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Das Altpapier am 30. September 2019Streit um “Streit“

30. September 2019, 11:53 Uhr

Die Zeit hat in ihrem neuen “Streit“-Ressort Hans-Georg Maaßen plus 1 zum Doppelinterview geladen – und erntet nun die Früchte: Es gab viel beachteten Streit bei Twitter. Wir haben die Argumente gesichtet. Zudem: Bild und BamS sollen eins werden. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Der AutorKlaus Raab

Das Sportressort beschäftigt sich nicht nur mit Sport, es weckt auch Interesse daran. Im Politikressort geht es nicht nur um Politik, es lädt auch zur Befassung mit Politik ein. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass das neue Ressort “Streit“ der Wochenzeitung Die Zeit sich nicht nur mit Themen befasst, über die gestritten wird, sondern auch für Streit sorgt. Nach dem als Streitgespräch angekündigten Doppelinterview (frei derzeit nur für Abonnenten) mit dem Liberalen Gerhart Baum (FDP) und dem Illiberalen Hans-Georg Maaßen (Werte-Union) ist er entbrannt.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt darüber: “Ob die 'Zeit‘ 'mit Rechten reden‘ oder sogar, was nicht dasselbe ist, sich auf ein öffentliches Gespräch mit ihnen einlassen soll“, könne ihr zum Glück niemand vorschreiben. “Nur sollte man sich vielleicht nicht noch über die Empörung wundern, die man bewusst kalkulierte.“

Verwunderung über die entstandene Aufwallung ist tatsächlich eine wundersame Reaktion. Vor drei Wochen hieß es zur Ankündigung des neuen “Streit“-Ressorts in einem Blog der Zeit:

“Warum ausgerechnet Streit? Haben wir nicht schon genug davon? Brauchen wir nicht eher Versöhnung, da der politische Diskurs oft vergiftet ist und es vielen darum zu gehen scheint, einander absichtsvoll misszuverstehen? Nein, zwischen den Polen, in der Mitte, steht eine große Anzahl von Menschen, die sich hart, aber sachlich auseinandersetzen möchten. Diesen Menschen und ihren Argumenten geben wir eine Bühne.“

Und nun entdeckt man unter allen möglichen Menschen, die „in der Mitte“ stehen und „sich hart, aber sachlich auseinandersetzen möchten“, ausgerechnet Hans-Georg Maaßen, der die sachliche Auseinandersetzung im zurückliegenden Jahr federführend unterwandert hat?

Dass es deshalb Abokündigungen gab, auch von Leuten, die nach eigenen Angaben gar kein Abo mehr hatten, war zu erwarten. Der verteidigende Hinweis darauf, dass es sich um ein Doppelinterview handelt, also ein Streitgespräch und nicht zum Beispiel um einen Gastbeitrag, folgte auf dem Fuß, und der Hinweis war berechtigt: Mit dem Altliberalen Gerhart Baum hatte Maaßen einen Kontrahenten. Natascha Strobl, die auf ihren Twitter-Account regelmäßig Interviews mit Vertretern und Nahestehenden der Neuen Rechten analysiert, beobachtete allerdings (Thread gekürzt), dass der Erkenntnisgewinn mager gewesen sei – denn:

“Baum ist die längste Zeit Statist oder halt Kommentator der Maaßen-Statements. (…) Baum macht seine Sache in Ordnung, das Format weist ihm aber eine klare Rolle zu. Und das Format ist 'Wir haben den ur argen super Skandal bösen bösen Maaßen da. Und halt noch wen, damit es ein 'Streit‘ ist’. (…) Der erwartbare und kalkulierte Shitstorm wird dann mit “wir sind so mutig und trauen uns nicht konforme Meinungen zu bringen“, 'Meinungsfreiheit‘, 'kontroverse Meinungen so wichtig‘ etc. etc. verteidigt. Das ist so fad. Es ist ja eine bewusste Entscheidung das so zu gestalten.“

Das ist der harte und wahre Kern der Kritik: dass der sogenannte Shitstorm kalkuliert gewesen ist.  Anders lässt sich kaum erklären, dass von den Interviewern zum Beispiel eine Frage gestellt wird, die die FAS als “eine infame Suggestion“ bezeichnet: “Herr Baum“, lautet diese Frage, “würden Sie auch den Angehörigen der Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt vom Breitscheidplatz ins Gesicht sagen, dass die humanitäre Geste von 2015 das Risiko wert war?“

“Infam“ trifft es: Der Anschlag wurde schließlich von einem Mann verübt, der schon vor dem berühmten September 2015 nach Deutschland eingereist war. Das “Streit“-Ressort der Zeit, kommentiert taz-Medienredakteur Alexander Nabert, “ist ein sonderbarer Ort. Ein Ort, an dem Fakten (Amri kam vor 09/2015 nach Deutschland) kaum eine Rolle spielen. Ein Ort, an dem man (ehemalige) Verfassungsschützer nicht nach Fehlern der Behörde bei Amri fragt. Ein Ort für Gefühle – ohne Materie.“ Auch eine hübsche Einordnung: das Streit-Ressort als gedrucktes “Hart aber Fair“.

Etwas zurückhaltender als andere wäre ich allerdings, wenn es um die Frage geht, ob man mit Maaßen überhaupt ein Interview führen sollte. Das Argument, man dürfe xy keine Bühne bieten, wird zumindest mit jedem Tweet, der xy noch mehr Aufmerksamkeit verschafft, weniger stichhaltig.

Niemand hat einen Anspruch darauf, interviewt zu werden; niemand schränkt seine Meinungsfreiheit ein, wenn er nicht interviewt wird, natürlich nicht. Aber die gerne behaupteten Wirkungen – Aufmerksamkeit für Maaßen oder die AfD in reichweitestarken redaktionellen Medien führt zu deren Auftrieb (zum Beispiel hier: “NPD, Republikaner, DVU sind über kleine Erfolgsspitzen nie hinausgekommen. AfD wurde von Anfang an hofiert – und, surprise, wo ist sie jetzt?“) – stellen sich so einfach ja nicht wirklich ein. Massenkommunikation hat immer nicht-intendierte Wirkungen.

Daniel Erk argumentierte: Er finde diese “Monokausalität verblüffend bis enttäuschend. Mit so einer Analyse rechtsextremer Erfolge erreicht man m.E. genau nichts. (…) Die Medienlandschaft hat sich massiv verändert. Tichy etc., Facebook-Gruppen, WhatsApp-Chats schaffen Öffentlichkeiten. Die Gate Keeper sind dahin.“ Tim Klimeš hatte ein ähnliches Argument: Das Interview “gibt jemandem ein Forum, der ohnehin in der öffentlichen Sphäre, und sei es in der, die er sich selbst geschaffen hat (FB, Twitter) stattfindet“.

Währenddessen ist aus der AfD zu hören, dass sie das Klimathema zu ihrem nächsten großen Thema machen wolle. Und dafür auch eigene Filme produziere: “Mit dem Format von knapp einstündigen Dokumentationen“, die bei Youtube laufen sollen, “wollen wir eine Gegenöffentlichkeit zur einseitigen Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schaffen“, sagte AfD-Fraktionsvize Peter Felser der “Welt am Sonntag“. Der erste Film soll demnach den Titel “Dieselmord im Ökowahn“ tragen. Das Dilemma für Redaktionen ist programmiert: Berichtet man über die Positionen der AfD, als wären sie intellektuell gleichwertig und nur eine andere Meinung, relativiert man die Erkenntnisse der Wissenschaft. Tut man es nicht, inszeniert sich die AfD über die eigenen Vertriebswege als Medienopfer. Das alte Spiel.

Bild und BamS sollen fusionieren

Die Medien-News des Sonntags war allerdings nicht die, dass die AfD ins Dokumentationswesen einsteigen will, sondern eher die Nachricht, dass Bild und Bild am Sonntag fusionieren werden. Am heutigen Montag soll das im Paket mit anderen “einschneidenden Veränderungen“ verkündet werden, schreibt Horizont:

“Nach außen wird das freilich so wirken, als würde der machtbewusste Bild-Chef Julian Reichelt nach Tanit Koch, die vor ihrem Wechsel zu RTL als Diekmann-Zögling für die Print-Bild zuständig war, nun auch (BamS-Chefredakteurin) Marion Horn die wegbeißen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man weiß, wie wenig Horn und Reichelt miteinander können. Bisher hatten sich die beiden wechselseitig in Ruhe gelassen. Künftig müssten sie sich jedoch miteinander arrangieren.“

Weitere Hintergründe gibt es bei Spiegel Online:

“Hintergrund der Redaktionszusammenlegung sind Sparmaßnahmen bei Axel Springer mit seinen weltweit rund 16.000 Mitarbeitern. Das Berliner Medienhaus sieht seine Zukunft vor allem in digitalen Geschäftsfeldern. Vorstandschef Döpfner träumt davon, als Digitalkonzern weltweit Marktführer zu werden.“

Und bei Meedia:

“Hintergrund für die neue Redaktionsstruktur ist ein radikaler Sparkurs, den Vorstandschef Döpfner nach dem Einstieg des US-Finanzinvestors KKR dem Berliner Medienunternehmen verordnet hat. So beabsichtigt er, in diversen Bereichen auf die Kostenbremse zu treten. Davon betroffen sind neben der “Bild” und “Welt” auch die Zeitschriften, die Holding sowie die Druckereien.“

Die “Umschichtung“, die Springer-Chef Mathias Döpfner vor zwei Wochen im SZ-Interview angekündigt hat (Altpapier), könnte also heute beginnen. Wie sich sein Satz “Wir werden eher bei den Häuptlingen als bei den Indianern sparen“ mit den Zahlen verträgt, die der Tagesspiegel nennt (“Nach Tagesspiegel-Informationen werde bei ‚Bild‘ über eine Verkleinerung der Redaktion in einer Größenordnung von 150 bis 200 Mitarbeitern diskutiert“), erfahren wir dann sicher auch noch.

Altpapierkorb (Michael Herbig und der Relotius-Film, Transparenz im MDR-Rundfunkrat,, “Team Wallraff“)

+++ Dass der Relotius-Fall verfilmt werden soll, war bekannt; nun berichtet die Süddeutsche, wer die Regie führt: Michael Herbig. Und wann: 2021. “Der pointensichere Film-Nerd hat auch mal unter Helmut Dietl gedreht.“ Die feine Formulierung “pointensicherer Film-Nerd“ merken wir uns.

+++ Hans Hoff kolumniert bei DWDL über die “historische Sitzung 188“ (Altpapier vom Dienstag) des MDR-Rundfunkrats: “Warum gibt es keinen Livestream von einer Rundfunkratssitzung? Was gibt es da zu verheimlichen? Da wird doch im öffentlichen Interesse beraten. Warum dann nicht wirkliche Transparenz, sondern nur die Behauptung derselben?“

+++ Um die jüngste, die März-Folge des “Team Wallraffs“ ging es dieser Tage vor dem Oberlandesgericht Dresden. DWDL schreibt: “RTL erringt vor OLG Dresden Teilerfolg“, was positiv für RTL klingt. Bei Meedia heißt es: “Heimliche Filmaufnahmen im Pflegeheim waren nur teilweise zulässig“, was weniger positiv klingt. RTL wählt für die Pressemitteilung eine besonders originelle Überschrift: “OLG Dresden erachtet verdeckte Filmaufnahmen als teilweise zulässig.“ Wie man es dreht und wendet: Teilweise wurden sie demnach als nicht zulässig erachtet. Es ging unter anderem um die Frage, ob die Mitarbeiterin einer Klinik trotz Verpixelung erkennbar gewesen sei. Nun: Da man weiß, um welche Klinik und welche Station es sich handelt, wird Sherlock Holmes sie, sofern er sie kennt, schon identifizieren können. Aber juristisch ist es womöglich komplizierter, beendet ist die Sache noch nicht.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Dienstag.

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