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Schabbat Schalom | MDR KULTUR | 29.09.2023Sukkot: Woran das Laubhüttenfest erinnert

29. September 2023, 12:02 Uhr

Im Anschluss an die Hohen Feiertage wird das Laubhüttenfest sieben Tage lang gefeiert, 2023 vom 29. September bis 6. Oktober. Vergleichbar ist es mit dem Erntedankfest hierzulande. Dabei erinnert Sukkot vor allem an die Wüstenwanderung der Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten, als sie nur in unbefestigten Hütten aus Ästen und Zweigen wohnen konnten. So ist es bis heute Brauch, zum Laubhüttenfest unter freiem Himmel eine Sukkah zu bauen und darin während des Festes zu essen und zu schlafen. Die Leipziger Rabbinerin Esther Jonas-Märtin blickt in "Schabbat Schalom" aus heutiger Sicht darauf.

Willkommen: Es ist Schabbat, und es ist Sukkot, Erev Sukkot, der erste Tag von Sukkot. Sukkot, das Laubhüttenfest, wird unmittelbar im Anschluss an die Hohen Feiertage begangen. Gleich nachdem Jom Kippur zu Ende gegangen ist, beginnt man mit dem Bau der Sukkah, der Laubhütte. Traditionell wird in der Sukkah gerne mit vielen Gästen gegessen, manche wohnen und schlafen sogar darin.

Bildrechte: IMAGO

Wofür der Feststrauß Lulaw steht

Neben der Sukkah gibt es noch ein anderes Utensil, das für dieses Fest steht: der Lulaw, ein Feststrauß, der aus vier verschiedenen Teilen besteht.

Vier Arten: Alle für Eine, Einer für alle. Wie bei den Musketieren, jeder ist ein Typ für sich, aber so richtig stark sind sie nur zusammen. Was bedeutet die vier Arten im Lulaw, wofür steht er, und was bedeutet der Lulaw für Zusammenhalt und Umgang mit unseren Unterschieden?

In einer Zeit, in der wir mehr und mehr polarisiert und vereinzelt dastehen, sei es in politischer oder religiöser Hinsicht, ist es tröstlich an die Botschaft der vier Arten des Lulaw zu erinnern.

Der Lulaw besteht aus dem Zweig einer Dattelpalme, einer Myrte, einer Weide und einer Zitrusfrucht, dem Etrog. Während des achttägigen Festes wird der Lulaw in den Gottesdienst eingebunden, der Strauß in bestimmter Weise gehalten und zum Gebet in bestimmter Weise geschüttelt.

Der Strauß beinhaltet Arten, die jeweils Sinne ansprechen: Geruch, Geschmack, Tastsinn und: er ist ein Fest für die Augen.

Abgesehen von unseren verschiedenen Sinnen, stehen die vier Arten auch für die verschiedenen Arten unter uns Jüdinnen und Juden.

Bildrechte: picture-alliance/ dpa

Palmzweig, Myrte, Weide, Etrog

Im Midrasch, einer wichtigen Form rabbinischer Auslegungsliteratur,  werden der Lulaw und damit die vier Arten zur symbolischen Verbindung vierer verschiedener Kenntnisse des Judentums und seiner Observanz. Der Palmzweig steht für die Person,  welche die Tora studiert, aber die Gebote, die Mitzwot, nicht erfüllt.

Die Myrte repräsentiert die Person, welche die Mitzwot erfüllt, aber kein Torastudium betreibt. Die Weide steht für den, der weder die Mitzwot hält noch die Torah studiert. Und schließlich der Etrog - dieser steht für die Person, die sowohl die Tora studiert als auch die Mitzwot einhält.

Es ist interessant, dass nicht der Etrog allein dafür steht, diese spezielle Mitzwah zu Sukkot zu erfüllen, es braucht alle vier Arten. Das ist eine sehr machtvolle Botschaft: Jeder Jude, jede Jüdin, muss – unabhängig vom  Lernstand und  der religiösen Praxis,  als Teil dessen gesehen werden, was unsere Einheit formt.  Jeder und jede von uns gehört zu einer Gemeinschaft – wir alle sind geschaffen in G‘‘ttes Ebenbild.

Rituale dienen der Erinnerung, um Geist und Seele zu öffnen

Wir sind Individuen, und wir sind Teil von Gemeinschaften. Innerhalb jüdischen Lebens und jüdischer Praxis ist es sehr einfach, die Rituale auszuführen, ohne über deren Bedeutung weiter nachzudenken, aber Rituale, wie gerade dieser Feststrauß, sind kein Selbstzweck, sondern  dienen der Erinnerung. Sie erinnern daran, was eigentlich wichtig ist, und worauf wir uns eigentlich konzentrieren sollten. Es beginnt mit dem  Äußerlichen, dem Ausführen des Rituals, wenn wir den Lulaw in die Hände nehmen, mit beiden Händen alle vier Arten umfassen, wenn wir dann in alle sechs Richtungen weisen und damit unseren Geist und unsere Seele öffnen.

Nun beginnt das eigentlich Wichtige: das Wahrnehmen des Subtextes, das Willkommenheißen unserer Unterschiede und das Willkommenheißen unserer geistigen Beweglichkeit.

Wir sind Individuen, und wir sind heutzutage Teil von mehr als nur einer Gemeinschaft. Das Ritual des Lulaw können wir für alle diese Gemeinschaften mitnehmen und für uns gestalten, wenn ...

Ja, wenn wir unsere Verschiedenheiten und unsere unterschiedlichen Richtungen in positiver Weise miteinander verbinden, wenn wir mit beiden Händen unsere Unterschiede festhalten und in unseren jeweiligen Gemeinschaften füreinander Verantwortung übernehmen.

Möge dieser Schabbat und die nächsten Tage in der Sukkah ganz im Zeichen unserer Unterschiede stehen, mögen wir imstande sein, Unterschiede als Bereicherung wahrzunehmen und mögen wir einander ergänzend unterstützen.

Schabbat Schalom! Chag Sukkot Sameach! Ein fröhliches Sukkot!

Zur Person: Rabbinerin Esther Jonas-MärtinEsther Jonas-Märtin studierte Jüdische Studien, Literaturwissenschaft, Moderne Geschichte und Religionswissenschaften in Leipzig und Potsdam und erwarb 2006 den Master of Arts.

2017 schloss sie ihr Studium zur Rabbinerin mit dem Master of Arts in Rabbinics und der Rabbinischen Ordination in Los Angeles ab.

Sie ist Initiatorin und Gründerin des Lehrhauses Beth Etz Chaim in Leipzig (2018) sowie Referentin und Autorin einer Vielzahl von Artikeln und Beiträgen in den Themenbereichen: moderne jüdische Geschichte, Gender, Jiddische Poesie, Jüdische Ethik und Judentum.

Schabbat Schalom bei MDR KULTURDie Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

Mehr über Schabbat Schalom im MDR

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 21. Juli 2023 | 15:45 Uhr

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