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Reichen zwei Atomkraftwerke aus, um Deutschland im Winter vor einem Blackout zu bewahren? Forschende sind optimistisch. Bildrechte: IMAGO / Panama Pictures

StromerzeugungStresstest für Stromnetz – Forscher: Deutschland könnte mit blauem Auge davonkommen

07. September 2022, 08:53 Uhr

Um möglichen Stromausfällen im Winter vorzubeugen, sollen zwei der drei verbliebenen Atomkraftwerke länger als geplant einsatzbereit gehalten werden. Forscher halten weitere Vorkehrungen für sinnvoll.

Mut Russlands Angriff auf die Ukraine fing die aktuelle Energiekrise an. Putin revanchierte sich für die Sanktionen gegen sein Land mit dem inzwischen wahrscheinlich vollständigen Stopp seiner Gaslieferungen. Hinzu kommt einerseits der Ausfall zahlreicher französischer Atomkraftwerke, die nach jahrzehntelangem Betrieb sanierungsbedürftig sind. Von den rund 50 Meilern stehen etwa 30 still. Andererseits hat die Dürre Speicherseen und Flüsse ausgetrocknet. Wasserkraftwerke erzeugen kaum noch Strom und auch Kohlekraftwerke können nicht angefahren werden, weil die nötigen Brennstofflieferungen auf dem Wasserweg durch niedrige Wasserstände in den Flüssen ausgebremst werden.

Selbst verschuldet: Bayern blockierte Windräder und Stromnetze gleichzeitig

Droht im Winter also neben der Gas- noch eine Stromkrise? Die vier Unternehmen, die Deutschlands überregionales Hochspannungs-Stromnetz betreiben, haben mögliche Szenarien für den Winter simuliert. Aufgrund des Ergebnisses hat der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck die Abschaltung von zwei der drei verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands verschoben. Die Meiler sollen als Notreserve bis zum Ende des nächsten Frühjahrs erhalten bleiben.

Wie sehen Energieexperten und Forscherinnen die Ergebnisse der Simulation und die beschlossenen Schritte? "Die Empfehlung, die beiden süddeutschen Kernkraftwerke in den Reservebetrieb zu überführen, ist nicht überraschend und leitet sich aus den Versorgungsrisiken vor Ort ab, aber insbesondere auch aus der schleppenden Umsetzung der Energiewende", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Manfred Fischedick vom gemeinnützigen Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Bayern habe seinen Teil zu dieser Krise beigetragen, indem es den Ausbau der Windenergie im Freistaat ebenso verhindert habe wie den Ausbau der Hochspannungsnetze.

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Kommen mit einem blauen Auge davon, wenn alle Maßnahmen schnell umgesetzt werden

Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft an der TU Dortmund, kritisiert, die Stromversorgung sei von der Politik in den vergangenen Jahren auf Kante genäht und vor allem durch russisches Gas abgesichert worden. Allerdings hätte es auch viel schlimmer kommen können, wenn die jetzige Situation erst in ein paar Jahren aufgetreten wäre. "Nachdem mehr Kraftwerke endgültig stillgelegt worden wären, wäre eine Absicherung der Versorgung nicht mehr möglich gewesen. Diesen Winter kommen wir gemäß der Sonderanalyse und all der Maßnahmen, wenn sie denn schnell umgesetzt werden, noch einmal mit einem blauen Auge davon."

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Die jetzige Analyse der Stromnetzbetreiber sieht Manfred Fischedick hingegen positiv. Sie sei valide und nehme nun wesentliche Risiken für die Versorgungssicherheit auf, "inklusive der Wechselwirkungen mit dem europäischen Ausland und hier vor allem dem Status der französischen Kernkraftwerke und in dessen Folge der Stromversorgung in Frankreich".

Abhängigkeit vom Winterwetter – möglicherweise wird ein Abschaltplan notwendig

Doch sei es mit dem jetzigen Stresstest nicht getan, sagt Patrick Jochem, Leiter der Abteilung für Energiesystemanalyse am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Vor Einbruch des Winters seien tiefere Analysen notwendig. "Insbesondere in Zeiten des Klimawandels scheinen die Wind-Wetterjahre doch in ihrer Variabilität zuzunehmen. Ein anders geartetes Windjahr – mit mehr Wind an Wochenenden oder langen Wind-Flauten – könnte zu signifikant anderen Ergebnissen führen", argumentiert er, ebenso wie verschiedene andere Experten.

Insbesondere in Zeiten des Klimawandels scheinen die Wind-Wetterjahre doch in ihrer Variabilität zuzunehmen.

Patrick Jochem, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Eva Hauser vom Institut für Zukunftsenergiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes bemängelt, dass es bislang keinen Abschaltplan für Stromverbraucher gibt, wie ihn Frankreich bereits beschlossen hat. "Viele Stromverbrauchende aus der Industrie, Gewerbe oder den Haushalten besitzen planbare Lastverschiebe- oder gar Abschaltpotenziale, die bei extremen Lastspitzen eingesetzt werden könnten." Weniger Verbraucher könnten hier mehr Sicherheit für das Stromnetz bringen. Dringend sei zudem der beherzte Ausbau der erneuerbaren Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz.

Links/Studien

(ens/smc)