Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio

Religion & Gesellschaft

KalenderGottesdiensteJüdisches LebenKontakt

Schabbat Schalom mit Rabbinerin Esther Jonas-MärtinVajigasch - Mit Versöhnung beginnt Frieden

22. Dezember 2023, 13:40 Uhr

Menschen können über ihre schmerzhafte Vergangenheit hinauswachsen. Wer Empathie und Mitgefühl entwickelt – für sich selbst und für andere – wird fähig zur Versöhnung. So beginnt Frieden, sagt die Leipziger Rabbinerin Esther Jonas-Märtin.

Unser heutiger Text Vajigasch (hebr. "Und er kam näher“) ist eine der emotionalsten Geschichten der gesamten Tora. Alles beginnt damit, dass Joseph, inzwischen zweiter Mann im Staat, einen kostbaren Becher in der Satteltasche von Benjamin versteckt, dem zweitjüngsten der Brüder, die nach Ägypten gekommen waren, um Hilfe zu erbitten in der herrschenden Hungersnot. Der Becher wird entdeckt und Benjamin des Diebstahls verdächtigt. Joseph droht damit, Benjamin in Haft zu nehmen, bis die Brüder mit dem Vater Jakob zu ihm zurückkehren.

"Vajigasch Judah" - Judah kommt auf Joseph zu und bietet ihm an, an Benjamins Stelle in Haft zu bleiben, wenn dieser nur nach Hause zurückkehren dürfe. Joseph ist zutiefst berührt, war es doch Judah vor vielen Jahren, der ihn, Joseph, damals als jüngsten der Brüder in die Sklaverei verkauft hatte.

Joseph gibt sich zu erkennen

Triebfeder für den Verrat der Brüder war Neid. Joseph sieht, dass sich seine Brüder verändert haben, dass sie nun einerseits einen der ihren nicht im Stich lassen und andererseits empathisch genug sind, dem Vater den erneuten Schmerz um ein verlorenes Kind zu ersparen. Daraufhin wendet sich Joseph seinen Brüdern zu und gibt sich zu erkennen.

Er sagt ihnen, dass sie sich nicht fürchten sollen, und dass sie keine Angst zu haben brauchen vor Rache. Ganz im Gegenteil: Joseph stellt seine Familie dem Pharao vor und bietet ihnen Heimat, Nahrung und ein Auskommen in einer der fruchtbarsten Regionen Ägyptens an: Goschen.

Joseph wächst über seine schmerzhafte Erinnerung hinaus

Diese Wendung ist einigermaßen erstaunlich, hätte doch Joseph jedes Recht dazu, seine Verantwortung gegenüber anderen zu vergessen, angesichts dessen, was er erlebt hatte. Indes, er trifft eine andere Entscheidung. Indem er über seine schmerzhafte Vergangenheit hinauswächst, ist er fähig im Frieden mit seinen ägyptischen Nachbarn und seiner Familie zu sein. Bis heute hält Joseph für uns diese Weisheit bereit. Seine Handlungen sind Inspiration für die Mitzwah, das göttliche Gebot, die Hungrigen zu versorgen.

Und auch die Entwicklung von Judah kann uns inspirieren. Judah ist nicht steckengeblieben in Neid und Gefühlen des Nichtgenügens, er trifft Entscheidungen nun auf der Basis von Empathie, Mitgefühl und reagiert, wenn notwendig, mit Selbstaufopferung: er ist es, der vortritt und sich selbst anbietet, um die anderen zu retten.

Frieden entsteht durch Mitgefühl

Wenn Sie Ihren Bruder oder Ihre Schwester im Stich gelassen haben, dann kann das heilen, wenn Sie sich anders verhalten. Wenn Sie nicht von Neid geleitet werden, weil jemand anderes besser behandelt wird als Sie, dann kann Versöhnung entstehen. Frieden beginnt, indem Sie Empathie und Mitgefühl aufbringen. Frieden im Hebräischen beschreibt nicht nur die Abwesenheit von Krieg, es meint "Ganzheit" und "Vollständig-Sein".

In diesem Sinne, seien Sie im Frieden: Schabbat Schalom!

Zur Person: Rabbinerin Esther Jonas-MärtinEsther Jonas-Märtin studierte Jüdische Studien, Literaturwissenschaft, Moderne Geschichte und Religionswissenschaften in Leipzig und Potsdam und erwarb 2006 den Master of Arts.

2017 schloss sie ihr Studium zur Rabbinerin mit dem Master of Arts in Rabbinics und der Rabbinischen Ordination in Los Angeles ab.

Sie ist Initiatorin und Gründerin des Lehrhauses Beth Etz Chaim in Leipzig (2018) sowie Referentin und Autorin einer Vielzahl von Artikeln und Beiträgen in den Themenbereichen: moderne jüdische Geschichte, Gender, Jiddische Poesie, Jüdische Ethik und Judentum.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Mehr über Schabbat Schalom im MDR

Mehr zum Judentum und Gemeinden in Mitteldeutschland

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 22. Dezember 2023 | 15:45 Uhr

Mehr aus Religion und Gesellschaft im MDR