WeltbiodiversitätsratIPBES: Invasive Arten verdrängen einheimische weltweit – aber warum?
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES hat den ersten Bericht zum Ausmaß invasiver Arten weltweit veröffentlicht. Überall auf der Welt das gleiche Spiel: Neue Arten verdrängen einheimische und schaden regionalen Ökosystemen. Dabei verursachen sie Schäden in Milliardenhöhe. Den Arten die Schuld in die Schuhe zu schieben ist aber falsch. Invasion hat es zwar immer gegeben, hier ist aber der Mensch verantwortlich und auch die Lösung des Problems.
- Die Schnelligkeit und Häufigkeit, mit der sich invasive Arten auf der Welt ausbreiten, ist überall ein sehr großes Problem
- Nicht-heimische Arten können sich negativ auf örtliche Ökosysteme auswirken und verursachen Schäden in Milliardenhöhe
- Hauptursache ist der Mensch, der menschgemachte Klimawandel begünstigt die Ausbreitung zudem
- Erste Maßnahme sollte nicht Ausrottung sein
Das illustrative Glück ist ihm hold: Hanno Seebens muss nur mal eben aus dem Fenster in die Bäume schauen, dann hat er es schon, dieses perfekte bildliche Beispiel, was da im spätsommerlichen Dunkelgrün vor sich hintschirpt.
Papageien, und das in Deutschland.
Hanno Seebens ist Biodiversitätsforscher am Frankfurter Senckenberg-Institut und gerade in Bonn zugange. Im klimatisch begünstigten Rheinland hat sich seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ein kleiner grüner Vogel breitgemacht, Halsbandsittich heißt er. Eine Papageienart, dessen Heimat eigentlich in Afrika südlich der Sahara liegt, von Gambia bis Dschibuti, und in Asien, insbesondere Indien. "Diese Art besetzt Nistplätze und verdrängt damit einheimische Arten." Platanen stehen dabei besonders hoch im Kurs – ausgerechnet ein amerikanisch-orientalischer Baum.
In einigen milden Großstädten Deutschlands, darunter Köln, gesellt sich mit dem verwandten Großen Alexandersittich noch ein Tier dazu, das dem, was wir unter einem Papageien verstehen, erheblich näherkommt. Und ebenfalls das Zeug hat, sich als Neozoon in der Republik breit zu machen – zumindest dort, wo ihm das Wetter genehm ist.
Anthropozän: Invasive Arten sind weltweit ein Problem
Hanno Seebens hat dieser Tage in Bonn einen Verhandlungsmarathon hinter sich. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES hat getagt. Seebens ist einer von 86 Fachleuten aus 49 Ländern, die am jetzt veröffentlichten Bericht zum Phänomen invasiver Arten mitgearbeitet haben. Es ist der erste Bericht dieser Art, im Auftrag der 143 Mitgliedsstaaten, die sich im IPBES versammeln. Drin steht, wenn man es denn maximal verknappen möchte: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Sittiche aus dem Rheinland auch in der Thüringischen Toskana oder im Großen Garten in Dresden breitmachen. Etwas ausführlicher sind es vor allem drei Kernaussagen, sagt Sven Bacher, Umweltwissenschaftler an der Universität Freiburg in der Schweiz.
"Erstens: Wir haben ein Riesenproblem. Das ist ein Problem, das noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die ihm zusteht", so Bacher. Zweitens: "Das Problem ist in jüngster Vergangenheit massiv angestiegen." Und Drittens? Etwas Gutes: "Wir wissen im Prinzip schon alle, was man tun muss, um Folgen abzumildern."
Was die Forschenden dabei überrascht hat: Diese Trends sehen überall auf der Welt gleich aus. Klar ist, dass nicht jede gebietsfremde Art invasiv wird. Aber wenn es passiert, geht das immer mit einem Verlust der Biodiversität und einer Veränderung des lokalen Ökosystems einher. Da für Menschen monetäre Einbußen bekanntlich am greifbarsten sind: 2019 entstanden Schäden von schätzungsweise 423 Milliarden US-Dollar durch invasive Arten, Tendenz stark steigend. Der Bericht räumt allerdings gleich ein, dass es sich um eine Untertreibung handelt, weil viele Schäden, gerade an der Natur, gar nicht so einfach beziffert werden können.
💡 Neophyt, Neozoon, Invasion?Die sogenannte Neobiota umfasst Neophyt, Neozoen und Neomyceten. Neophyten sind gebietsfremde Pflanzen, die sich in einem neuen Lebensraum ausbreiten. Und Neozoen Tiere, die dasselbe tun. Bei Pilzen nennt man die Neuankömmlinge Neomyceten. Im Englischen heißt es ganz knapp für alle: alien species. Wenn heimische Arten geschädigt oder ganz verdrängt werden, spricht man von invasiv.
In der Forst- und Landwirtschaft geht das mit dem Beziffern ganz gut. Ein kleiner Schmetterling etwa, der auf den possierlichen Namen Maiszünsler hört, wurde aus wärmeren Gefilden kosmopolitisch verschleppt. Und vernichtet so vier Prozent der globalen Maisernte, auch der deutschen.
Andere Schäden betreffen die Infrastruktur, dann, wenn invasive Muscheln Rohre verstopfen oder Pflanzen Gleise und Verkehrswege überwuchern. Und: "Wenn mehr Allergien auftreten, entstehen Kosten für das Gesundheitssystem", gibt Katharina Dehnen-Schmutz von der Coventry University auf einem virtuellen Podium des Science Media Centers zu bedenken. Genau wie Sven Bacher hat sie an Kapitel 4 des Berichts mitgearbeitet, den Auswirkungen invasiver Arten auf Mensch und Natur.
Wir haben ein Riesenproblem, das noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die ihm zusteht.
Prof.tit. Dr. Sven Bacher | Universität Freiburg (Schweiz)
Der Götterbaum: Chinesische Art fühlt sich bei mediterranem Klima wohl
Die Ausbreitung invasiver Arten beginnt im heimischen Garten, Dehnen-Schmutz zufolge ist es sogar der Haupteinführungsweg für invasive Pflanzen. Das gilt auch für den Götterbaum, der eigentlich aus China und Vietnam kommt, sich mit seinen breiten, fast palmenartigen Wedeln aber überall auf der Welt wohlfühlt, wo ein mediterranes oder gemäßigtes Klima herrscht. Damit zählt er auch zum Standard-Inventar mitteldeutscher Brachflächen – und eben nicht nur da.
Dass der Götterbaum nach Deutschland kam, ist mehrere Jahrhunderte her, lange bevor seine Ausbreitung ein Problem für die heimische Flora wurde. "Das ist auch heute noch ein Problem, weil nicht-einheimische Arten jetzt noch angepflanzt werden, die noch gar nicht so lange da sind", sagt Katharina Dehnen-Schmutz. Es könne schon mal hundert oder mehr Jahre dauern, bis die Invasion sichtbar wird.
💡 IPBES-Bericht zur Verbreitung invasiver ArtenFür den Bericht wurde wissenschaftliche Evidenz aus über 13.000 Quellen zusammengetragen. Der Bericht fasst den aktuellen Stand und die Trends bei der Ausbreitung invasiver Arten sowie deren Auswirkungen und Ursachen zusammen und diskutiert Handlungsoptionen für die Politik. Neben den 86 direkt beteiligten Forschenden aus 43 Ländern sind auch die Expertise von Forschenden vor Ort eingeflossen.
Invasive Arten: Ursachen beginnen bei Exoten im Garten – und bei Haustieren
Die Schuld ist aber nicht nur bei Landschaftsarchitektinnen und -architekten oder Hobbygärtnerinnen und -gärtnern zu suchen, die ein wenig exotisches Grün in die homogene Eigenheimsiedlung bringen wollten. Hauptursache, dass sich Tiere und Pflanzen unerwünscht und schädlich ausbreiten, sind internationale Warenströme, aber auch Reisen.
Weil Menschen gern Kirschen aus Asien im Supermarkt kaufen möchten, gab's für die Kirschessigfliege eine passende Mitfahrgelegenheit von Asien nach Europa. "Die befällt Früchte kurz vor der Reife, die Früchte werden matschig und es entstehen Ernteausfälle", sagt Hanno Seebisch. Sein Kollege Sven Bacher ergänzt – und zwar bemüht nüchtern, wobei Nüchternheit bei dieser Sachlage zur Herausforderung wird: "Was gerade zunimmt ist der Handel von exotischen Haustieren im Internet. Der Markt ist riesig dafür. Auf einmal wollen Leute Insekten zuhause halten, zum Beispiel Ameisenkolonien."
Brandgefährlich sei das. Und wieder: "Ein Riesenproblem" als Quelle biologischer Invasion. Klar, die hat es schon gegeben, bevor Menschen auf die Idee gekommen sind, sich Ameisen als Haustiere zu halten. Für manche Arten ist die Ausbreitung auch überlebenswichtig. "Das Problem ist, dass wir die Raten erheblich erhöht haben", sagt Hanno Seebens. Und: "Sie breiten sich über sehr große Distanzen aus." Während sich auf Hawaii ohne menschliches Zutun mal alle 10.000 Jahre eine neue Art angesiedelt hat – ein Intervall, mit dem Ökosysteme klarkommen – können es jetzt mehrere pro Jahr sein.
Nicht jede gebietsfremde Art muss bekämpft und ausgerottet werden
Dr. Katharina Dehnen-Schmutz | Coventry University
Wir Menschen sind von ungestörten natürlichen Systemen existenziell abhängig. Darum müsse auch schnell etwas passieren, mahnt Sven Bacher, sonst werde es schwierig: "Dann gibt es viel Migration und auch beim Menschen Populationen, die verschwinden. Das wollen wir nicht."
Die effektivste Maßnahme gegen invasive Arten sei es, deren Einschleppung zu verhindern. Dazu gibt es bereits internationale Abkommen beim Warentransport. Problematisch sei, dass die Abkommen im Moment nicht ausreichend durchgesetzt würden. Wenn invasive Arten vor Ort beseitigt wurden, brauche es zudem Renaturierungspläne, sonst ist die unerwünschte Art ganz schnell wieder da.
Effektivstes Mittel gegen invasive Arten heißt nicht Ausrottung
Außerdem heißt Beseitigung nicht immer Ausrottung. Nicht mal bei der Kirschessigfliege, die nicht mit Umweltgiften, sondern mit Schlupfwespen effektiv an ihrer Vermehrung gehindert werden kann. (Schlupfwespen kennen alle, die mal Lebensmittelmotten im Haus hatten.) In den USA und Italien gab es dazu schon Maßnahmen, jetzt zieht die Schweiz nach.
Anderes Beispiel: Wie in Großbritannien ist auch in Italien das nordamerikanische Graunhörnchen eine echte Bedrohung für die einheimischen roten Eichhörnchen – die mit den spitzen Öhrchen. In Italien gab es Bemühungen, das eindringende Tier auszurotten. Es regte sich Widerstand von Seiten des Tierschutzes. Irgendwie auch verständlich, schließlich kann das Grauhörnchen nichts dafür, dass es der Mensch veschleppt, wofür es anschließend auch noch büßen darf.
In einer gesellschaftlichen Debatte hat man sich mittlerweile auf andere Formen der Eindämmung geeinigt. Sven Bacher: "Man muss in der Gesellschaft diskutieren, was die Werte sind." Das seien keine Bauchentscheidungen, Konsequenzen müssen klar kommuniziert werden. Ein teilweise sehr komplexes Unterfangen. "Nicht jede gebietsfremde Art muss bekämpft und ausgerottet werden", ergänzt Katharina Dehner-Schmutz. Aber: "Das Bewusstsein der globalen Auswirkungen müsste gestärkt werden."
Hanno Seebens wünscht sich eine anders gepolte Kommunikation als die oft übliche: "Man muss bedenken, dass der Mensch das eigentliche Problem ist." Die Veränderung des menschlichen Handelns stünde an erster Stelle, Bekämpfung sei der letzte Schritt. Noch ist es nicht soweit, dass die grünen Mini-Papageien vor seinem Fenster die Saale entlang flattern. Der Zeitpunkt, sich Gedanken zu machen, dass es besser nicht dazu kommt, scheint jedoch genau richtig.
Die Äußerungen der zitierten Forschende entstammen einem virtuellen Panel des Science Media Center am 4. September 2023.
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