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CoronaOmikron: Warum jetzt Ruhe und Geduld gebraucht werden

30. November 2021, 15:06 Uhr

Virologinnen und Virologen sind angesichts der neuen Corona-Mutante alarmiert. Das müssen sie auch sein. Bevölkerung und Medien hingegen nicht: Denn wie gefährlich Omikron wirklich ist, werden wir erst in Tagen oder Wochen erfahren.

Johannesburg – in der südafrikanischen Provinz Gauteng nahmen die Infektionszahlen besonders zu. Bildrechte: IMAGO / Greatstock

Dass schlimmer offenbar immer geht, na ja, das lehrt uns die Covid-19-Pandemie wohl seit geraumer Zeit. So waren im Frühjahr 2020 die Zahlen der ersten Coronawelle schlimm, das Ursprungsvirus war schlimm, die Ungewissheit, die war erst recht schlimm. Im Grunde hat sich das mit jeder Welle verstärkt, obwohl die Tools, der Pandemie zu begegnen, immer umfangreicher wurden: Schnelltests, Impfung, bessere Verlaufs-Früherkennung. Inmitten der vierten Welle, die in Deutschland bisher Dagewesenes weit übertrifft, tritt Omikron ins Rampenlicht und macht alle noch wuschiger als ohnehin schon.

Grund zur Besorgnis – aber keiner zur Panik

Es gibt aber derzeit weder einen Grund für panische Berichterstattung, noch einen, die Allee vor der Haustür nur noch mit drei FFP2-Masken über der Nase entlangzulaufen. Dass die Omikron-Variante von der Weltgesundheitsorganisation WHO als "besorgniserregend" eingestuft wurde, ist vollkommen nachvollziehbar. Besorgniserregend sind pandemische Auffälligkeiten nun mal, und Omikron ist in Südafrika eben aufgefallen. In seiner Häufigkeit und in seiner Beschaffenheit. Das heißt für Virologinnen und Virologen jetzt ganz genau hinzuschauen. Und das heißt für die Bevölkerung: Den Ball flach halten.

Das betont etwa der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit gegenüber der Deutschen Presseagentur. Alarm in der Wissenschaft bedeutet nicht, dass die Bevölkerung alarmiert sein müsse. Von Panik ganz zu schweigen. Den Ball flach zu halten bedeutet aber auch, sich nicht vorzeitig in sicheren Häfen zu wiegen. Darauf weist die Schweizer Virologin Isabella Eckerle von der Uniklinik in Genf hin:

Um zu verstehen, warum jetzt keine Zeit zum Ausrasten ist (aber auch keine für naive Sorglosigkeit), lohnt sich ein Blick auf das, was gerade passiert. So geht es erstmal darum, zu verstehen, warum die Omikron-Variante so plötzlich in Erscheinung getreten ist. Na ja, so plötzlich ist das gar nicht. Schätzungen im Fachblatt Science zufolge könnte die Variante erstmals Ende September, Anfang Oktober aufgetreten sein. Das ist schon etwas her und klingt erstmal nach einer langsameren Ausbreitung als der Anschein der vergangenen Tage.

Superspreading-Events können täuschen

Da Südafrika in der jüngeren Vergangenheit recht wenige Covid-19-Fälle hatte, könnte die schnelle Ausbreitung auch auf eine Serie von Superspreading-Events zurückzuführen sein, also Zusammenkünfte vieler Menschen mit hohen Ansteckungsraten, die es dem Virus erleichtern, sich schnell auszubreiten. Als Beispiel gelten hier eine Reihe von Superspreading-Events in San Diego in diesem Jahr. Es gab tausende Fälle mit der gleichen Virusvariante, ohne dass die Variante selbst ansteckender gewesen wäre.

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Nach wie vor fraglich ist auch, ob Omikron andere Varianten in Südafrika wirklich so schnell ersetzt hat. Dieses Bild kann verzerrt sein, wenn sich darauf fokussiert wird, vor allem potenzielle Fälle der neuen Variante zu sequenzieren. Nichtsdestotrotz ist Omikron in seiner Beschaffenheit bemerkenswert: Die Liste der Mutationen ist lang. Die sind wichtig – also, aus der Erreger-Perspektive gesprochen –, damit sich das Virus zum einen schnell verbreiten, aber auch der Immunreaktion des Körpers besser entgehen kann. Beispiel: Allein das Spike-Protein, mit dem der Erreger an menschlichen Zellen andockt, hat dreißig Aminosäurenunterschiede im Vergleich zur Ursprungsvariante aus Wuhan. Omikron scheint sich an einem Evolutionsast weit außen zu befinden, mit Abstand zu den bisher bekannten Virusvarianten.

Omikron ist gut ausgestattet

Die neue Variante ist gut aufgestellt, um seine Übertragbarkeit zu erhöhen, das gehört zur Wahrheit dazu. Aber auch, dass sich allein anhand der Mutationszahl nicht sagen lassen kann, wie infektiös ein Virus ist. So scheint es zwar gut darin zu sein, der menschlichen Immunantwort etwas besser zu entwischen. Trotzdem ist nach derzeitigem Stand nicht davon auszugehen, dass Geimpfte und Genese vollständig ihre Fähigkeit verlieren, Omikron zu neutralisieren.

Für verschiedene Länder im südlichen Afrika gilt derzeit ein Beförderungsverbot. Die acht Staaten wurden als Virusvariantengebiet eingestuft. Bildrechte: IMAGO / AAP

Wenn eines im Moment sicher ist, dann, dass sich grundlegendere Aussagen über die neue Variante erst in ein, zwei Wochen treffen lassen. Dieser Ansicht ist auch der in diesen Tagen von Medien oft als besorgt zitierte Virologe Christian Drosten. Seiner berechtigten Sorge gegenüber steht, dass auch er keine Bewertung abgeben kann, ob Omikron noch einen oben draufsetzt. Und dass Impfungen – am besten mit Auffrischung – der beste Weg sind, sich (und andere) vor einem schweren Krankheitsverlauf zu schützen.

Reisebeschränkungen: Lieber vorsorglich

Nun sind die Reisebeschränkungen nach Südafrika, Namibia, Botswana und weiteren Ländern im Süden Afrikas natürlich keine Situation, die der inneren Entspannung zuträglich ist. Reisebeschränkungen sind aber ein wichtiges Werkzeug, Zeit zu gewinnen, bis man weiß, was Sache ist. Falls es sich bei Omikron um eine Variante handelt, die nicht gefährlicher ist als andere, wäre das vorrübergehende Alarmsignal rückblickend ein schwerer Schnitt. Im Süden Afrikas beginnt gerade der Sommer, der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig. Trotzdem hat es südafrikanische Forschende nicht aufgehalten, frühzeitig Alarm zu schlagen. Ein wichtiger und transparenter Schritt. Denn bei einer Pandemie, die schon jetzt so viele Menschenleben gefordert hat, kann man eben nicht vorsichtig genug sein.

flo

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