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Wenn es weniger von dem einen geben soll, braucht es mehr von dem anderen: Der Kohleausstieg kann nur mit viel mehr Windkraftanlagen gelingen. Bildrechte: IMAGO / Panama Pictures

Erneuerbare EnergienWindkraft-Ausbau muss deutlich schneller werden, wenn Kohle-Ausstieg gelingen soll

07. August 2023, 05:04 Uhr

Der schleppende Windkraft-Ausbau gefährdet den pünktlichen Kohle-Ausstieg. Aus der Wissenschaft kommen Vorschläge, was sich ändern muss, damit sich Bevölkerung und Unternehmen als aktiven Teil der Energiewende begreifen.

Es ist eine Zwickmühle, in der sich Deutschland befindet: Der Kohleausstieg, ein entscheidender Schritt zur Erreichung der Klimaziele von Paris, hängt stark vom Ausbau der Erneuerbaren Energien ab. Denn irgendwoher muss der im Land benötigte Strom ja kommen.

Aber bei den Erneuerbaren hapert es, insbesondere bei der Windenergie. Die gesteckten Ausbauziele bis 2024 können normalerweise schon nicht mehr erreicht werden, was die Ziele bis 2030 ebenfalls unrealistischer erscheinen lässt.

Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin "Energie, Verkehr und Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht eine klare Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Zubau reicht nicht, sagt die Professorin, und diese Fehlentwicklung müsse schnell korrigiert werden. "Bleiben die Rahmenbedingungen so wie aktuell, dann wird sich der zu langsame Zubau weiterhin zeigen und eher verstetigen. Ein schnellerer Ausbau der Windenergie kann nur gelingen, wenn die Rahmenbedingungen angepasst werden", so Kemfert.

Andreas Löschel, Professor am Lehrstuhl für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit der Ruhr-Universität Bochum, sieht das ähnlich: "Es ist eine schlechte Nachricht, dass der Ausbau der Windenergie an Land nicht rascher vorangeht." Allerdings sei auch klar gewesen, dass die Beschleunigung Zeit brauchen wird. "Insofern kann aus der Entwicklung im Jahr 2024 noch nicht auf den Ausbau bis Ende des Jahrzehnts geschlossen werden", sagt Löschel.

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Dennoch kann ein Verfehlen der 2024er-Ziele längerfristige Auswirkungen haben, und zwar in Sachen Vertrauen bei den Menschen in Deutschland. Das jedenfalls befürchtet Martin Weibelzahl von der Technischen Hochschule Augsburg, dem Sorge bereitet, "dass die Politik bereits ihr allererstes Ziel in 2024 verfehlen wird. So kann die Glaubwürdigkeit der Politik, alles in ihrer Macht Stehende für eine Zielerreichung zu tun, enorm leiden. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Politik sind heute allerdings entscheidender denn je, um die riesigen Investitionen zu realisieren", sagt Weibelzahl.

Jetzt schon weiter denken als 2024

Laut Professor Löschel aus Bochum werden die kommenden zwei Jahre zeigen, "ob es gelungen ist, schnellere Genehmigungsverfahren, mehr planerisch ausgewiesene Flächen und mehr Rechtssicherheit bei Konflikten mit Natur- und Artenschutz sicher zu stellen." Hierzu sei eine konsequente Beseitigung der identifizierten Probleme unerlässlich.

Es gehe aber nicht nur um die Windkraft an Land, betont Martin Weibelzahl, der Zubau müsse auch auf dem Wasser und auf den Dächern (Photovoltaik) forciert werden. "Wenn es uns gelingt, Wirtschaft und Gesellschaft bei diesem großen Kraftakt mitzunehmen, bin ich guter Dinge", zeigt der Datenanalytiker Optimismus.

Energiepolitik ist nichts für Feiglinge.

Prof. Dr. Martin Weibelzahl, Professor für Data Analytics, Technische Hochschule Augsburg

Allerdings seien dafür innovative politische Werkzeuge nötig, findet Weibelzahl, und dazu gehöre Mut: "Ohne eine mutige Politik droht uns, bei jedem neuen Ziel weiter zurückzubleiben. Ich würde sagen, Energiepolitik ist nichts für Feiglinge."

Anreize für Unternehmen und Bevölkerung

Für eine erfolgreiche Energiewende müssen alle Akteure zusammenarbeiten, sind sich die Expertinnen und Experten einig. Hierzu gehören neben den politischen Entscheidungsträgern auch die Bevölkerung, die Unternehmen und natürlich die Wissenschaft. Sonderausschreibungen und veränderte Ausschreibungsregelungen könnten, wie Claudia Kemfert vorschlägt, eine mögliche Lösung sein. Ein konkretes Beispiel bei Windkraft-Anlagen an Land: "Die Regelung, dass bei Unterschreitung der angebotenen Mengen die Ausschreibungsmenge nach unten korrigiert wird, sollte ins Gegenteil gekehrt werden: Es sollten mehr Mengen ausgeschrieben werden", so Kemfert.

Eva Hauser und Katja Weiler vom Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme in Saarbrücken fordern vor allem eine stärkere Einbeziehung der Bevölkerung. "Für die Akzeptanz des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ist es sehr wichtig, dass sich die Menschen vor Ort spürbar und ernsthaft an Planungsprozessen beteiligen können. Dafür ist eine qualitativ hochwertige Ausgestaltung der formellen Planungs- und Genehmigungsprozesse, die ein hohes Maß an Transparenz und frühzeitiger Kommunikation gewährleistet, notwendig."

Auch Photovoltaik-Ausbau beschleunigen

Windkraft allein wird für die Energiewende nicht ausreichen, zumal der Strombedarf in Zukunft eher steigen als sinken wird. Laut Martin Weibelzahl steht Deutschland "vor der Herkulesaufgabe, nicht nur die aktuelle Stromnachfrage mittels ausreichend Erneuerbarer Energien zu decken, sondern auch neue, zusätzliche Stromnachfrager wie Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge oder elektrifizierte Industrieprozesse zu versorgen."

Und das ist aus seiner Sicht Aufgabe und Chance zugleich, bei der es auch auf die Sonnenenergie ankommt: "Wenn sich Haushalte und Unternehmen als aktiver Teil der Energiewende verstehen und entsprechend handeln, werden wir endlich die benötigten Investitionen in Photovoltaik-Anlagen beobachten. Hier kommt neben großen Freiflächenanlagen beispielsweise auch kleinen Balkonkraftwerken und Floating- oder Agri-Photovoltaik eine Rolle zu." Jede und jeder könne eine Veränderung bewirken, sagt Weibelzahl. "Gerade im sonnenreichen Süden Deutschlands schlummern hier entsprechende Potenziale.“

(rr/smc)