Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
Klima & UmweltMedizinPsychologieWeltraumGeschichteNaturwissenschaftBildung
Hat der Waschbär gute Seiten? Bildrechte: colourbox

ArtenvielfaltDie unerforschten Seiten invasiver Arten

23. April 2024, 15:14 Uhr

Nosferatu-Spinne, Waschbär, Kirschlorbeer: Die Liste ist lang, wenn es darum geht, über Neuzugänge in der Natur zu schimpfen. Daran hat auch die Wissenschaft ihren Anteil, sagt ein US-Forschungsteam.

Erfüllt der Waschbär verborgene Funktionen fürs ökologische Gleichgewicht? Puh. Wem der Kerl schon mal in den Garten gekotet hat, rümpft an der Stelle garantiert die Nase. Genau, invasive Art eben, da fallen uns prompt noch mehr ein: spanische Wegschnecke, giftige Nosferatu-Spinne, Nilgans oder eben Waschbär. Wozu soll der schon gut sein, der pfeffert vergammelte Tomaten aus der Nachbar-Biomülltonne in unseren Hinterhof. Danke dafür. Vielleicht wäre es anders, wenn wir auch mal was über die guten Seiten der Waschbärbande aus der Nachbarschaft schreiben könnten. Kann mal einer ausrechnen, wie viel leichter die Biotonne ist, seit die Herrschaften rausgekriegt haben, dass man leicht an Futter kommt, wenn einer den Deckel aufhält und der andere in die Tonne klettert? Und weil genau das keiner tut, klebt am Waschbär der Geruch des Kackhaufens aus dem Garten: So ein Saubär.

Die Forschung beleuchtet die Schattenseiten

Wer jetzt nickt: Mit diesem Blickwinkel auf invasive Arten sind Sie nicht alleine. Auch in der Wissenschaft liegt der Fokus auf deren Schattenseiten, sagt ein Forschungstrio der Brown University in Rhode Island, und fordert: Das muss sich ändern. Dov Sax und zwei Kollegen haben sich angeschaut, worauf der Fokus in der Forschung gelegt wird, wenn es um Neuzugänge in Flora und Fauna geht und stellen fest: Es geht um die Schattenseiten. Die guten Seiten werden als Zufall betrachtet, aber in der Regel nicht systematisch beleuchtet. den Forschern zufolge gibt es ein klares Ungleichgewicht. Wissenschaftlich wird nämlich kaum untersucht, dass auch Neuzugänge in der Natur positive Potentiale haben. Auch invasive Arten übernehmen Aufgaben im Ökosystem, stellen Ressourcen für die Umwelt bereit, bereichern die Natur und die Artenvielfalt, und von manchen profitiert der Mensch sogar.

Invasive Arten sind nicht per sé die Buhmänner in der Natur

Nur werden diese Seiten selten wissenschaftlich untersucht und ihr Potential damit unterschätzt. "Invasive Arten sind nicht der Buhmann schlechthin", stellt Wissenschaftler Dov Sax klar. Die Forschung sollte bei ihren Untersuchungen den Fokus auf positive und negative Auswirkungen neuer Pflanzen und Tiere legen, um tatsächlich Gewinn und Verlust gegenüberstellen zu können.

Beliebter Fang in Neuseelands Flüssen. Die Forelle Bildrechte: imago/All Canada Photos

Er verweist auf das Beispiel des europäischen Regenwurms, der zwar als nicht-einheimischer Erdbewohner nordamerikanische Waldböden stark verändert, aber andererseits den Boden auf Getreideanbauflächen extrem verbessern könne: nur sei dies weniger bekannt. Ein anderes Beispiel sei die Einführung der Forelle in Neuseeland – sie bereichert inzwischen nicht nur den Speiseplan der Menschen, sondern auch deren Erholungs-Katalog, zu dem auch das Forellenfischen zählt.

Genügsame Schattenspender: Nach 200 Jahren auch noch "Neulinge"?

Ein Blickwinkel, der übrigens auch in Deutschland ab und zu diskutiert wird, besonders in Bezug auf das Klima, wenn es darum geht, unsere Umwelt langfristig fit zu machen für wärmere und trockenere Sommer. Und da stehen vielerorts schon Bäume herum, bei denen man kaum noch im Blick hat, dass es sich dabei um Arten handelt, die hier erst seit ein- oder zweihundert Jahren Schatten spenden, wie zum Beispiel der Ginkgo oder die Silberlinde: Auch sie wächst erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland, das ist wohl nur Botanikern bewusst. Vielleicht ist das alles auch eine Frage der Betrachtung und damit eher philosophischer Natur: Wie lange gilt eine Art als "invasiv"? Und wäre der Waschbär nicht viel beliebter, wenn wir wüssten, wieviel Euro er Menschen spart, weil er den Biotonnen-Inhalt regelmäßig vorfiltert und leichter macht, oder wie ökologisch wertvoll seine Haufen im Garten sind? Man weiß es eben nicht. Vielleicht kann das ja mal jemand wissenschaftlich untersuchen.

Ein großer Schattenspender: Der Gingko-Baum Bildrechte: imago images/blickwinkel

Studie

lfw

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR GARTEN | 27. November 2022 | 08:30 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen