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Nachhaltige EnergieerzeugungWarum Atomkraft nicht im Kampf gegen den Klimawandel hilft

02. November 2021, 15:06 Uhr

Nicht zuletzt im Rahmen der Weltklimakonferenz ist sie wieder Thema: Kernkraft. Von vielen Staaten wird sie als wichtige Technologie im Kampf gegen den Klimawandel angesehen. Forschende machen jetzt noch mal klar: Ein Trugschluss, der höchsten für kurze Symptomlinderung sorgt – wenn überhaupt. Denn Kernenergie ist teuer, langsam, risikobehaftet und ein schweres Erbe für kommende Generationen.

Atomkraft: Kurzes Aufbäumen in Folge der Klimakrise – oder ein nebulöses Zukunftsversprechen? Bildrechte: IMAGO / CHROMORANGE

Nun, in Deutschland ist das Thema weitestgehend vom Tisch. Kernenergie wird für das Land in Zukunft nur noch durch ihre Altlasten eine Rolle spielen. Anders in vielen anderen Staaten der Welt, insbesondere Industrienationen: Finnland, Frankreich, Vereinigtes Königreich. Atomkraft, die sei ja nur ein Teil des Strommixes, das betonte die britische Botschafterin Jill Gallard gleich mehrfach am Montagmorgen im Deutschlandfunk und verwies auf den hohen Anteil erneuerbarer Energien. Im Subtext heißt das: Wir wollen öko, aber ganz ohne Kernspaltung wird es nicht laufen.

Zwei neue Reaktoren sind im südwestenglischen Hinkley Point im Bau, basierend auf der europäischen EPR-Plattform – einer der modernsten ihrer Art. Die Baustelle ist im Sinne des Baufortschritts und der Kostenexplosion so etwas wie der BER. Mit dreißig Milliarden Euro aber mehr als viermal so teuer. Großbritannien ist mit dieser Dynamik kein Einzelfall. Kernkraftwerke bleiben kompliziert, immens teuer und lassen nicht zuletzt eine Reihe von Fragen offen. Denn auch die aktuelle Reaktorgeneration kann im Störfall eine Katastrophe auslösen. Und die Suche nach einem Ort für den radioaktiven Müll ist längst nicht abgeschlossen.

Kernenergie war finanziell nie konkurrenzfähig

Auch in der Wissenschaft zeigen sich Zweifel, ob es denn im Jahr 2021 noch eine gute Idee ist, sich in Loriot-Manier so "ein schönes Atomkraftwerk zu bauen". Fachwissenschaftler*innen von Scientists for Future sind sich hier schon mal einig: Kernenergie kann nicht zur Lösung der Klimakrise beitragen. In ihrer Metastudie zum Thema wird etwa dargelegt, dass Kernkraft jeglichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen widerspreche. Die Stromerzeugung sei außerordentlich teuer, erklärt Christian Breyer, Co-Autor der Studie: "Kernenergie war wirtschaftlich nie konkurrenzfähig und hat im Energiemarkt von Anfang an nur durch massive staatliche Finanzierung überlebt. Schon heute ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kostengünstiger als durch fossile und nukleare Technologien."

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Unbezahlbar hingegen seien Versicherungsbeiträge, die einen nuklearen Großunfall absichern würden. Katastrophen wie Fukushima und Tschernobyl gehen nicht nur durch das Unglück selbst, sondern auch finanziell zu Lasten der Gesellschaft. Und selbst wenn ein geeignetes Endlager für mehr als eine Millionen Jahre gefunden wäre: Langfristige Risiken seien aus heutiger Sicht schlichtweg nicht kalkulierbar.

Zu langsam, zu hinderlich

Und wenn's denn wenigstens schnell gehen würde: Ein Kernkraftwerk mit ein, zwei Jahrzehnten Bauzeit ist ein zu langsames Kernkraftwerk. Um die Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren – für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels ist das notwendig –, taugen diese Prestigeprojekte schon mal nichts. Den Forschenden zufolge können nur erneuerbare Energien mit der erforderlichen Geschwindigkeit bereitsgestellt werden.

Hinderlich sei an dieser Stelle, dass das Übergewicht an Ausgaben für Kernenergie den Ausbau erneuerbarer Energien und die Entwicklung neuer Technologien im Bereich Energieeffizienz und Energiespeicherung blockiere. Auch die radioaktiven Rückstände, die uns noch Millionen von Jahren beschäftigten werden, sind in ihren entgültigen Kosten noch nicht zu beziffern.

Angesichts der aktuellen Datenlage stellt sich eigentlich nicht Frage, ob das 1,5-Grad-Ziel ohne Kernkraft erreicht werden kann, sondern wie. Angesichts der wenigen, aber – vor allem in China – ambitionierten Bauvorhaben ist eine globale Lösung bei dieser Frage nicht in Sicht. In welche Richtung die Reise geht, werden wir allerdings eher früh als spät erfahren: In diesen Tagen auf Weltklimakonferenz COP26.

flo

Link zur Studie

Das Paper Kernenergie und Klima erschien am 16. Oktober 2021 auf Zenodo.

DOI: 10.5281/zenodo.5573719

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