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MDR Kultur | 20.10.2023Schabbat Schalom: Was der Turmbau zu Babel über unser Zusammenleben erzählt

20. Oktober 2023, 10:29 Uhr

Was ist das Geheimnis des Erfolgs? Dass unter Menschen, die sich gemeinsam für etwas engagieren, ein gutes Miteinander, Respekt und Einigkeit herrschen, meint der Hallenser Rabbiner Elischa Portnoy in seiner Auslegung des Wochenabschnitts "Noah".

Der Wochenabschnitt "Noah", der an diesem Schabbat gelesen wird, beinhaltet eine sehr bekannte Geschichte. Es ist die Erzählung über die Sintflut, als eine von G’tt gesandte riesige Überschwemmung das ganze Leben auf der Erde vernichtete und die Familie des Gerechten Noah überlebte. Diese Geschichte ist so berühmt, dass sie mehrmals verfilmt wurde und es gibt nicht viele Menschen auf der Erde, die nichts von Noah und seiner legendären Arche gehört haben.

Derselbe Wochenabschnitt beinhaltet auch noch eine Geschichte, die zwar auch relativ bekannt ist, die jedoch klar im Schatten der Geschichte über die Sintflut steht. Es geht um den Turmbau von Babel.

Die Begebenheit mit der Sintflut ist eigentlich ziemlich einfach: Alle Menschen einer ganzen Generation wurden böse, und G’tt entschied, sie zu vernichten. Einzig die Familie von Noah war gerecht geblieben, überlebte und startete eine neue Menschheit.

Eigentlich ein Aufstand gegen Gott

Die Geschichte mit dem Turmbau ist dagegen nicht so leicht nachvollziehbar. Die Menschen, die Nachkommen von Noah waren, kamen in einem Tal in Schinar zusammen und beschlossen, eine Stadt mit einem Turm zu bauen: "Und sie sprachen: Kommt, lasst uns für uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze im Himmel ist, denn wir wollen uns einen Namen machen, damit wir uns nicht zerstreuen über die Fläche der ganzen Erde."

Doch G’tt fand dieses Vorhaben nicht gut und beendete den Bau, indem er die Sprachen der Menschen vermischte. Da keiner jetzt den anderen verstehen konnte, konnten die Menschen nicht mehr zusammen arbeiten, sie gingen weg und zerstreuten sich auf der Erde. Und was war das Problem an diesem Turmbau? Unsere Kommentatoren geben mehrere Antworten darauf. Zum Beispiel wollten die Menschen mit dem Turm den Himmel stützen, um eine neue Sintflut zu verhindern. Die richtige Herangehensweise wäre es aber gewesen, sich besser zu benehmen und dadurch eine erneute Bestrafung durch die Sintflut unnötig zu machen. Unsere Weisen sagen, dass der Versuch zum Turmbau eigentlich ein Aufstand gegen G’tt war: "Wir machen jetzt einen Turm, und Du kannst uns nichts mehr antun", so war der Plan.

Was Respekt und Einigkeit bewirken können

Unsere Weisen stellen gleich noch eine wichtige Frage zu dieser Geschichte: Warum ist G’tt so mild mit den Rebellen vom Turmbau umgegangen? Sie wurden nicht vernichtet, wie die Zeitgenossen von Noah, sondern blieben wohl und unversehrt und wurden lediglich zerstreut. Unsere Weisen geben darauf eine wunderbare Antwort, die für alle Generationen sehr wichtig ist und erst recht für die heutige schwierige Zeit.

Auch die Generation des Turmbaus hätte vernichtet werden können. Jedoch passierte ihnen nichts, weil unter ihnen Einheit und Verbundenheit herrschten. Alle hatten das gleiche Ziel, und alle arbeiteten mit Respekt und Einigkeit zusammen. Ganz im Gegensatz zu den Bösewichten von der Sintflut, die alle gegeneinander standen. Für G’tt ist es sehr wichtig, dass die Menschen ein gutes Miteinander haben. Und wenn sie dann sogar etwas gegen G’ttes Willen, aber mit Respekt und Einigkeit untereinander tun, wird G’tt sie viel milder bestrafen oder sie einfach von falscher Tätigkeit ohne Strafe abbringen.

Das ist ein Grundsatz, der immer und ewig gilt. Und das können wir auch mit unseren eigenen Augen bei verschiedenen Wahlen sehen. Ob Bundes-, Landtags- oder Kommunalwahlen – es passiert praktisch überall: Oft gewinnen jene Parteien die Wahlen (oder holen  zumindest ein zufrieden stellendes Ergebnis), die hinter einem Anführer oder einer Idee geschlossen auftreten. Sogar wenn diese Parteien falsche Ziele und Vorhaben haben. Parteien dagegen, die unter sich zerstritten sind, fahren oft schlechtere Ergebnisse ein, als es für sie theoretisch möglich wäre.

Deshalb ist ein sicheres Geheimnis des Erfolges: dass ein Vorhaben, bei dem unter den Beteiligten ein gutes Miteinander, Respekt und Einigkeit herrschen, Erfolg haben wird.

Und das gilt natürlich nicht nur für politische Parteien, sondern auch für Familien, Klassen, Gemeinden, Sportmannschaften und Staaten. Nur zusammen ist man erfolgreich und gesegnet.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbiner Elischa M. PortnoyRabbiner Elischa M. Portnoy wurde 1977 in Nikolaew in der Ukraine geboren. Seit 1997 lebt er in Deutschland. 2007 erwarb er sein Diplom als Ingenieur für Elektrotechnik an der TU Berlin. 2012 schloss er seine Ausbildung am Rabbinerseminar zu Berlin ab und erhielt die Smicha.

Elischa M. Portnoy arbeitet als Militärrabbiner der Bundeswehr am Standort Leipzig und betreut die Jüdische Gemeinde in Halle / Saale. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD). Er ist verheiratet mit Rebbetzin Katia Novominski und Vater von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 20. Oktober 2023 | 15:45 Uhr

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