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Weizenernte in der Ukraine 2021: Das Land gehört zu den größten Getreideexporteuren der Welt. Bildrechte: IMAGO / YAY Images

Weniger Fleisch, weniger BiokraftstoffeWie man der Lebensmittelknappheit durch den Ukraine-Krieg begegnen könnte

21. März 2024, 10:49 Uhr

Die Ukraine und Russland gehören zu den wichtigsten Getreideproduzenten der Welt. Durch den Ukraine-Krieg drohen immense Getreideexporte aus diesen Ländern wegzubrechen und die Lebensmittelpreise zu explodieren. Agrarökonomen erklären, wie man dem begegnen kann. Sie warnen vor Handelsembargos auf Nahrungsmittel, kritisieren Biomasse-Energie, Biokraftstoffe und Futtermittel-Importe für die Fleischproduktion.

Der Ukraine-Krieg lässt weltweit nicht nur die Energie-, sondern auch die Lebensmittelpreise rasant steigen. Allein seit Ausbruch des Konflikts vor zwei Wochen zogen die Preise für Weizen und andere Lebensmittel um 50 Prozent an. Nach bereits leichten Anstiegen im vergangenen Jahr, kostet die Tonne Weizen mittlerweile 400 Euro. Früher übliche Preise lagen bei unter 200 Euro.

Wichtigste Getreideexporteure der Welt

Mähdrescher bei der Getreideernte in der Region Krasnojarsk in Sibirien. Bildrechte: IMAGO / SNA

Die Preisexplosion kommt nicht von ungefähr: Sowohl die Ukraine als auch Russland gehören zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt. Bei Weizen gehen etwa ein Drittel der globalen Exporte auf das Konto der beiden Länder. Allein die Ukraine lieferte zuletzt 14 Prozent der am Weltmarkt gehandelten Getreidemengen an Weizen, Gerste und Mais. Aber auch als Lieferant von Raps- und Sonnenblumenöl hat das osteuropäische Land eine große Bedeutung.

Experten wie der Göttinger Agrarpolitik-Professor Stephan von Carmon-Taubadel gehen davon aus, dass die Getreideproduktion der Ukraine in diesem Jahr um 35 Millionen Tonnen im Vergleich zu 2021 sinkt. Damit würden 7,6 Prozent des globalen Getreidehandels wegbrechen. Das klinge zwar erstmal nicht viel, jedoch seien die internationalen Getreidevorräte gering und der Welthunger sei in den letzten Jahren wieder gestiegen.

Fragezeichen bei Russlands Exporten

Während die ukrainische Landwirtschaft von den Kriegshandlungen unmittelbar betroffen ist, steht noch nicht fest, in welchem Umfang Russland seine Agrargüter weiter exportieren kann, darf und will. Mit 133 Millionen Tonnen Getreide, davon 86 Millionen Weizen, war Russland in der Erntesaison 2020/21 einer der größten Getreideproduzenten der Welt. 49 Millionen Tonnen exportierte das Land, davon knapp 38 Millionen Tonnen Weizen. Würden die ganz oder teilweise wegbrechen, würde das die weltweite Marktlage erheblich verschärfen.

Drohende Knappheit bei Düngemitteln

Anlage zur Stickstoffdünger-Produktion in Kemerowo in Russland. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Hinzu kommt, dass Russland und das vom Westen ebenfalls sanktionierte Weißrussland (Belarus) bedeutende Düngemittel-Exporteure sind. Nach Angaben des Agrarökonomen Martin Qaim machen beide Länder zusammen rund 30 Prozent der weltweiten Kalium-Düngerexporte aus. Russland allein liefere normalerweise 15 Prozent des weltweiten Stickstoff-Düngers. Knappere und teurere Düngemittel würden die Lebensmittelkrise vor allem in den ärmeren Ländern Afrikas und des Mittleren Ostens zusätzlich verschärfen. Der Professor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn fürchtet, dass die weltweite "Zahl der hungernden Menschen kurzfristig auf über 100 Millionen ansteigen" könnte.

Keine Handelsembargos auf Nahrung

Qaim fordert deshalb, Nahrungsexporte aus Russland "soweit es geht" aus den Handelsembargos auszuklammern. Zudem sollten Europa und andere Teile der Welt versuchen, möglichst wenige ihrer produzierten Getreide und Ölsaaten außerhalb des Lebensmittelbereichs zu verwenden: "Ich denke dabei zum Beispiel an Reduktionen im Bereich der Biokraftstoff-Verwendung, was durch Aussetzung der Biokraftstoffmandate politisch möglich ist."

Luftbildaufnahme einer Palmöl-Plantage in Indonesien: Ab 2023 darf Palmöl nicht mehr für Biokraftstsoffe verwendet werden. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Auch sollte weniger Getreide verfüttert werden. Zudem könnten neue Technologien wie genomische Züchtung und digitale Innovationen längerfristig helfen, hohe Erträge mit weniger Dünger und Pestiziden zu erreichen, sagte Qaim. Eine flächendeckende Umstellung auf Biolandwirtschaft mit ihren niedrigen Erträgen sei nicht der richtige Weg: "Je weniger wir hier ernten, desto mehr Regenwald wird anderswo gerodet."

Die Bonner Junior-Professorin für Nachhaltige Entwicklung, Lisa Biber-Freudenberger, hält angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der globalen landwirtschaftlichen Erträge mittlerweile verfüttert oder verheizt werden, eine Debatte über die Abschaffung von "Subventionen für Energie aus Biomasse" und die Beschränkung von Futtermittel-Importen für angebracht.

Fleischkonsum und Beimischungspflicht

Maislager einer Biogasanlage im Wendland: Aus Lebensmitteln wird hier Energie gemacht. Bildrechte: IMAGO / Joerg Boethling

Auch der Rostocker Agrarökonomie-Professor Sebastian Lakner kritisiert, dass ein großer Teil der weltweiten Getreideproduktion für Futtermittel verwendet wird, "um preisgünstig Fleisch zu exportieren". Es sei die Frage, inwieweit man in den reichen Industriestaaten diesen hohen Fleischkonsum aufrechterhalten wolle.

Erhebliche Mengen an Getreide und Mais könnten Lakner zufolge auch freigesetzt werden, indem man die "Beimischungspflicht von Biokraftstoffen" kurzfristig aufhebe. Diese sei längst keine Zukunftstechnologie mehr. Laut offiziellen Zahlen wurden 2020 neun Prozent der weltweiten Erntemengen für Bioethanol und fünf Prozent für Biodiesel verwendet.

Vor allem Entwicklungsländer betroffen

Um die Lebensmittelversorgung sicherzustellen ist es nach Ansicht von Lakner von zentraler Bedeutung, "die internationalen Märkte offenzuhalten und keine Export-Restriktionen einzuführen". Seiner Einschätzung nach sind von den Exportausfällen aus der Ukraine und Russland weniger die EU-Staaten betroffen, die in vielen Bereichen einen hohen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent hätten. Es träfe vor allem Entwicklungsländer im Nahen Osten, im Maghreb und in Ostafrika. Lakner führte die Möglichkeit an, die "strategische Lagerhaltung" in der EU und in anderen Ländern aufzulösen und für die Versorgung dieser Entwicklungsländer freizugeben.

Quelle: Science Media Center (CMC) Germany /dni