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Schabbat Schalom | MDR KULTUR | 22.09.2023Hat der Staat Israel eine religiöse Grundlage – oder nicht?

22. September 2023, 12:00 Uhr

Hat der Staat Israel eine religiöse Grundlage – oder nicht? Die Unabhängigkeitserklärung vom Mai 1948 lässt die Frage bewusst offen. Und verweist doch auf jenen Berg, von dem aus Mosche das gelobte Land erblickte, wie der Dresdner Kantor Elija Schwarz in seiner Auslegung des Wochenabschnitts für "Schabbat Schalom" erläutert.

Nach drei Ansprachen an das jüdische Volk, welches sich vor dem unmittelbar bevorstehenden Einzug ins Heilige Land versammelt hatte, stimmt Mosche nun sein Lied an. Er besingt dabei Vergangenheit und Zukunft des Volkes und zieht daraus auch Lehren. Um die Treue des ewig Gerechten und den Ungehorsam des Volkes zu bezeugen, ruft er Himmel und Erde und somit das ganze All an. Sie sollen das bezeugen, was er nun sagen will.

Gott offenbarte sich seinem Volk in der Wüste und gab ihm Schutz und Nahrung. Doch das Volk zeigte sich undankbar und diente Götzen. Das geschah und wird wieder geschehen. Die Strafe, die Er verheißt, ist "Hester Panim". Gott verhüllt sein Angesicht, um nicht den Ungehorsam und die Rebellion seines Volkes sehen zu müssen, welches sich von Ihm abwenden wird.

Vom Berg Nebo auf das gelobte Land sehen

Doch Er wird sein Volk nicht vernichten, um keinen Zweifel und Spott am Gott Jissra'els unter den Völkern aufkommen zu lassen. Obwohl Sein Volk immer wieder die falschen Pfade betritt, wird Er es nicht fallen lassen. Er wird für es Partei ergreifen und zur rechten Zeit die Völker bestrafen. Mosche steht vor Jehoschu‘a und fordert das Volk auf, die Tora zu befolgen. Der Ewige gebietet ihm nun, auf den Berg Nebo zu steigen, von dem aus er Erez Jissra'el sehen kann und auf dem er sterben wird.

HaAsinu, unser Wochenabschnitt, unterscheidet sich wesentlich von den vorangegangenen Wochenabschnitten. Zwar ist er nur ein Kapitel lang, steckt aber voller sprachlicher und inhaltlicher Schwierigkeiten. Aber bleiben wir bei etwas Einfachem.

"Ein Stückchen Erde, vier Ellen im Quadrat"

In Vers 32,8 lesen wir: "Als der Höchste Besitz gab den Völkern und verteilte die Kinder Adams, setzte er die Grenzen der Völker nach Anzahl der Kinder Jissra'els." Gott hat nicht nur Himmel und Erde geschaffen, sondern lenkt auch die Weltgeschichte. Die Völker sind seine Werkzeuge, mit denen er ein bundestreues Jissra‘el schmiedet auf dem Amboss der Weltgeschichte. Weil es so in Gottes Hand ist, ist das Volk einerseits in Gefahr und andererseits gerettet, denn es ist auch Gottes Anteil in dieser Welt. Ein Midrasch, eine Schriftauslegung, fragt nach Gottes Besitz an seiner eigenen Schöpfung und antwortet: "Nichts außer einem Volke. Er hat wirklich nichts von dieser Welt als jenes Stückchen Erde, vier Ellen im Quadrat, wo ein Jude Seine Tora lernt."

Nach einfacher Lesart des Verses 32,8 geschieht das Festsetzen und Verschieben der Grenzen zwischen den Völkern nur wegen den Bnej Jissra'el, den Nachkommen Israels. Alles dreht sich um sie, und die auslösenden Konflikte dieser Welt geschehen nur wegen ihres Einflusses auf das jüdische Volk. So ist die Sicht der Tora.

Das Osmanische Reich hatte zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende reichlich Konflikte mit europäischen Mächten, aber gute Beziehungen zum Deutschen Reich und verbündete sich im Ersten Weltkrieg auch militärisch mit dem Deutschen Reich. Das erwies sich als eine große Fehlentscheidung und 1922 war "der kranke Mann vom Bosporus" tot. Seine Hinterlassenschaften wurden aufgeteilt, und ein kleiner Landstrich zwischen Ägypten und Syrien wurde britisches Protektorat. Die Briten kamen mit dem Erbe der Osmanen nicht zurecht, und auch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges einerseits und der Scho'a andererseits waren heftig bis in diese Gegend zu spüren. Quasi wegen einer Fehlentscheidung der Osmanen entstand der Staat Israel.

Ich hatte schon auf die sprachlichen Schwierigkeiten dieser Parascha hingewiesen, und eine Besonderheit des Textes ist der sechsmalige Gebrauch des Wortes "Zur". In Schmot (2. Buch Mosche) begegnet uns das Wort als Fels beziehungsweise felsiger Berg, und bei Jesaja auch als Steinbruch. Meist wird damit etwas bezeichnet, auf das man bauen kann, eine zuverlässige Grundlage. Doch bleiben wir bei den Folgen der osmanischen Fehlentscheidung und schauen wir in das Jahr 1948.

Premierminister David Ben-Gurion (stehend) verkündet in Tel Aviv vor Mitgliedern der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel, unter einem Porträt-Bild von Theodor Herzl, Begründer des politischen Zionismus. Bildrechte: picture-alliance / dpa/dpaweb | -

14. Mai 1948: Staatsgründung Israels

An einem Freitag, dem 14. Mai, hatte man in die provisorisch zu diesem Zwecke umdekorierten Räume des Museums für Kunst am Rothschild-Boulevard No. 16 in Tel Aviv um die 250 Gäste geladen, um die israelische Unabhängigkeitserklärung zu unterschreiben. Teppiche wurden genauso wie die Tontechnik und die Bestuhlung aus der Nachbarschaft zusammengeborgt, die Aktbilder wurden verhängt und stattdessen Theodor Herzls Bild aufgehängt. Irgendwann fiel auf, dass man im Text der Unabhängigkeitserklärung vergessen hatte, einen Gottesbezug herzustellen.

Es war die Grundkonstellation für das, was wir täglich in Israel erleben können. Die Religiösen waren für und die Säkularen gegen einen Gottesbezug.

Es pressierte aber zeitlich sehr, der Schabbat nahte, in der Nacht würde das Völkerbundmandat der Briten enden, und so einigte man sich auf den Kompromiss "Zur Jissra‘el". Und so heißt es gegen Ende in der Unabhängigkeitserklärung, in der Megilat HaAzma'ut: "Mit Zuversicht auf den Fels Israels setzten wir unsere Namen zum Zeugnis unter diese Erklärung." Dem "Zur Jissra'el" zu danken hatte keiner ein Problem, auch wenn möglicherweise jeder etwas anderes darunter verstand.

Schabbat Schalom

Zur Person: Elija SchwarzElija Schwarz (*1969) arbeitet als Kantor für die Jüdische Gemeinde zu Dresden. Außerdem ist er als Kantor und Religionslehrer für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen tätig und auch für das Jüdische Seniorenheim Hannover zuständig. Zuvor war er fünf Jahre lang Kantor der Etz-Chaim-Synagoge in Hannover. Darüber hinaus betreut er seit fast zwei Jahrzehnten die Jüdische Gemeinde Elmshorn in Schleswig-Holstein. Wenn er nicht dienstlich unterwegs ist, lebt Elija Schwarz in Bitterfeld.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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