten Freitag, den 6. Sivan und an dem Samstag, an dem die Übergabe tatsächlich stattfand, also am 7. Sivan nach jüdischem Kalender.

Die Tora – Mehr als ein Buch voller Geschichten

Was aber ist genau die Tora, die drei Weltreligionen beeinflusste und bis heute in die Gesellschaft hineinwirkt? Viele denken, dass die Tora ein Geschichtsbuch ist, das auch viele moralische und ethische Prinzipen enthält. Doch in Wahrheit ist sie ein Gesetzbuch mit 613 Geboten und Verboten, die für das jüdische Volk bindend sind. Natürlich beinhalten die Fünf Bücher Moses auch Geschichten: die Erschaffung der Welt, das Leben der Patriarchen, die Entstehung des jüdischen Volkes, seine Versklavung in Ägypten, die Befreiung und die Wüstenwanderung. Doch diese Geschichten sind nur Mittel zum Zweck, und zwar indem sie erklären, warum Juden verpflichtet sind, die Gebote zu halten.

Doch lasst uns ein paar einfache Fragen stellen: Wenn die Tora vor 3.335 Jahren gegeben wurde, die Welt nach unserer Tradition aber schon vor 5.783 Jahren geschaffen wurde – nach welchen Gesetzen sollte die Menschheit dann die 2.448 Jahre bis zur Thora-Übergabe leben? Und wenn die 613 Gebote nur für das jüdische Volk gelten, nach welchen Gesetzen soll dann der Rest der Menschheit leben?

Was die Noachidischen Gebote besagen

Die Antwort auf beide Fragen lautet – nach den Noachidischen Geboten. Als G’tt den ersten Menschen Adam schuf, hat Er ihm gleich die grundlegenden Regeln gegeben, die für die ganze Menschheit gelten: Verbot von Mord, Verbot von Diebstahl, Verbot von Götzenanbetung, Verbot von Unzucht, Verbot der Gotteslästerung und das Gebot, die Gerichte als Ausdruck der Wahrung des Rechtsprinzips einzuführen. Und nach der Sintflut hat Noah, der mit seiner Familie in der Arche überlebte, das siebte Gebot erhalten: das Verbot, das Fleisch eines lebenden Tieres zu essen. Diese sieben Gesetze galten bis zur Tora-Übergabe für alle Menschen (und auch für unsere Patriarchen) und gelten auch nach der Tora-Übergabe für alle nichtjüdischen Menschen. Und es ist wichtig zu bemerken, dass diese Gebote einer der Gründe sind, warum Juden nicht missionieren. Denn man muss nicht unbedingt jüdisch sein, um als Gerechte zu gelten und nach dem Tod ewiges Leben für die Seele zu verdienen. Jeder Nichtjude und jede Nichtjüdin, welche die sieben Noachidischen Gesetze halten (was nicht immer einfach ist), gelten für G’tt als Gerechte und bekommen nach ihrem Ableben die G’ttliche Belohnung.

Wer bestimmt, was gut oder böse ist?

Doch stammt auch das Konzept der Noachidischen Geboten aus der Tora und damit auch die ganze Grundlage für das moralische und ethische Leben. Denn wenn keine universelle G`ttliche Moral existiert und die guten Taten nicht belohnt und die bösen Taten nicht bestraft werden, wer bestimmt dann, was Gut und was Böse ist? Und wenn jede Gesellschaft selbst bestimmt, was gut und was schlecht ist, dann kann es so enden, wie vor neunzig Jahren in diesem Land.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbiner Elischa M. PortnoyRabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.

Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 26. Mai 2023 | 15:45 Uhr

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