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Der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla in der Leipziger Synagoge Bildrechte: MDR/Wolfram Nagel

Schabbat Schalom | MDR Kultur | 13.05.2022Schabbat Schalom mit Rabbiner Zsolt Balla: Was Wohltätigkeit bedeutet

12. Mai 2022, 14:49 Uhr

Wie können wir in unserem täglichen Leben Nächstenliebe praktizieren und gute Taten vollbringen? Indem wir zu allererst auf die Bedürfnisse unserer Mitmenschen achten, meint der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla und blickt auf die Tora, in seiner Auslegung des Wochenabschnitts Emor.

Im Zusammenhang mit der Aufzählung des jährlichen Zyklus' der Feiertage sagt die Tora im 3. Buch Mose, Kapitel 23, Vers 22: "Und wenn du die Ernte deines Landes einbringst, sollst du nicht bis zu den Ecken deines Feldes aufräumen, wenn du erntest, und sollst auch keine Nachlese von deiner Ernte sammeln; du sollst sie den Armen und den Fremden lassen; ich bin der Ewige, dein Gott". Dieser Vers wiederholt zwei Gebote der Tora, die in der Woche zuvor im wöchentlichen Tora-Abschnitt Kedoschim, im 3. Buch Mose, Kapitel 19, Vers 9, gelesen wurden. Diese Gebote sind Taten der Güte gegenüber den Bedürftigen der Gesellschaft: das Gebot der "Pea" – "der Seite", der Teil der Ernte, der für die Armen stehen gelassen werden muss, und das Gebot der "Leket" – "der Nachlese", Ähren, die bei der Ernte aus der Sichel oder der Hand des Schnitters fallen und für die Armen übrigbleiben müssen.

Warum werden die Gebote Pea und Leket, die wir vor einer Woche gelesen haben, im Thora-Abschnitt dieser Woche fast wortwörtlich wiederholt, nur jetzt in einem anderen Kontext, dem Kontext des Festzyklus?

Almosen oder Hilfe?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir eine grundsätzlichere Frage stellen: Warum sind diese Gebote überhaupt notwendig? Befiehlt uns die Tora nicht das übergreifende Gebot der "Zedaka", der Almosen, dem Armen zu helfen? Im 5. Buch Mose heißt es in Kapitel 15, Vers 18: "Du aber sollst deine Hand weit ausbreiten zu ihm und sollst ihm leihen, was er braucht, was ihm fehlt." Mit anderen Worten: So oder so müssen wir die Bedürfnisse der Armen in unserer Gemeinschaft decken.

Warum spielt es für die Tora eine Rolle, wie wir dies erreichen? Ob wir unsere Felder vollständig abernten und den Armen dann den gesamten Betrag, den sie benötigen, in bar ausgeben? Oder ob wir einen Teil davon den Armen überlassen, damit sie ihn selbst sammeln können?

Nächstenliebe und Wohltätigkeit als tägliche Aufgabe

Das Sefer HaChinuch, das Buch der Erziehung, ein mittelalterliches rabbinisches Werk eines unbekannten Autors, das die 613 Gebote aufzählt, schlägt eine mögliche Antwort auf unsere beiden Fragen vor. Es sagt, dass unsere Ausführung dieser Gebote, wie der jährliche Festkalender, dazu dient, Güte und Gebote, Mizwot, in das Muster unserer Existenz einzubetten. Zedaka, Nächstenliebe und Almosen, ist nicht nur ein Gebot, sondern eine Lebensweise! In einer Agrargesellschaft, in der die Menschen von der Landwirtschaft lebten, wurde dies durch die Gebote von Pea und Leket erreicht. Jeden Tag, an dem ein Bauer pflügte und pflanzte und die Ecke des Feldes leer ließ, arbeitete er Zedaka, Nächstenliebe, und Chessed, Wohltätigkeit, in seinen Tagesablauf ein. An jedem Tag, an dem ein Bauer erntete und die Nachlese für die Armen stehen ließ, tat er dasselbe. So wie der jüdische Kalender in den bäuerlichen Kalender eingewoben war, so war es auch mit der täglichen Wohltätigkeit.

Alternativ dazu sind die Menschen während der Feiertage mit dem Dienst an Gott beschäftigt. Und selbst in dieser Zeit müssen wir auf die anderen achten.

Moderne Wege finden, auf Mitmenschen achten

In der Praxis lässt sich die Methode der Tora, solche Chessed, solche guten Taten, in unser tägliches Leben einzuflechten, nicht immer automatisch auf den Lebensstil und den Arbeitsplatz des 21. Jahrhunderts übertragen. Es liegt an uns, die modernen Entsprechungen von Pea und Leket zu finden, Wege zu finden, wie wir Zedaka, Almosen, und Chessed, Wohltätigkeit, in unser tägliches Leben einflechten können - sowohl zu Hause in unseren Gemeinschaften als auch an unseren Arbeitsplätzen und sogar in unseren religiösen Räumen, wo wir in den Dienst Gottes eingetaucht sind. Wir müssen unsere Augen ständig für unsere Mitmenschen und ihre Bedürfnisse offenhalten.

Schabbat Schalom!

Zur Person: Zsolt BallaRabbiner Zsolt Balla wurde in Budapest, Ungarn, geboren. Er hat einen Master of Science als Wirtschaftsingenieur. Früh sammelte er Erfahrungen als Dozent bei jungen jüdischen Lerngruppen. Im Jahr 2009 schloss er seine Ausbildung als Rabbiner am Rabbinerseminar zu Berlin ab und trat die Stelle als Gemeinderabbiner in der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig an. Seit 2012 ist Zsolt Balla Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. Außerdem leitet er als Direktor das Institut für Traditionelle Jüdische Liturgie. Seit 2019 ist er Landesrabbiner in Sachsen, seit Juni 2021 Militärbundesrabbiner. Zsolt Balla lebt mit seiner Frau Marina und drei Kindern in Leipzig.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 13. Mai 2022 | 15:45 Uhr

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