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Wladimir Putins Propaganda hat in der Ukraine nicht funktioniert. Er hat ihre Wirkung überschätzt, sagt Dr. Roozebeek Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Medien-AnalyseWarum Putins Propaganda in der Ukraine ein Flop wurde

03. Mai 2022, 11:41 Uhr

Russlands Präsident Putin gilt als Meister der Propaganda. Doch in der Ukraine hat er versagt, zeigt eine Medienanalyse der Universität Cambridge. Sie warnt gleichzeitig davor, nicht auf neue Erzählungen hereinzufallen und diese als Mythen zu entlarven.

Über 85.000 Print- und Online-Artikel aus 30 lokalen und regionalen Medien in Luhansk und Donezk untersuchte Jon Roozenbeek für seine Doktorarbeit. Er begann 2014 nach dem ersten russischen Einmarsch in der Ukraine und wertete über einen Zeitraum von vier Jahren die Inhalte aus. Sein Fazit: Die Desinformationskampagne des Kremls hat nicht funktioniert. Sie erzählte die falschen Geschichten und hatte daher wahrscheinlich kaum Auswirkungen auf das Bewusstsein der russischsprachigen Ukrainer im Donbass.

Das Neurussland Katharinas der Großen

So schafften es die Medien nicht, eine neue russische Identität in den besetzten Gebieten aufzubauen. Und Putins Ideen fanden sich nicht wieder. Etwa die von "Noworossija" also "Neurussland", eine Terminologie, die einst während der Herrschaft Katharinas der Großen zur Beschreibung des Donbass verwendet wurde, als dieser zeitweise zum Russischen Reich gehörte. Statt ein russisches Wir-Gefühl zu schaffen, konzentrierten sich die Medien fast vollständig auf die Dämonisierung der Führung in Kiew, die haarsträubenden "Entnazifizierungs"-Behauptungen. Ein grundlegender Fehler bei jedem Versuch, eine dauerhafte Spaltung herbeizuführen, so Roozenbeek.

Krieg in der Ukraine. Im Osten des Landes ist das schon seit 2014 Realität. Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Putin hat die Stärke der ukrainischen nationalen Identität, selbst im Donbass, stark unterschätzt und die Macht seiner Propagandamaschine in den besetzten Gebieten der Ukraine überschätzt.

Dr. Jon Roozenbeek, Universität Cambridge

Allerdings warnt der Medienforscher davor, dass mit der Konzentration der russischen Kriegsbemühungen auf den Donbass Propaganda im Stil von Noworossija wieder zunehmen könnte. Das Ziel: Die Okkupation und die Kriegsgräuel zu rechtfertigen und zu behaupten, dass diese Aktionen von der lokalen Bevölkerung unterstützt würden. Diese Vorstellung, dass ideologische Projekte wie "Noworossija" in der Region tief verwurzelt seien und dass die Menschen im Donbass diesen Mythen jemals Glauben geschenkt haben, müssten präventiv und weltweit entlarvt werden, fordert Roozenbeek.

Russlands Netzwerke in Westeuropa

Der Forscher verweist dabei auf die Netzwerke des Kreml, die seit Jahren auch in Westeuropa aktiv sind, wie ein Daten-Leak 2016 und die damit zusammenhängenden Rercherchen zeigten. Damals stellten mutmaßlich proukrainische Aktivisten rund 10.000 Mails ins Internet. Die etwa elf Gigabyte große Datenmasse stammte aus dem "Informationsministerium" der Separatisten in der Ostukraine. Sie enthielt den Schriftwechsel zwischen der Ministerin und mehrerer "Berater" aus Russland, die wie Vorgesetzte der Separatisten agierten.

Deutsche Medien, u.a. das ZDF, hatten diese Daten ausgewertet, über den russischen Propaganda-Feldzug berichtet und gezeigt, wie "rechte und rechtsextreme Parteien im Europaparlament wie trojanische Pferde" agierten, so Jakub Janda vom European Values Think Tank, der im Auftrag der Europäischen Union die aus Russland gesteuerten Desinformationskampagnen auswertete. Diese Gefahr bestehe immer noch, so Roozenbeek. Und das könnte für die Ukraine weitreichende Folgen haben. "Wenn sich der Unsinn von Noworossija oder andere halbgare ideologische Narrative im Westen verbreiten, könnten sie dazu benutzt werden, die Ukraine zur Aufgabe großer Teile ihres Territoriums zu zwingen, da ein langwieriger Krieg im Donbass die Nerven der Weltgemeinschaft zum Zerreißen bringt."

Links

Roozenbeeks Forschungen wurden im Rahmen seiner Promotion zwischen 2016 und 2020 durchgeführt und werden in seinem demnächst erscheinenden Buch "Influence, Information and War in Ukraine" (Einfluss, Information und Krieg in der Ukraine) enthalten sein, das im nächsten Jahr als Teil der Buchreihe Contemporary Social Issues der Society for the Psychology Study of Social Issues bei Cambridge University Press erscheinen wird.
Jon Roozenbeek arbeitet im Social Decision-Making Lab der Universität Cambridge.

Über das Daten-Leak 2016 berichteten das ZDF und die Wochezeitung Die Zeit.

gp

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