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EnergiewendeWie nachhaltig sind erneuerbare Energien wirklich?

25. November 2022, 12:31 Uhr

Über den Ausbau erneuerbarer Energien möchte Deutschland seine Klimaziele erreichen. Die ältesten Anlagen gelangen in den kommenden Jahren an das Ende ihrer Lebenszeit. Droht nun ein Müllproblem der erneuerbaren Energien?

von Max Beuthner

Die Energiewende ist in vollem Gange. Bis zum Jahr 2030 will Deutschland den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch auf 80 Prozent steigern und so einen großen Teil seines Stroms aus nachhaltigen Energiequellen beziehen. Bis 2045 soll so schließlich das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden. Die Solar- und die Windenergie stellen dabei zwei Grundpfeiler dieses ambitionierten Vorhabens dar. Deutlich wird dies auch am stetigen Ausbau der entsprechenden Infrastruktur. Zwischen 2001 und 2021 hat sich Zahl der Onshore-Windenergieanlagen in Deutschland von 11.438 auf 28.230 mehr als verdoppelt, die kumulierte Leistung stieg dabei bis auf 57.000 Megawatt an. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Bereich der Photovoltaik. Seit dem Jahr 2000 stieg die Leistung der deutschen Anlagen von 114 Megawatt auf knapp 59.000 Megawatt an.

Fehlende Wirtschaftlichkeit ohne EEG-Zulage

Einen ersten Anreiz für den Ausbau der erneuerbaren Energien gab dabei das im Jahr 2000 erstmals in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Dieses sicherte den Betreibern eine Subventionierung über einen Zeitraum von 20 Jahren zu – der gesetzlich festgelegten technischen Lebensdauer der Anlagen. Gerade im Bereich der Windkraft bringt dies einige Probleme mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit der Windräder mit sich. So könnten viele der Anlagen aus technischer Sicht zwar noch einige Jahre weiterlaufen, die Betreiber müssten den Strom dann jedoch an der Börse verkaufen. Der dort gehandelte niedrige Marktpreis macht den Weiterbetrieb der Anlagen schließlich nicht lohnenswert, weswegen es oftmals zur Stilllegung und zum Abbau der Windräder kommt. Das ist nicht nur mit Blick auf das Voranschreiten der Energiewende problematisch, schließlich ist die Windkraft bereits jetzt die wichtigste Stromquelle Deutschlands, auch der dadurch entstehende Abfall kann zum Problem werden.

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Probleme bei der Verwertung von Windkraftanlagen

Aufgrund der langen Laufzeit der Anlagen mussten bislang nur verhältnismäßig wenige abgebaut und schließlich auch recycelt werden. In den kommenden Jahren wird sich das allerdings aufgrund der stark steigenden Zahl an Windrädern drastisch ändern. Das Umweltbundesamt rechnet im laufenden Jahrzehnt mit einem jährlichen Abfallaufkommen von bis zu 20.000 Tonnen Rotorblattmaterial. Bereits in den 2030er-Jahren könnte dieser Wert bis auf 50.000 Tonnen pro Jahr steigen.

Bereits heute sind etwa 90 Prozent eines Windrads recycelbar. So gibt es für die Wiederverwertung der meisten Bestandteile der Anlagen bereits etablierte Verfahren. Problematisch stellt sich jedoch das Recycling der Rotorblätter dar, da diese aus Verbundkunststoffen wie Carbonfasern (CFK) oder Glasfasern (GFK) bestehen. "Die Rotorblätter bestehen aus verstärkten Kunststoffen, die in integraler Bauweise gefertigt sind. Die Materialien werden so gebunden, dass sie sich später nur sehr schwer auftrennen lassen. Die Hauptherausforderung liegt also in der Auftrennung des Verbundmaterials", meint Dr. Steffen Czichon vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme. Eine wirtschaftlich sinnvolle Methode sei die Nutzung der Materialien im sogenannten Co-Processing in der Zementherstellung. Dabei wird der Kunststoff als Brennstoff verwendet und die Glasfaser ersetzt mineralische Ausgansstoffe für die Produktion von Zementklinker. Dieser kann schließlich genutzt werden um neue Fundamente von Windkrafträdern zu bauen. Eine Auftrennung dieser Verbundstoffe sei zwar grundsätzlich möglich, rechne sich jedoch nicht. "Andere Verfahren sind noch nicht wirtschaftlich darstellbar. Technisch ist das durchaus machbar, auch im großen Maßstab. Die Frage ist immer, ob es sich rentiert. Das ist aktuell nicht der Fall", so Czichon.

Lösung der Recycling-Frage in Arbeit

Doch wie lässt sich die Recycling-Frage der Rotoren zukünftig lösen? Das sei laut Czichon kein Problem, dass nur Deutschland betreffe. "Das ist eher ein europäisches, wenn nicht sogar ein globales Thema. Die Hersteller treiben in dem Bereich gerade spannende Entwicklungen voran." So fertigte beispielsweise das Unternehmen LM Wind Power erst kürzlich den Prototypen eines 100 Prozent recycelbaren Windturbinenblatts aus thermoplastischem Kunststoff an. Auch der Bau der Windräder aus Holz ist eine denkbare Lösung. So arbeitet derzeit das deutsche Start-Up Voodin Blades in Kooperation mit dem finnischen Holzproduzenten Stora Enso am Bau von Rotorblättern aus Holz, die schwedische Firma Modvion möchte gar den gesamten Turm aus Holz produzieren. Völlig neu ist diese Idee dabei nicht. Bereits 2012 wurde mit dem TimberTower ein erster Prototyp eines Holzturms für Windkraftanalagen in der Nähe von Hannover eingeweiht.

Der TimberTower in der Nähe von Hannover. Bildrechte: imago images/Joerg Boethling

Auch ausgediente Photovoltaik-Module steigen an

Ähnlich wie im Bereich der Windkraft, hat auch der Ausbau der Solarenergie in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland an Fahrt aufgenommen. Auch hier werden in den kommenden Jahren viele der ersten Anlagen aus der EEG-Förderung fallen und an das Ende ihrer Lebenszeit gelangen, weswegen die Anzahl an ausrangierten Altmodulen erheblich ansteigen wird. Rein technisch gesehen würde ein großer Teil der Anlagen ähnlich wie im Bereich der Windkraft noch funktionieren, für die Betreiber ist dies allerdings oftmals nicht mehr profitabel. "Viele Module werden dann deinstalliert oder durch neuere Module ersetzt. Man kann grob sagen, dass das, was 2002 installiert wurde, 2022 zurückkommt. Das trifft es auch in etwa", sagt Prof. Dr. Peter Dold vom Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP. Bis zum Ende des Jahrzehnts rechnet der Experte deshalb mit bis zu 500.000 Tonnen jährlich anfallenden Altmodulen in Deutschland.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Internationale Organisation für erneuerbare Energien.

Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wertvolle Stoffe gehen verloren

Doch wie steht es um das Recycling der alten PV-Module? Das Elektro- und Elektronikgerätegesetz von 2015 schreibt vor, dass die Wiederverwertungsquote bei Solaranlagen bei mindestens 80 Prozent liegen muss. Im Regelfall stellt das Erreichen dieser Vorgabe kein Problem dar, da sich der Glasanteil sowie der Aluminiumrahmen der Module problemlos recyceln lassen. Andere wertvolle Stoffe wie Silizium oder Silber landen allerdings oftmals in der Müllverbrennungsanlage. Grundsätzlich lassen sich die Stoffe zwar wiedergewinnen, dies sei jedoch kompliziert, so Dold. "Die Solarzellen sind in Kunststofffolie eingekapselt. Die haftet sehr gut. Mechanisch und chemisch lässt sich das schwer trennen, ein thermisches Verfahren ist allerdings möglich. Man könnte die Folie verbrennen, was allerdings nicht einfach ist und sehr gute Abgasfilter voraussetzt." Dies sei technisch anspruchsvoll und würde sich wirtschaftlich derzeit nicht rechnen.

Denkbar sei auch eine andere Bauweise der Module, welche die Anlagen einfacher recycelbar macht. Doch auch dabei gebe es einige Dinge zu beachten. "Natürlich darf das auch nicht mehr kosten als die anderen Module, sonst macht es keiner. Wir dürfen aber auch die älteren Anlagen nicht aus dem Blick lassen. Aktuell haben wir in Deutschland fünf Millionen Tonnen Solarmodule installiert, die nicht nach dieser Bauweise konstruiert sind."

Solarzellen aus recyceltem Silizium möglich

Dass die Wiedergewinnung von Stoffen wie Silizium und Silber aus alten PV-Modulen technisch möglich ist, zeigte ein Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme an dem auch Dold beteiligt war. Anfang des Jahres gelang den Forschenden die Konstruktion einer Solarzelle aus 100 Prozent recyceltem Silizium. "Uns ging es darum zu zeigen, dass man das Silizium in hoher Reinheit zurückgewinnen kann. Man kann auch das Silber wieder rausholen. Wir haben hier mehrere Kilo an Silberbarren liegen", so Dold. Langfristig gesehen werde sich das Recycling dieser Stoffe durchsetzen, meint der Experte.

Ökobilanz dennoch positiv

Die derzeit noch bestehenden Recycling-Probleme der Wind- und der Solarenergie sollten dennoch nicht über die positive Ökobilanz der beiden Energieträger hinwegtäuschen. Im Fall von Windrädern beispielsweise fallen die größten Umweltauswirkungen auf den Bau der Anlagen. Die energetische Amortisationszeit beträgt hingegen lediglich 2,5 bis 11 Monate. "Rechnet man das Recycling der Anlagenbestandteile in die Energiebilanz einer einzelnen Anlage mit ein, erzeugt diese im Laufe ihrer im Durchschnitt 20-jährigen Lebensdauer 90 Mal so viel Energie, wie zu ihrer Herstellung, Nutzung und Entsorgung benötigt wird", sagt Frank Grüneisen, Pressesprecher vom Bundesverband WindEnergie. Ähnlich sieht dies bei Photovoltaik-Anlagen aus. Hier dauert es zwischen 0,9 und 2,1 Jahren, bis sich ein Modul energetisch amortisiert hat. Durch den zunehmenden Umstieg auf erneuerbare Energien konnte in Deutschland laut Umweltbundesamt im Jahr 2021 der Ausstoß von gut 221 Millionnen Tonnen-CO2-Äquivalent vermieden werden.

Energiewende als globale Herausforderung

Insgesamt stellt die Bewältigung des Klimawandels und der Umstieg auf erneuerbare Energien die aktuell größte Herausforderung der Menschheit dar. Doch auch die Dekarbonisierung unserer Energiesysteme und der Umbau unserer Infrastruktur auf nachhaltige Energieträger ist mit dem Ausstoß weiterer Emissionen verbunden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie kam nun zu dem Schluss, dass der Aufbau neuer Infrastrukturen in der aktuellen Geschwindigkeit bis zum Jahr 2100 rund 185 Milliarden Tonnen CO2 verursachen wird. Die gute Nachricht: Je schneller uns der Umstieg gelingt, desto weniger CO2 wird emittiert.

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