Das Altpapier am 22. April 2021Das goldene Audio-Zeitalter, wirklich jetzt
Die Tektonik der Audio-Branche steht vor Veränderungen. Allein die Ankündigungen von Apple und Facebook in dieser Woche dürften einiges umkrempeln. Ein Überblick, was auf Macherinnen und Nutzer zukommt – und welche Rolle die Generation Z bei diesen Entwicklungen spielt. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Inhalt des Artikels:
Wer kriegt welches Stück vom Kuchen?
Apple hat neue Pläne, Spotify hat diverse Pläne in der Pipeline und auch Facebook will mitziehen: In der Audio- und Podcastbranche stehen grade diverse Veränderungen bevor, die ihre Tektonik in vielerlei Hinsicht verändern könnten.
Den größten Wirbel machte diese Woche die Ankündigung von Apple, "das nächste Kapitel des Podcastings mit Apple Podcast Subscriptions" aufzuschlagen – nachdem der Konzern den Bereich 15 Jahre lang mehr oder weniger vor sich hin dümpeln lassen hat. Nutzerinnen und Nutzer sollen bestimmte Podcasts also gegen Bezahlung abonnieren können, um auf "Premiuminhalte" zuzugreifen, Werbung loszuwerden und schon früher als Ottonormalhörerinnen an einzelne Folgen zu kommen. Schon im Mai soll das Ganze in einer separaten App starten. In Deutschland ist etwa der Spiegel dabei. Den Podcaster:innen sollen außerdem verschieden Tools für Marketing, Analyse und Planung zur Verfügung gestellt werden. Aber natürlich gibt‘s das alles nicht umsonst:
"Finanziell stehen Podcaster allerdings vor dem gleichen Problem wie andere Content-Produzenten, die ihre Inhalte in den App Store stellen – die Präsenz auf der Apple-Plattform kostet eine entsprechende Umsatzbeteiligung. 30 Prozent der Erlöse will Apple auch von Podcast-Abos im ersten Jahr einbehalten, wie Tech-Reporter Casey Newton auf Twitter berichtet. Im zweiten Jahr fällt die Umsatzbeteiligung dann auf 15 Prozent",
schreibt Nils Jacobsen bei Meedia.
Auch Facebook will ein Stück vom Audio-Kuchen abhaben und plant, sich an Spotify anzukuscheln und im Bereich Social Audio einzusteigen. Das Tech-Magazin The Verge berichtete diese Woche, dass Facebooks Clubhouse-Klon im Sommer an den Start gehen soll. Auch Twitter ist mit Spaces bereits in dem Bereich in die Arena gestiegen. Neben der Möglichkeit der Live-Gespräche plant Facebook aber u.a. auch, Sharability von Audioinhalten zu steigern und kleine "Soundbites" in den Feed zu integrieren.
"Think TikTok, but with audio clips",
kommentiert Ashley Carman bei The Verge. Facebook will außerdem den Spotify-Player in seinen Newsfeed integrieren. Zum Hören der Inhalte müssten Nutzerinnen und Nutzer die Plattform dann nicht mehr verlassen, sondern könnten ihren Spotify-Account mit Facebook verknüpfen. Podcasts sollen Nutzerinnen und Nutzern außerdem aktiv vorgeschlagen werden. Beim WDR-Blog Digitalistan analysiert Jörg Schieb Facebooks Audio-Strategie so:
"Ohne in Inhalte investieren zu müssen, sind sie trotzdem präsent – und im Umfeld lässt sich wunderbar Werbung verkaufen. Podcast-Macher werden aktiver als bisher schon auf Facebook ihre Podcasts bewerben – und sind zunehmend abhängig von Facebook, weil Mark Zuckerbergs Netz sie sichtbarer machen und Hörerinnen und Hörer bringt."
Auch Spotify, dessen Hauptgeschäft im Gegensatz zu den anderen Playern ja im Bereich Audio liegt, plant weitere Schritte: Der schwedische Streaminganbieter hat Ende März die Firma des Clubhouse-Konkurrenten Locker Room gekauft und will den Fokus auf Live-Audio-Elemente verstärken. Außerdem dürften klassische Radio-Elemente bei Spotify künftig eine größere Rolle spielen, denn mit Car Thing hat der Konzern in den USA einen Smart Player auf den Markt gebracht, der eine "seamless and personalized in-car listening experience" sorgen soll - quasi ein hyperpersonalisiertes Radio.
Außerdem will Spotify im deutschsprachigen Raum weitere tagesaktuelle Formate und Audio-Dokus anbieten, sagte Saruul Krause-Jentsch, Head of Studios im Podcastbereich DACH im OMR Media Podcast. Einige der im Februar angekündigten News-Formate für die junge Kernzielgruppe Spotifys laufen bereits, FOMO zum Beispiel oder der in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung betriebene Nachrichten-Geschichts-Podcast "An diesem Tag", der ein wenig an das traditionelle WDR-Format "ZeitZeichen" erinnert.
Unerhört verkürzt hieße das alles: Apple wird mehr wie Spotify, Facebook rückt währenddessen näher zu Spotify und übernimmt gleichzeitig Elemente von Clubhouse, ebenso wie Spotify, das wiederum auch klassische Radioelemente größer macht.
Zeit für Social Audio ist reif
Sascha Lobo sieht in seiner Spiegel-Kolumne vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen gar den "Beginn des Goldenen Zeitalters des Podcasts – diesmal wirklich (es wurde schon häufiger angekündigt)." Die Zeit für Social Audio sei reif, schreibt er. Das zeige sich auch an den Elementen, die in dem Bereich bisher fehlen:
"Es gibt für Audio noch keinen allgemein akzeptierten Rückkanal, auf und mit dem das Publikum so reagieren könnte wie es auf YouTube auf Videos reagieren kann. Weshalb viele Podcaster ihre Episoden bisher zusätzlich auf YouTube einstellen, um ihre Community weniger sprachlos werden zu lassen. Für Podcasts gibt es auch kaum Zitat- oder andere kluge Sharing-Möglichkeiten, und die sogenannte »Discovery«, also die Entdeckbarkeit neuer Inhalte, funktioniert eher bescheiden und fragmentiert."
Durch die oben zusammengetragenen Ankündigungen der Audio- und Tech-Konzerne deuten bereits Entwicklungen in diesen Bereichen an. Neben den klassischen Radio-Angeboten könnten all diese Entwicklungen hin zu einer stärkeren Position von Audio von Social Audio aber auch den Video-Bereich beeinflussen. Lobo:
"es mag sich merkwürdig anhören – aber diese Zukunft von Audio liegt auch im Bewegtbild. Denn die heutige Audiolandschaft wird um eine Art 'casual video' ergänzt: Man hört die ganze Zeit zu, aber wirft nur immer mal zwischendurch einen Blick auf das dazugehörige, fast optionale Bildangebot. Eine Reihe von YouTube-Formaten, bei denen der Videoanteil ohnehin nur aus einem sprechenden Kopf besteht, kann sich in diese Richtung entwickeln. Und wenn man ehrlich ist, könnten sogar die meisten TV-Talkshows auf 95 Prozent des Bildmaterials verzichten."
Und die Gen Z?
Perspektivisch spielt bei diesen Entwicklungen auch das Mediennutzungsverhalten der Generation Z eine große Rolle. Diese Generation der etwa ab 1997 Geborenen, die nun immer mehr in die Zielgruppen hineinwachsen, hat einen ganz anderen Fokus als die Millennials, Generation X und die Baby Boomer, wenn es um Unterhaltung im Netz geht.
Auf der Medienseite der Süddeutschen (nicht frei online, aber hier bei Blendle) wirft Jürgen Schmieder einen Blick auf die Media Trends des Beraterkonzerns Deloitte und deren Prognosen für die künftigen Veränderungen in der Unterhaltungsbranche. Die Gen Z nutze das Internet deutlich anders als ihre Vorgänger-Generationen:
"Die Gen-Z-Leute gaben an, am liebsten Videospiele zu zocken (26 Prozent). Es folgen Musikhören (14 Prozent), Internetsurfen (zwölf) und Aktivitäten auf sozialen Medien (elf). Filme, Serien und Live-TV kamen auf Platz fünf mit nur zehn Prozent. Das ist wenig, denn bei allen anderen Generationen liegen Filme, Serien und Live-TV jeweils auf Platz eins: bei Millennials (18 Prozent) und bei den älteren sowieso, also den sogenannten Gen X (Jahrgang 1966 bis 82) oder den vor 1966 geborenen Babyboomern."
Die Gen Z will sich auch verschiedenen anderen Untersuchungen zufolge nicht mehr vorrangig als passive Rezipienten beschallen lassen, sondern selbst einen aktiven Part übernehmen. Kommunikation, Partizipation und eigene Kreativität sind diesen jungen Menschen im digitalen Raum noch wichtiger als den älteren Nutzer:innen. Schmieder unterfüttert das mit weiteren Zahlen, etwa zur Nachrichtennutzung, und zitiert dazu Kevin Westcott, einen der Studienleiter und bei Deloitte verantwortlich für die Bereiche Technik und Medien:
"Es gibt keine Anzeichen oder gar Beweise dafür, dass Gen Z ihre Gewohnheiten ändern wird. Diese Generation sucht derzeit nach Videospielen, Musik und anderen Formen der Unterhaltung. Ein Unternehmen wird also künftig mehr bieten müssen als Filme und Serien."
Im Audiobereich entwickelt sich grade vieles in diese Richtung. Auch Plattformen wie TikTok, Instagram oder Youtube arbeiten schon länger mit diesem Bedürfnis.
Wie und wann Streaminganbieter wie Netflix oder gar Anbieter mit klassischem, linearen Programm auf diesen sich ändernden Schwerpunkt der Mediennutzung reagieren, wird spannend. Bisher sind zum Beispiel interaktive Serien und Filme (wie "Black Mirror: Bandersnatch", "Minecraft Story Mode" oder "Du gegen die Wildnis") bei Netflix eher die Ausnahme und bieten nur recht eingegrenzte Möglichkeiten, die eigene Kreativität auszuleben und zu kommunizieren. Auf Dauer wird man deutlich mehr "out of the box" denken müssen, um Gen Z auf breiter Basis zu erreichen und zu halten...
Altpapierkorb (Berichterstattung über Chauvin-Urteil, Europäische Mediathek, Klatschpresse)
+++ Der ehemalige US-Polizist Derek Chauvin ist nicht wegen Mordes an George Floyd verurteilt worden, jedenfalls nicht nach deutschem Rechtsverständnis. In der Berichterstattung sei das meist so rüber gekommen, kritisiert Stephan Anpalagan bei Twitter. Bei der FR schreibt die Journalistin und Juristin Johanna Soll zu Chauvins Schuldspruch detailliert: "Der ehemalige Polizist ist jetzt ein erstinstanzlich verurteilter Straftäter, wegen unvorsätzlichen Mordes zweiten und dritten Grades und wegen Totschlags zweiten Grades. Diese Straftatbestände nach dem US-Strafrecht bedeuten nach deutschem Strafrecht Körperverletzung mit Todesfolge, Totschlag mit bedingtem Vorsatz und fahrlässige Tötung. Nach deutschem Recht wird Derek Chauvin kein Mord vorgeworfen und auch kein direkter Tötungsvorsatz, denn laut US-Rechtsexpert:innen gab dies die Beweislage nicht her." Das mag für einige ein kleines Detail sein, für die Bewertung der Situation als ganzes und für die Geschichtsbücher ist es aber ein sehr wichtiges.
+++ Es ist keine "Supermediathek", sondern bisher eher ein mitteleuropäisches Mediathekchen: The European Collection ist online. ARTE, ARD, ZDF, France Télévisions und die schweizer SRG SSR bündeln darin Dokumentarfilme, Reportagen und Webformate zu aktuellen Themen aus Politik und Gesellschaft in Europa. Eine gemeinsame Landingpage gibt es für das Projekt allerdings nicht, auch wenn das symbolisch wichtig sei, kritisiert Leonhard Dobusch bei Twitter. Stattdessen findet alles auf Unterseiten der einzelnen Mediatheken statt.
+++ Für die FAZ setzt sich Johanna Christner unter dem Titel "Der Wert von Online-Umfragen" detailliert mit dem Streit zwischen den Meinungsforschern von Forsa und dem Start-up Civey auseinander (nicht frei online, aber hier bei Blendle). Sie dröselt auch auf, welche Rohdaten von Civey verwendet werden und was daran für die Aussagekraft der Umfrageergebnisse problematisch sein könnte…
+++ Die deutsche Klatschpresse ist seit Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale am vergangenen Freitag selbst zum Objekt von Klatsch und Hohn geworden (siehe Altpapier). Bei Deutschlandfunks "@mediasres" erklärt der Presseforscher Andreas Vogel wie wenig Recherche bei den Blättern stattfindet und wie wenige Journalist:innen dort arbeiten. Außerdem wirft er einen Blick auf das Geschäftsmodell dahinter und wie lange es sich noch hält.
+++ Beim Tagesspiegel schreibt Gunda Bartels über "Para – Wir sind King", die neue TNT-Serie falle weniger stereotyp, dafür facettenreicher und dabei genauso authentisch und cool aus wie "4 Blocks".
Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.
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