KlimawandelVor Beginn der COP 28 in Dubai: Droht der Klimakollaps oder schaffen wir die Wende?
Der Klimawandel polarisiert. Vom drohenden Untergang der Zivilisation ist die Rede, gleichzeitig wird die Krise bagatellisiert. Echte Fortschritte im Klimaschutz dringen selten durch. Doch es gibt sie, wie aktuelle Berichte, Entwicklungen und Studien zeigen.
Anfang September veröffentlicht das UN-Generalsekretariat eine drastische Warnung: "Mit dem heißesten Sommer, der jemals gemessen wurde, hat der Klimazusammenbruch begonnen”. UN-Generalsekretär António Guterres gilt in Sachen Klimawandel als eindrücklicher Mahner und die Ereignisse des Sommers auf der Nordhalbkugel scheinen ihm recht zu geben: Beinahe täglich werden neue globale Temperaturrekorde verzeichnet und medial verbreitet.
Steht der Klimazusammenbruch bevor?
2023 wird laut der US-amerikanischen Klimabehörde NOAA mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent weltweit zum heißesten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Kaum ein Land bleibt von Wetterextremen wie Hitze und Bränden, Starkregen und Überschwemmungen verschont. Wer in den sozialen Medien nach Klimakrise sucht, kann den Bildern der globalen Naturkatastrophen kaum entkommen.
Auch die Weltmeere haben sich so deutlich erhitzt wie noch nie seit Beginn der Messungen, der Atlantik auf der Nordhalbkugel ist mit durchschnittlich 23 Grad Celsius ein halbes Grad heißer als in Zeiten des letzten Rekordes. Gleichzeitig ist die Ausbreitung der arktischen und antarktischen Eispanzer so gering wie nie – in der Antarktis sind die Eismassen am Ende des Winters auf der Südhalbkugel 880.000 Quadratkilometer kleiner als beim letzten Rekordminimum 1986.
Klimawissenschaftler sind vom Ausmaß der Erwärmung erstaunt
"Und das ist auch für die Wissenschaftler, die dort vor Ort sind, überraschend. Denn der Klimawandel heißt ja nicht per se, dass jedes Jahr alles schlimmer werden muss. Es gibt auch natürliche Schwankungen und Perioden der Abkühlung. Aber jetzt ist es so gewesen, dass wir fast jedes Jahr neue Rekorde in irgendeinem Bereich gesehen haben und das ist statistisch ein bisschen unerwartet", sagt Klimawissenschaftler Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung im MDR Wissen Podcast "Meine Challenge: Schluss mit der Klimaangst".
Während ein Teil dieser Entwicklungen auf den Beginn des El Niño-Phänomens und Veränderungen der Emissionen in der Schifffahrt zurückzuführen ist (lesen Sie hier, was El Niño mit dem globalen Klima zu tun hat und hier, warum eine saubere Schifffahrt das Klima anheizt), liegt die Hauptursache laut wissenschaftlichem Konsens zweifellos in der Erderwärmung. Schon bei 1,2 Grad mehr treten Katastrophen aller Art auf.
Warum Klimaschutz nicht vorankommt: Eine Frage der Verdrängung
Gleichzeitig gibt es Stimmen, die den Klimawandel noch immer bagatellisieren, leugnen und verdrängen oder wirksamen Klimaschutz blockieren. Sie reichen von Lobbyverbänden, fossilen Unternehmen über Spitzenpolitiker bis hin zu ganzen Parteien. Und einer aktuellen Bundesregierung, die wirksame Klimaschutzgesetze abschwächt und die Finanzierung auf tönerne Füße stellt. All diese Positionen finden sich auch in der Bevölkerung wieder:
"Die Verdrängungsleistung ist gigantisch. Es ist auch ein falscher Optimismus: Mich persönlich wird es schon nicht so schlimm treffen. Es ist eine gefährliche Fokussierung auf die Gegenwart, im Sinne von: Mich beschäftigt viel mehr, was ich gleich kochen möchte, statt wie das mit der Klimakrise in zehn Jahren für meine Kinder aussieht", sagt Lea Dohm von der Deutschen Allianz für Klimaschutz und Gesundheit. Aber welche Narrative sind jenseits von Kollaps und Verdrängung möglich? Gibt es so etwas wie Fortschritt beim Klimaschutz?
Klimainventur: Grautöne zwischen den Zeilen
Im Oktober 2023 erscheint der "Global Stocktake", die erste offizielle Inventur der UN zu den Klimaschutzbestrebungen seit dem Pariser Abkommen von 2015: Der Bericht soll als Grundlage für die nächste Conference of Parties (COP) in Dubai dienen und zeigt, wo wir auf dem Weg zur Begrenzung der Erderwärmung stehen.
Und da ist noch immer eine große Lücke zwischen Ambitionen und Zielen: Bis 2030 wird die Weltgemeinschaft etwa 20 Gigatonnen CO2 mehr ausstoßen, als im 1,5 Grad-Budget enthalten sind. Und selbst dieses Budget könnte zu großzügig bemessen sein, wie mein Kollege Florian Zinner im Klima-Update vor wenigen Wochen nachgerechnet hat: Die Zeit läuft, die Kassen sind knapp und die Ausgaben noch immer zu hoch.
Gleichzeitig beschreibt der Global Stocktake auch ein anderes Bild: Bei der Klimakonferenz 2010 im mexikanischen Cancun geht die Klimaforschung noch von einem globalen Temperaturanstieg zwischen 3,7 und 4,8 Grad Celsius bis 2100 aus. Fünf Jahre später in Paris liegen die Erwartungen bei 3,2 Grad Celsius. Auf der COP in Ägypten 2022 rückt man an 2,6 Grad Celsius heran und auch eine Ziffer unter zwei wird denkbar: 1,7 Grad Celsius – wenn die Staaten ihre Langzeit-Ziele auch wirklich verfolgen.
"Das ist nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine gesellschaftliche Leistung. Man hat es geschafft, das in die Köpfe vieler Menschen zu bringen. Man hat es auch geschafft, von den ganz schlimmen Katastrophen-Szenarien zurückzukommen auf eine Entwicklung in die Zukunft, die nicht gut ist, die verbessert werden muss, aber die besser ist, als sie es vor 20 Jahren war", beschreibt Klimaforscher Andreas Marx die Entwicklung. Ist das schon ein Hoffnungsschimmer? Der Blick auf den Sommer zeigt, dass die Entwicklungen bereits bei 1,2 Grad heftiger sind als von vielen Klimaforscherinnen erwartet.
Die erneuerbaren Energien werden schneller ausgebaut als erwartet
Allerdings verlaufen auch Entwicklungen in entscheidenden Bereichen des Klimaschutzes schneller als von vielen Analysten prognostiziert. Der "World Energy Outlook" der Internationalen Energie-Agentur (IEA) ist so etwas wie die Bibel der Energiewirtschaft. Jedes Jahr beschreibt er die Entwicklungen auf den Energiemärkten: Wohin steuern Kohle, Gas, Öl, Atomstrom und Erneuerbare? Die Nachfrage nach Kohle wird bis 2030 sinken, der Anteil der Fossilen am globalen Energiemix wird sich von 80 Prozent auf 73 Prozent verringern, die globalen Emissionen finden spätestens 2025 ihren Höhepunkt und beginnen dann strukturell zu sinken. All das durch die bereits jetzt bestehenden und umgesetzten Maßnahmen der Nationen. Wenn sie noch ihre weiteren Ankündigungen einhalten, wird sich diese Entwicklung beschleunigen.
Zwei konkrete Beispiele aus dem Bericht unterfüttern diesen vorsichtigen Optimismus:
Der Inflation Reduction Act in den USA wird dazu führen, dass in den nächsten Jahren jedes zweite neu verkaufte Fahrzeug elektrisch sein wird. Vor zwei Jahren wurde dieser Anteil noch auf jedes zehnte Auto geschätzt. Ein einziges Gesetzespaket kann wie ein Brandbeschleuniger – oder eher Flammschutzmittel – wirken: Der globale Aufstieg der E-Autos ist den Analysten zufolge nicht mehr zu stoppen, was die Öl-Nachfrage langfristig verringern wird.
Chinas Klimaemissionen erreichen 2024 einen Wendepunkt und werden sinken
In China werden die Ausbauzahlen für Wind- und Photovoltaik-Anlagen in diesem Jahr dreimal so hoch sein, wie noch vor zwei Jahren von der IEA angenommen. Die Hälfte aller neuen Windräder und Solaranlagen steht im Reich der Mitte. Tatsächlich unterschätzt die Energie-Agentur seit Jahren die Dynamik beim Ausbau der Erneuerbaren und korrigiert den Leistungszuwachs jedes Jahr nach oben. Im letzten World Energy Outlook rechnet die IEA für 2023 mit einem Ausbau von 350 Gigawatt Solar- und Windenergie.
Im aktuellen Energie-Ausblick erhöht sie diese Zahl für das laufende Jahr auf 500 Gigawatt – die Differenz ist mehr als die gesamte installierte Leistung von Wind und Sonne in Deutschland. Weiterhin nimmt die IEA an, dass zumindest der Ausbau von Photovoltaik und der Hochlauf der E-Mobilität so weit sind, um das 1,5 Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Laut dem State of Climate Action Report sind das allerdings auch die einzigen Indikatoren, die auf Kurs sind.
Bleiben wir bei China: Das Land ist mit Abstand führend beim Ausbau der Erneuerbaren und beim Ausstoß von Emissionen. Aber auch hier zeigt der Trend nach unten: Analysten von Carbon Brief rechnen damit, dass die Werte ab 2024 sinken – weil der Ausbau der erneuerbaren Energien den steigenden Bedarf abfedert, und die chinesische Wirtschaft nicht mehr ganz so schnell und stark wächst wie in früheren Zeiten.
Anders gesagt: Die materielle Infrastruktur des Landes aus Beton, Stahl und Zement steht und das Wirtschaftswachstum verlagert sich auf weniger intensive Bereiche. Nächstes Jahr könnten die chinesischen Emissionen so um rund 250 Millionen Tonnen sinken – ein Drittel der deutschen Emissionen.
Kipp-Punkt überschritten? Solar-Energie könnte Stromerzeugung weltweit dominieren
Einer der Hauptantreiber dafür, den weltweiten Klimaschutz voranzubringen, ist, dass wir unbedingt verhindern müssen, die Kipp-Punkte im Klimasystem zu überschreiten: Das Auftauen der Permafrostgebiete, die Zerstörung der Regenwälder, die Abschwächung des Golfstroms, das Schmelzen der Eispanzer – all diese globalen Klimaelemente können sich ab einem gewissen Punkt selbst negativ verstärken, die Erderwärmung weiter anheizen und noch mehr Extremereignisse hervorrufen.
Wann diese Kipp-Punkte erreicht werden, ist ein zentrales Thema laufender Forschung: "Es gab ursprünglich mal die Diskussion um das 2-Grad-Ziel. Vor vielen Jahren war das die erste Abschätzung einer Erwärmung, bei der Kipp-Punkte erreicht werden können. Heute kann man eigentlich sagen, dass man eine 66 Prozent-Chance hat, dass die Kipp-Punkte bei zwei Grad nicht überschritten werden. Aber 66 Prozent ist keine hundertprozentige Sicherheit. Wenn ich dreimal würfele, dann geht es zweimal gut und einmal nicht", sagt Andreas Marx und verdeutlicht eine Schwierigkeit in der Klimaforschung: die Arbeit mit Wahrscheinlichkeiten und deren Kommunikation.
Vor kurzem ist aber ein anderer Kipp-Punkt hinzugekommen – der solare. Laut einer Studie im Fachmagazin Nature Communications haben wir den Punkt, an dem sich die Solar-Energie zur dominanten Energieform der Welt entwickelt, möglicherweise bereits überschritten. Die Kosten sind so rapide gesunken, die Fabriken für PV-Module so schnell aus dem Boden gestampft und die politischen Hürden für den Ausbau so weit gesenkt worden, dass die Sonnenenergie das 21. Jahrhundert bestimmen wird.
Den solaren Boom können wir auch hierzulande miterleben: 2023 wird zum bisher ausbaustärksten Jahr aller Zeiten: Der Rekord von 2012 wurde Ende August eingestellt. Statt wie geplant bei neun Gigawatt, liegen wir bereits jetzt bei knapp zwölf Gigawatt neu installierter Leistung. Bis zum Jahresende könnten mehr als eine Million Solaranlagen in Deutschland zusätzlich am Netz sein.
Können wir das Klima retten? Es gibt noch Spielraum
"Wir sind nicht in der Situation, dass wir bis morgen oder übermorgen alles geregelt haben müssen, wir haben einen Gestaltungsspielraum über die nächsten ein bis zwei Dekaden", sagt Klimawissenschaftler Andreas Marx. Dieser Gestaltungsspielraum bleibe offen, je konsequenter in der Politik der begonnene Klimaschutz umgesetzt werde. Manche Früchte des Klimaschutzes hängen tief – Methanemissionen aus löchrigen Pipelines könnten schnell sinken. Das kann ein wenig Spielraum in anderen Feldern verschaffen, weil das Treibhausgas Methan schneller und stärker in der Atmosphäre reagiert als CO2. Die EU reguliert diese Emissionen nun energischer.
Mitunter liegen die Früchte des Klimaschutzes auch unter der Erde, wie unsere Moore. Laut dem UN-Bericht zum Zustand der Moore machen sie in Europa nur drei Prozent der landwirtschaftlichen Flächen aus, sorgen aber für 25 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Agrarsektor. Millionen Tonnen Kohlendioxid könnten relativ einfach eingespart und darüber hinaus langfristig gebunden werden, wenn wir Moore konsequenter wieder vernässen würden – mit positiven Effekten für stark gefährdete Pflanzen- und Tierarten obendrauf.
Und auch hier gibt es vorsichtigen Optimismus aus der EU zu vermelden: Sie steht kurz davor, das "Nature Restoration Law" zu verabschieden, mit dem geschädigte Ökosysteme wie Moore leichter renaturiert werden sollen.
Klima-Dialektik gegen Klimaangst: Lernen, die Gegensätze auszuhalten
Können wir die Erderwärmung langfristig aufhalten? Wenn wir die Emissionen zügig auf null senken, dann könnten wir zusätzliche Erwärmung verhindern und die Temperaturen stabilisieren: Das ist die These der so genannten Null-Emissions-Bindung (Zero Emissions Commitment), die von einer neuen Studie unterstrichen wird, die Mitte November im Journal Frontiers in Science erschienen ist.
Psychologin Lea Dohm rät im Podcast "Meine Challenge: Schluss mit der Klimaangst" zu einer Einstellung, die die Gegensätze aushält: "Es geht um eine Dialektik: Nämlich einerseits anerkennen, wie groß die Gefährdung ist, und auf der anderen Seite nicht ins Katastrophisieren abgleiten, sondern besser konstruktive Bewältigungsmöglichkeiten aufzeigen". In der Klimakommunikation ist zwischen Kollaps und Verdrängung auch Fortschritt möglich.
Dieses Thema im Programm:MDR+ | MDR Meine Challenge | 17. November 2023 | 10:00 Uhr