Selbstbestimmt lebenMit Behinderung (un)eingeschränkt Mutter sein
Als Mutter vorbehaltlos akzeptiert zu werden – auch mit Behinderung – das wünschen sich Janne, Francés und Bettina. Doch sie müssen darum kämpfen, denn noch immer passen in unserer Gesellschaft Mutterglück und Behinderung nicht unbedingt zusammen. Unterstützung erfahren die Frauen dabei von Familie und Vereinen.
Anders als andere junge Frauen muss sich Janne Engeleiter immer wieder rechtfertigen, wenn es um ihren Kinderwunsch geht. Der Grund ist ihre Sehschwäche. Aufgrund eines angeborenen Sehfehlers besitzt sie nur fünf Prozent Sehkraft. Diese Sinnesschwäche könnte sie vielleicht auch an ihre Kinder vererben. Doch das ist für sie kein Argument, auf Kinder zu verzichten:
Ich vererbe meinen Kindern keine schmerzhaften Krankenhausaufenthalte, keine Medikamenteneinnahme oder Arzt-Odysseen. Ich vererbe meinen Kindern nur schlechte Augen.
Janne Engeleiter
Zum Film (auch in Gebärdensprache und Audiodeskription)
Selbständig mit Sehbehinderung
Die 27-Jährige absolviert nach ihrem Studium der Sozialen Arbeit eine Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. Ihr Partner Max Prügel studiert Maschinenbau. Janne Engeleiter kann ihren Freund zwar nur verschwommen erkennen, ist im Wesentlichen aber nicht auf seine Hilfe angewiesen.
Die starke Kurzsichtigkeit hindert die Cottbusserin nicht daran, ihre Träume zu verwirklichen. Als Leichtathletin nahm sie an den Paralympics in Rio 2016 und in Tokio 2021 teil. Ein anderer Traum ist ihr Beruf: Als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin will sie jungen Menschen Wege aufzeigen, wie sie Probleme überwinden können.
Janne Engeleiters Bruder kam mit der gleichen Sehbehinderung auf die Welt, obwohl beide Elternteile unbelastet sind: "Meine Eltern haben es geschafft, ohne die Erfahrung einer Behinderung meinem Bruder und mir Mittel an die Hand zu geben, dass wir selbstbestimmt und selbständig leben. Warum sollte ich das umgekehrt nicht an meine eigenen Kinder weitergeben können?"
Mutterglück nicht vorgesehen
Eine Sportskameradin von Janne ist Francés Herrmann. Die Speerwerferin gewann bei den Paralympics in Tokio die Silbermedaille. Doch Francés ist nicht nur Leistungssportlerin und Sozialarbeiterin, sondern seit anderthalb Jahren auch Mutter. Ihren Sohn Henry nach dem Training von der Krippe abzuholen, ist für sie der schönste Moment des Tages, sagt sie.
Francés lebt mit einer inkompletten Querschnittlähmung, einer spastischen Tetraparese, bedingt durch Sauerstoffmangel bei ihrer Geburt. Ihr Sohn Henry ist ein Wunschkind. Doch ihr Mutterglück teilten anfangs nur wenige. Auch ihr Arzt äußerte Bedenken und die Pflegekasse reagierte abweisend.
Das war ein bisschen so, als sollte das nicht in meinem Lebensplan vorkommen, dass ich jemals ein Kind bekommen würde. Mir wurde gesagt, dass es da keine Möglichkeiten seitens der Pflegekasse gibt, weil das einfach nicht vorgesehen ist, dass pflegebedürftige Frauen Kinder bekommen.
Francés Herrmann
Die Familie hilft
Doch Francés hat an ihrer Seite zwei starke Frauen, die sie unterstützen: Oma Hannelore Herrmann und ihre Mutter Simone. Beide wohnen in ihrer Nähe, die Oma im ersten Stock des barrierefreien Hauses, die Mutter nur wenige Kilometer entfernt.
Das hat sicherlich auch etwas mit meiner Erziehung zu tun – diese Stärke, die ich mitbekommen habe. Hätte ich die nicht von meiner Mama bekommen und hätte sie sich immer dem angeschlossen, was andere empfohlen haben, dann wäre es auch für mich schlechter ausgegangen.
Francés Herrmann
Ein langer Weg zur Unterstützung
Ein starker familiärer Halt fehlt Bettina Wohlgemuth. Die Mutter von vier Kindern lebt mit dem Fibromyalgie-Syndrom. Diese chronische Erkrankung äußert sich vor allem in massiven Schmerzschüben in verschiedenen Körperregionen.
Schon früh litt Bettina an den Symptomen, doch erst nach über 20 Jahren verzweifelter Suche nach den Ursachen stand 2019 die Diagnose fest. Früher spielte die 39-Jährige Kammerkonzerte und unterrichtete. Heute kann sie ihren Beruf als Musikerin nicht mehr ausüben.
Seit ihrer Diagnose wird Bettina ein Behinderungsgrad von 30 zuerkannt. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente steht ihr damit nicht zu. Sie lebt von ALG 2 und der Tafel - und sie ist alleinerziehend.
Hilfe durch Assistenzkräfte
Doch Bettina findet Unterstützung beim Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern und in der EUTB – der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung in Görlitz. Dort erfährt sie, dass sie ein Recht auf die personelle Unterstützung im Alltag durch Assistenzkräfte hat.
In Bettinas Fall teilen sich drei Elternassistentinnen eine Stelle. Sie kompensieren, was Bettina durch ihre chronische Erkrankung körperlich nicht schafft. Durch deren Unterstützung und das wachsende Verständnis für ihre Krankheit verändert sich auch Bettinas Selbstwahrnehmung.
Ich bin viel mehr als meine Krankheit. Meine Kinder erlebe ich als das größte Geschenk, was ich im Leben habe. Ich bin tatsächlich – das hört sich jetzt kitschig an – froh über jeden Tag, den ich mit meinen Kindern verbringen kann.
Bettina Wohlgemuth
Janne Engeleiter hat noch keine Kinder, wünscht sich aber später zwei oder drei. Über die Frage, warum sie von vermeintlich gesunden Menschen als Mütter mit Behinderung in Frage gestellt werden, denkt sie oft nach. Dass es Defizite geben wird, ist ihr klar. Doch letztlich zählt für sie vor allem eins:
Die Grund-Voraussetzung als Mutter ist für mich, mein Kind zu lieben und bereit zu sein, alles für es zu tun. Das kann man auch als Mensch mit Behinderung. Für alles andere finden sich Mittel und Wege.
Janne Engeleiter
Wiederholung aus dem Jahr 2021
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 28. Januar 2024 | 08:00 Uhr