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Abbruch des Larsen Schelfeises am Weddell-Meer 2014: Am Ende der letzten Eiszeit ging hier das Eis 50 Meter am Tag zurück. Bildrechte: imago images/Ardea

Wie am Ende der EiszeitAntarktis-Schelfeis könnte 50 Meter am Tag schrumpfen

28. Mai 2020, 20:00 Uhr

Das Schelfeis der Antarktis-Küsten könnte sich weit schneller zurückziehen als das momentan der Fall ist. So schrumpften die schwimmenden Eisplatten Ende der letzten Eiszeit mit bis zu 50 Meter am Tag zehnmal so schnell wie heute. Britische Forscher warnen: Sollte der Klimawandel die Eisschelfe des Südkontinents in den kommenden Jahrzehnten weiter schwächen, könnten wir einen ähnlichen Rückgang wie vor 12.000 Jahren erleben.

Mit etwa 1,6 Kilometern im Jahr und knapp 4,5 Metern am Tag ist die Pine Island Bay einer jener Orte in der Antarktis, an denen sich das Schelfeis – also das auf dem Meer schwimmende Eis des antarktischen Eisschildes - derzeit am schnellsten zurückzieht. Rückzugsraten von fast 4,5 Metern am Tag sind jedoch nichts im Vergleich zu dem, was sich am Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren in der Antarktis abspielte.

Mehr als zehn Kilometer im Jahr

Damals zogen sich die Eisschelfe des Südkontinents um 40 bis 50 Meter am Tag zurück, was mehr als zehn Kilometer im Jahr ausmachte. Das haben neuste Forschungen des Scott Polar Research Institute an der Universität Cambridge ergeben, die in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurden. Die Daten zur Studie wurden 2019 im Rahmen der Weddell-Meer-Expedition erhoben, bei der unter anderem die Eisverhältnisse im Weddel-Meer, einem Randmeer des südlichen Ozeans, so detailliert wie nie zuvor untersucht worden waren.

Wellenförmige Höhenrücken am Meeresgrund

Autonome Unterwasserfahrzeuge (AUV) werden zu Wasser gelassen. Bildrechte: Julian Dowdeswell

Neben Satelliten- und Drohnentechnik kamen auch autonome Unterwasserfahrzeuge zum Einsatz. Mithilfe dieser 60 Meter über dem Meeresboden operierenden AUVs gelang es den britischen Wissenschaftlern, bislang einzigartige Bilder vom Grund der Küstengewässer des Weddel-Meeres zu machen. Dabei stießen sie auf zahlreiche feine wellenförmige Höhenrücken am Meeresboden, die jeweils nur etwa einen Meter hoch und 20 bis 25 Meter voneinander entfernt waren. Die Forscher interpretierten diese Höhenrücken als jene Stellen, an denen sich während der letzten großen Eisabschmelze vor 12.000 Jahren die sogenannten Grundlinien gebildet hatten. Das sind jene Zonen, in denen das auf der Erde aufliegende Eisschild zu dem auf dem Wasser schwimmenden Schelfeis übergeht.

Berechnungen mithilfe des Gezeiten-Zyklus

Die Grafik zeigt die heutige Grundlinie, an welcher der Eisschild in das schwimmende Schelfeis übergeht. Davor die Höhenrücken, die beim Rückgang des Eises vor 12.000 Jahren entstanden sind. Bildrechte: Julian Dowdeswell

Die Forscher folgerten, dass diese kleinen Höhenrücken dadurch entstanden waren, dass sich das Eis an den jeweiligen Grundlinien mit den Gezeiten auf und ab bewegte und dabei das Sediment auf dem Meeresboden zusammendrückte. Unter Annahme eines Zwölf-Stunden-Zyklus zwischen Ebbe und Flut und der Messung des Abstands zwischen den Höhenrücken konnten die Forscher somit errechnen, wie schnell sich das Eis am Ende der letzten Eiszeit zurückgezogen hatte. Dabei kamen sie auf die bereits genannten 40 bis 50 Meter am Tag, was mehr als zehn Kilometer im Jahr gewesen wären.

Ähnliche Rückzugsgeschwindigkeiten denkbar

Bathymetrische Daten (Vermessung des Meeresbodens mit Echolot - oben) und daraus errechneteHöhenprofile vom Grund des Weddell-Meeres. Bildrechte: Julian Dowdeswell

Diese Erkenntnis ist für die aktuelle Forschung von großem Wert, wie der Direktor des Scott Polar Research Institute und wissenschaftliche Leiter der Weddell-Meer-Expedition, Professor Julian Dowdeswell, erklärte. "Wir wissen jetzt, dass das Eis in der Lage ist, sich mit weit höheren Geschwindigkeiten zurückzuziehen, als wir sie heute sehen. Sollte der Klimawandel die Schelfeise in den kommenden Jahrzehnten weiter schwächen, könnten wir ähnliche Rückzugsgeschwindigkeiten sehen, mit tiefgreifenden Auswirkungen auf den globalen Meeresspiegelanstieg", sagte Dowdeswell, der zugleich Hauptautor der Studie ist.

Eisschelfe werden immer dünner

Die Agulhas II im Eis des Weddell-Meeres. Bildrechte: Julian Dowdeswell

Tatsächlich beobachtet die Wissenschaft schon seit längerem, dass die Eisschelfe, die etwa drei Viertel der antarktischen Küsten säumen, immer dünner werden. Das liegt zum einen an den wärmer werdenden Wasserströmen, welche die großen schwimmenden Eisplatten von unten her auffressen. Aber auch zunehmend steigende Lufttemperaturen in den antarktischen Sommern lassen das Schelfeis weiter schmelzen. Da die Eisschelfe auch die wichtige Funktion von Stützpfeilern gegen das nachfließende Gletschereis aus dem Innern der Antarktis erfüllen, sorgt ihr Abschmelzen zugleich dafür, dass die Gletscher immer schneller ins Meer fließen.

Wie dramatisch das Wegbrechen der Schelfeis-Stützpfeiler der Antarktis ist, haben bereits die schweren Zusammenbrüche der Larsen A- und B-Schelfeise 1998 bzw. 2002 gezeigt, als sich über 2.000 Quadratkilometer Eismassen in etwas mehr als einem Monat komplett auflösten.

Bathymetrische Karte des Untersuchungsgebietes im Weddell-Meer. Bildrechte: Julian Dowdeswell

(dn)

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