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Medien im KrisenmodusLokalfernsehen: Steigende Reichweiten, fehlende Werbegelder

15. April 2020, 18:53 Uhr

Gute Stimmung statt Untergangsszenarien: Fragt man die Programmverantwortlichen von Lokalfernsehstationen in Mitteldeutschland nach der aktuellen Situation, kommen zwar gestresste, vor allem aber motivierte Aufbruch- und Einfach-Machen-Sprüche. Für Verzweiflung ist bislang schlicht auch noch keine Zeit geblieben: Denn die Krise fordert die Programm-Macher in ihrer ganzen Kreativität.

von Peter Stawowy

Die Krise scheint die Stunde des Lokalfernsehens zu sein: Die meisten rund 50 Lokalfernseh-Stationen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen leben bereits seit Jahren von der Hand in den Mund. Oft müssen sie mit sehr kleiner Belegschaft arbeiten und deshalb die technischen Möglichkeiten nutzen.

„Unterfinanzierung“ ist ein beliebtes Stichwort, mit dem das Geschäft Lokal-TV gern beschrieben wird. Denn der lokale Werbemarkt ist überschaubar und hart umkämpft, von den größeren, landes- oder gar bundesweiten Werbekuchen fallen sowieso nur ausgesprochen selten ein paar Krümel ab. Viele Programm-Macher haben deswegen noch zweite oder dritte Standbeine aufgebaut, etwa Werbeagenturen oder technische Dienstleistungen für Konferenzen, um den TV-Programmbetrieb abzusichern. Dass die Branche finanziell eher schwach aufgestellt ist, dürfte jetzt ihr Vorteil sein. Denn Improvisation und Kreativität sind in der Krise besonders gefordert.

Fernsehen braucht bewegte Bilder

„Wir haben kein zweites Team“, sagt etwa Mike Bielagk, der seit rund 30 Jahren mit seinem Kabel Journal von Grünhein-Beierfeld aus das sächsische Erzgebirge versorgt. Anders als die privaten Radiostationen oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann es sich der Geschäftsführer des erzgebirgischen Lokalfernsehens schlicht nicht leisten, ein zweites Produktions-Team in Reserve zu halten, sollte sich jemand aus seiner Mannschaft mit dem Corona-Virus infizieren. Anders als bei der Zeitung geht es aber nicht, dass seine Redaktion überwiegend im Homeoffice arbeitet. Denn Fernsehen braucht in erster Linie bewegte Bilder.

Gleich zu Beginn der Krise hat Bielagk allerdings einen Teil der Belegschaft in Kurzarbeit geschickt – etwa diejenigen, die sonst im Außendienst die Werbeplätze verkaufen. In der Redaktion arbeiten jetzt noch fünf Kolleginnen und Kollegen mit entsprechendem räumlichen Abstand. Sie müssen nun deutlich mehr Programm als vorher stemmen. Sollte sich einer oder eine von ihnen mit dem Corona-Virus infizieren, müsste improvisiert werden.

Älteres Publikum häufig ohne Internet

„Es ist wie bei der Flut damals: Wir produzieren wie die Irren, verdienen aber kein Geld“, sagt Uwe Tschirner, Redaktionsleiter von Oberlausitz TV aus in Zittau. Mit Beginn der Krise hat er wie viele andere Stationen auch gleich das Programm umgestellt. Plötzlich sind Video-Telefon-Interviews im Programm sendefähig, was bis vor kurzem noch als technisch nicht vertretbar galt. Tschirner sieht sich dabei vor allem einem Publikum gegenüber in der Pflicht, das wie zum Beispiel manche ältere Menschen nicht mit dem Internet verbunden ist. Viele haben aktuell einen erhöhten Bedarf nach Informationen aus der Region, weiß er. Zumal die Zeitungen vielerorts die Lokalseiten deutlich reduziert und zusammengelegt haben.

Sein Programm sendet er über die digitalen Kabelnetze der Oberlausitz. Gleichzeitig lädt er seine Inhalte auch auf YouTube und bei anderen sozialen Netzwerken hoch. Mit der Krise sind auch eine Reihe neuer Formate ins Programm gekommen: Etwa der „Blick zum Nachbarn“, in dem Tschirner regelmäßig mit einem Journalisten aus dem tschechischen Liberec per Videokonferenz darüber spricht, wie die Situation im Nachbarland so ist.

Auch für die Kultur in der Region hat Tschirner mit Partnern aus der Region ein neues Format erfunden: Seit Beginn der Krise lädt er „Musiker, Sänger, Tänzer, Dichter, Autoren, Maler, Magier, Filmemacher, Fotografen und alle künstlerisch begabten Bewohner und Bewohnerinnen der Landkreise Görlitz und Bautzen“ ein, Videos mit eigenen Beiträgen hochzuladen. Titel der Serie: UnbezahlbarArt. Motto: „Wenn die Menschen nicht zur Kultur können, kommt die Kultur zu den Menschen.“ Weit über 50 Beiträge sind schon eingegangen, von einzelnen Musikern und Bands, Schauspielerinnen und Schauspielern, Zeichnerinnen und Zeichnern, Puppenspielerinnen und -spielern bis hin zu tanzenden Rettungssanitäterinnen und -sanitätern.

Lokalen Zusammenhalt stärken

„Wir haben nicht mehr nur einen journalistischen Auftrag“, meint Mike Langer vom Thüringer Altenburg TV. Auch er berichtet von den Finanzierungsproblemen. Der Werbemarkt sei quasi über Nacht weggebrochen und es sei ungewiss, ob und wann die Kunden wiederkämen. Aber auch er ist mehr motiviert als frustriert: Er bekommt viele Anfragen von Einzelpersonen und Institutionen, die ihre Inhalte in die Öffentlichkeit bringen wollen - und er bekommt viel dankbares Feedback vom Publikum.

„Wir hatten im März hier im Studio Manuel Schmid, den Sänger von Stern Meißen, mit zwei Musikerfreunden“, nennt Langer ein Beispiel. Mit zwei Kollegen hat er das Konzert aufgenommen und live ins Netz gestreamt. Für so eine Produktion hätten die landes- oder bundesweiten Programme ein Zigfaches an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgefahren. „Eine sehr besondere Situation für alle“, so Langer: „Das Publikum war nicht zu sehen, aber die haben am Ende vor 1000 Leuten gespielt und waren total aufgeregt.“ Besonderes Bonbon: Die Band konnte im Vorfeld virtuelle „Eintrittskarten“ verkaufen - also um Spenden bitten. Die Musiker hätten sich hinterher noch sehr freudig über die zusätzlichen Einnahmen bedankt.

Steigende Reichweiten, großer Bedarf

„Gerade in den sozialen Netzwerken stellen viele Programm-Schaffende einen deutlichen Anstieg der Reichweiten fest“, weiß Rene Falkner, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Regionalfernsehen in Sachsen (ARIS). Der ewige Vorwurf, kaum jemand schaue Lokalfernsehen, hält er – qua Amt – sowieso für Unsinn. Der Vorwurf werde aber aktuell durch Publikumsreaktionen schon bei kleineren Fehlern in den Lokal-TV-Sendungen regelrecht wegfegt, berichtet er stolz. „Da ist dann die Aufregung groß. Allein daran merkt man: Das Programm wird gesehen!“

Die Lokalsender werden auch für Inhalte Dritter interessant. „Bis vor wenigen Wochen gab es bei vielen Sendern noch keine Übertragung von Gottesdiensten“, sagt Falkner. Auch Bürgermeisterinnen und -meister oder Landratsämter melden sich und fragen ganz offensiv, wie es mit der Übertragung der Corona-Pressekonferenz aussieht.

Politik wünscht kontinuierlichen Sendebetrieb

Dass die Sender im kleinen lokalen Bereich gerade jetzt in der Krise einen wichtigen Dienst für die Gesellschaft leisten, haben auch die Politik und die zuständigen Verwaltungen erkannt. Alle Sender-Betreiber berichten, dass sich die für sie zuständigen Landesmedienanstalten inzwischen gemeldet und die Situation vor Ort abgefragt hätten. Neben dem deutlichen Wunsch, dass der Sendebetrieb gemäß Lizenzen aufrechterhalten und die Bevölkerung weiter mit lokalen Informationen versorgt werde, kam natürlich auch das Thema Finanzierung auf den Tisch.

Und damit ein altes Dilemma des Lokalfernsehens: Denn die Politik oder der Staat dürfen in Deutschland keine Inhalte fürs Radio- oder Fernsehprogramm finanzieren – ganz egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat. Gleichwohl suchen alle Beteiligen seit Jahren nach Möglichkeiten, Lokalfernsehen besser finanziell auszustatten. Die Landesanstalt in Sachsen hat jetzt als erste ein Maßnahmenprogramm verkündet: Bis Ende Juni will man die technischen Verbreitungskosten, also die Sendekosten, alle Lokal-TV-Staionen in Sachsen übernehmen. Außerdem wird ein Sonderpreis ausgelobt, mit dem später Preisgelder in Höhe von insgesamt 100.000 Euro an die Sender verteilt werden sollen, die Krisen-Programm gesendet haben.

Rene Falkner von der Arbeitsgemeinschaft Regionalfernsehen in Sachsen begrüßt das Programm als ersten und guten Schritt. Er mahnt aber auch an: „Man sollte diese Situation zum Anlass nehmen, mal ganz grundsätzlich über die Finanzierung von lokalem Journalismus zu reden.“

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