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Schabbat Schalom | MDR Kultur | 03.11.2023Rabbiner Alexander Nachama: "Wir haben die Wahl"

03. November 2023, 12:00 Uhr

Wir haben die Wahl, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Und es liegt in unserer Verantwortung, im Alltag so zu handeln, dass der Frieden in unserer Umgebung gewahrt bleibt, meint Rabbiner Alexander Nachama in seiner Auslegung des Wochenabschnitts Wajera.

Das Ende des letzten Wochenabschnitts handelte von der Brit Mila, der Beschneidung Abrahams. Im Anschluss daran war er einige Tage gesundheitlich angeschlagen. Im Abschnitt dieser Woche, Wajera, lesen wir, dass Abraham gerade am Eingang des Zeltes sitzt, es die "heiße Tageszeit" ist, und er drei Männer sieht.

Wir können uns hier fragen: Was würden wir in dieser Situation tun? Ins Zelt gehen? Die Männer ignorieren? Sie gar wegschicken?

Schauen wir darauf, was Abraham tut. Er spricht: "Mein Herr! Wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, so gehe doch nicht an deinem Knecht vorüber. Lasst euch lieber ein wenig Wasser bringen, wascht eure Füße und ruht euch aus unter dem Baum. Ich will ein Stück Brot bringen. Das erfreut euer Herz. Danach könnt ihr weitergehen."

DAS ist doch mal Gastfreundschaft! Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass Abraham sehr bescheiden spricht. Er sagt, "lasst euch ein wenig Wasser bringen", und bietet den drei Männern nur ein Stück Brot an. War also Abrahams Gastfreundschaft doch nicht so groß?

Es könnte als eine bescheidene Untertreibung eines großzügigen Gastgebers gedeutet werden. So heißt es im Talmud: "Der Fromme verspricht wenig und leistet viel." Als die drei Männer bei Abraham sitzen, erhalten sie tatsächlich mehr Essen, als Abraham es vorher versprochen hatte. Er serviert Butter und Milch sowie ein Kalb, das er eilig hatte zubereiten lassen.

Aber Moment! – Ist das überhaupt koscher? Weiß Abraham etwa nicht, dass man Milch und Fleisch nicht vermischen darf? Nein, die rabbinische Auslegung antwortet: Den Gästen wurde zunächst Butter und Milch gereicht, um ihren Durst zu löschen und sie zu erfrischen, worauf das eigentliche Mahl, das aus dem Kalb bestand, folgte. Dies wäre eine Reihenfolge, die mit unseren Speisegesetzen in Einklang stehen würde. Also weiter in der Geschichte.

Einer der Männer spricht zu Abraham: "Ich werde nächstes Jahr um diese Zeit wieder zu dir kommen. Da wird deine Frau Sara einen Sohn haben." Sara, die zwar nicht am Tisch sitzt, aber diesen Satz hört, denkt sich: "Nachdem ich alt geworden bin, soll ich noch gebären? Und mein Herr ist auch alt!"

Wenn Streit in der Luft liegt

Jetzt könnte Streit in der Luft liegen: Wenn Abraham hört, dass Sara denkt, dass er alt sei, dann könnte er beleidigt reagieren! Was tut Gott? Er berichtet Abraham zwar, dass Sara daran zweifelt, noch einmal schwanger werden zu können. Er erzählt ihm jedoch nicht, dass sie denke, dass Abraham alt sei. Der Talmud schreibt dazu: "Gott tat dies, um Abrahams Gefühle nicht zu verletzen und um den häuslichen Frieden zu erhalten."

So zeigt uns diese Geschichte, dass es meist mehr als nur eine Möglichkeit gibt, wie man handeln kann. Wir haben die Wahl, wie wir mit fremden Menschen umgehen. Zwischen Einladen und Bewirten oder Unfreundlich-Sein gibt es sicherlich noch viele Optionen, die in der Mitte liegen.

Wenn wir anderen Personen von Ereignissen erzählen, dann haben wir die Wahl, wie wir darüber erzählen. Oft kennen wir unser Gegenüber gut genug, dass wir wissen, was zu Aufregung führt und was nicht.

Es liegt in unserer Verantwortung, im Alltag stets so zu handeln, dass der Frieden in unserer Umgebung gewahrt bleibt. So tragen wir dazu bei, diese Welt ein Stück weit zu verbessern.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Alexander NachamaGeboren 1983 in Frankfurt am Main. 2005 erhielt er von Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, dem Gründer der Rabbiner- und Kantorenschule "Aleph", eine Urkunde als Kantor. 2008 erhielt er einen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin), 2013 einen Master (Universität Potsdam). Ab 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Abraham Geiger Kolleg mit Studienaufenthalten in Israel, die er 2013 mit der Ordination zum Rabbiner abschloss. 1998 - 2011 amtierte Alexander Nachama zunächst als ehrenamtlicher Vorbeter, später als Kantor in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. In den Jahren 2012 - 2018 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Von 2018 bis August 2023 war er Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 03. November 2023 | 15:45 Uhr

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