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MDR KULTUR | 09.02.2024Schabbat Schalom mit Katia Novominski: "Lebt das Leben!"

19. Januar 2023, 11:18 Uhr

Das Leben mit seinen positiven und negativen Seiten zu leben, und in allem den spirituellen Aspekt zu entdecken – das empfiehlt die Religionspädagogin Katia Novominski aus Halle in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Mischpatim". "Man kann die wahre Spiritualität nicht allein im Wald oder in einer Höhle finden", ist die vierfache Mutter überzeugt.

Diese Woche lesen wir den Wochenabschnitt Mischpatim – zu Deutsch: Gesetze oder Rechte. Die Tora beginnt hier das Kapitel 21, Vers 1 direkt und unvermittelt mit dem Satz: "Und das sind die Rechte, die du ihnen vorlegen sollst." Und tatsächlich lernen wir diese Woche ganze 53 Ge- und Verbote kennen, was nicht wenig ist.

Eigentlich ist es eine super logische Sache – letzte Woche im Abschnitt Jitro hat das jüdische Volk die Tora erhalten, und so macht es durchaus Sinn, nun die wichtigsten Regeln kennen zu lernen. Und doch macht uns dieser Wochenabschnitt stutzig. Etwas passt hier nicht zusammen.

Die Übergabe der Tora wird als ein einschneidendes und einmaliges Erlebnis beschrieben – die Welt stand still und wurden dann erschüttert durch die unglaubliche Offenbarung G´ttes. Einen mächtigeren spirituellen Höhepunkt kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Und so erwartet man, dass unmittelbar darauf die Gesetze und Regeln für die Spiritualität kommen. Man erwartet ein Rezept, das dem Leben einen höheren Sinn gibt.

Und was erhalten wir stattdessen? Eine Menge an Gesetzen und Regeln fürs tagtägliche Leben. Zunächst etliche Gesetze zum Umgang mit Sklaven. Ernsthaft? Dann Verpflichtungen eines Ehemannes seiner Ehefrau gegenüber, Gesetze bzw. Strafen für verschiedene Vergehen, Klärung von Entschädigungen bei Schäden, einige soziale und landwirtschaftliche Themen werden angesprochen.

Was ist der höhere Sinn, der Weg zur Spiritualität?

Ist das nicht enttäuschend? Wie soll man da etwas für die eigene Seele tun? Wo bleiben Gebete, spirituelle Praktiken – Meditationen vielleicht oder der Rückzug aus dem tagtäglichen Trubel des Lebens? Sollte man sich nicht lieber zurückziehen, um G´tt zu suchen?

Keinesfalls, sagt uns die Tora, und sendet uns in Mischpatim eine klare Botschaft. Das tagtägliche Leben, unser Umgang mit den Mitmenschen, mit den Schäden, die landwirtschaftlichen Gesetze, die Speisegesetze und so weiter und so fort – das IST der Weg zur Spiritualität. Wir sollen mit beiden Beinen im Leben stehen und das Leben mit allen seinen positiven und negativen Seiten leben. Wir sollen uns bemühen, in jeder einzelnen Handlung den spirituellen Aspekt zu finden. Deswegen folgen die Gesetze unmittelbar auf die Übergabe der Tora, um diesen Gedanken zu unterstreichen.

Man kann die wahre Spiritualität und Beziehung zu G´tt nicht allein im Wald oder in einer Höhle finden. Es ist einfach, ein guter Mensch zu sein, wenn einem keine anderen Menschen begegnen. Wer kennt das nicht? Man(n) ist nur der perfekte Ehemann, wenn man keine Ehefrau hat, und die perfekte Ehefrau nur ohne Ehemann. Die perfekten Eltern sind bekanntlich Menschen ohne Kinder.

Man kann die wahre Spiritualität nicht allein im Wald oder in einer Höhle finden.

Katia Novominski

Die Tora sagt es uns allen ganz klar: Lebt das Leben! Und wenn ihr das tut, dann könnt ihr auf diesem Weg auch den Zugang zu eurer eigenen Spiritualität finden.

In diesem Sinne – Schabbat schalom!

Zur Person: Katia NovominskiKatia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten - Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von vier Söhnen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 09. Februar 2024 | 15:45 Uhr