TourismusKulturschock und klingende Kassen: Araber lassen polnische Bergregion boomen
Die Saison am Fuße der Hohen Tatra in Polen ist gerettet. Zwar fehlen russische Touristen und die Polen halten sich wegen der hohen Inflation mit Urlaubsausgaben zurück – doch die arabischen Gäste lassen die Kassen klingeln. Sie kommen zahlreich nach Zakopane und sorgen hier und da für einen kleinen Kulturschock.
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Zu Beginn der Saison waren Hoteliers und Restaurantbesitzer am Fuße des Tatragebirges in Polen regelrecht verzweifelt – polnische Touristen blieben, durch die hohen Preise abgeschreckt, weg – und wer kam, reduzierte seine Ausgaben, wo er nur konnte. Aus offensichtlichen Gründen blieben auch die Touristen aus Russland und Belarus aus, die in den vergangenen Jahren die Region massenhaft besuchten. Doch die "Katastrophe" konnte dank Besuchern von der arabischen Halbinsel abgewendet werden.
Arabische Touristen kamen schon vor der Coronavirus-Pandemie zahlreich nach Zakopane, in der Regel während der Hochsaison und meistens für zwei bis drei Wochen. Ganze Familien logierten in teuren Hotels oder mieteten komplette Häuser oder Appartements, meist die luxuriösesten am Ort. Nach Beginn der Pandemie brach der Tourismus aus dem Nahen Osten jedoch ab. Nun kommen die "Scheichs", wie man die Urlauber aus dem Nahen Osten in Polen landläufig nennt, wieder.
"Zum Glück sind sie da. Sie haben die Lücke gefüllt, die die Gäste aus Belarus und Russland hinterlassen haben, die wir bei uns nicht mehr sehen", sagt Emilia Glista von der Beratungs- und Marketingagentur Joint System.
Arabische Mittelschicht kommt dank Mundpropaganda
Augenfällig ist auch, dass sich die Struktur der arabischen Besucher geändert hat. Inzwischen scheinen auch die weniger wohlhabenden arabischen Touristen nach Zakopane zu kommen – nicht nur die reichsten wie vor der Pandemie. Den Hoteliers zufolge kommt jetzt die arabische Mittelschicht. Die Gäste aus Nahost steigen nun in Unterkünften mit sehr unterschiedlichen Standards ab, nicht mehr ausschließlich nur in den teuersten. Man sieht zudem auch deutlich kleinere Familien oder Gruppen von alleinreisenden Männern.
Höchstwahrscheinlich ist dies das Ergebnis von "Flüsterpropaganda", da Polen in den arabischen Ländern kaum Werbung macht. "Zakopane gelangt nur durch Gespräche in das Bewusstsein der Bürger von Katar, Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das ist ein spannendes Phänomen, denn die Region Tatra macht im Nahen Osten keinerlei Werbung für sich", betont Karol Wagner von der Handelskammer der Tatra.
Nach vorläufigen Schätzungen ist es derzeit die größte Gruppe ausländischer Touristen in der Gegend – fast jeder zweite ausländische Gast in Zakopane ist von der Arabischen Halbinsel gekommen. Schon 2018 hat die Fluggesellschaft Flydubai eine Verbindung zwischen Krakau und den Vereinigten Arabischen Emiraten eröffnet. Derzeit liegt der Durchschnittspreis für einen Hin- und Rückflug bei etwa 350 Euro.
Spaziergänge und Einkaufsbummel statt Bergwanderungen
Während polnische Touristen auf Bergpfaden wandern und die Landschaft von oben bewundern, verbringen die Besucher aus dem Nahen Osten ihre Ferien ganz anders. Sie schätzen ruhige Spaziergänge durch die Stadt mehr als das Erklimmen hoher Berge. Sie fahren höchstens mit der Seilbahn auf den Kasprowy Wierch hinauf oder mit der Pferdekutsche zum berühmten Gebirgssee Morskie Oko.
Sonst hat ihr Urlaubstag einen relativ ruhigen Ablauf: Frühstück im Hotel, ein Bad im Aquapark, ein Einkaufsbummel in der Krupówki-Straße, der berühmten Promenade von Zakopane, oder eine Kutschfahrt durch den Ort. Die Touristen aus Nahost sagen, dass sie Zakopane im Sommer besonders mögen, denn hier ist es sehr grün und viel kühler als bei ihnen zu Hause. Sie genießen es sogar, wenn es regnet, was für die Polen wiederum meist einen verdorbenen Urlaub bedeutet.
Polnische Süßigkeiten erobern arabische Gaumen
Touristen aus arabischen Ländern sind attraktive Kunden, allerdings auch anspruchsvoll. Sie erwarten hohe Standards beim Service, was mehr Engagement erfordert. Auch beim Einkaufen sind sie relativ wählerisch. Sie kaufen hauptsächlich lokales Kunsthandwerk ein, besonders wenn es mit dem Etikett "hand made" versehen ist.
Eine besondere Vorliebe haben sie jedoch für polnischen Honig, weil Süßigkeiten in der arabischen Kultur stark verankert sind. Sie sind bereit, ausnahmsweise sogar ohne das in ihrer Kultur so verbreitete Handeln, mehrere Hundert Złoty dafür auszugeben. Ein echter Shopping-Hit unter den Touristen aus dem Nahen Osten sind außerdem Krówki, die bekannten polnischen Karamellbonbons.
Erst vor wenigen Tagen haben die polnischen Medien breit über einen "Scheich aus Dubai" berichtet, der mit mehreren seiner Ehefrauen einen Süßigkeitenladen aufsuchte und für jede seiner Angetrauten einen Sack Krówki einpacken ließ – die Rechnung soll sich auf 2.500 Złoty belaufen haben (rund 560 Euro).
Fleisch aus ritueller Schlachtung noch Mangelware
Lediglich die örtliche Gastronomie profitiert nur bedingt von den arabischen Besuchern. Aus Angst vor Magenbeschwerden meiden sie die urigen Berggasthöfe mit traditioneller Regionalküche. Manche von ihnen beschränken sich auf die Mahlzeiten, die von den Hotels als Teil ihres Unterkunftspakets angeboten werden.
Andere ziehen es vor, in italienischen Restaurants zu speisen, weil sie als neutral und sicher gelten und viele Nudelgerichte, Huhn und Meeresfrüchte anbieten. In der Regel bestellt nur einer von hundert Touristen aus dem Nahen Osten Alkohol, berichten Kellner in den örtlichen Restaurants.
"Sie kommen nicht sehr oft zu uns, sie bevorzugen eher Cafés und Konditoreien", sagt eine Kellnerin in einem traditionellen Gasthaus an der Flaniermeile Krupówki. "Gleich als Erstes fragen sie nach Halal-Fleisch. Als ich antworte, dass wir keins haben, fragen sie, ob wir wenigstens Geflügel und Schweinefleisch auf getrennten Grills zubereiten. Und dann gehen sie, weil wir – wie andere auch – alles auf einem Grill braten."
Das Wort "halal" steht für Fleisch aus rituellen Schlachtungen – und das gibt es in Zakopane eigentlich nur im Luxus-Hotel "Kasprowy Wierch", das auch eine Speisekarte in arabischer Sprache führt. Derzeit machen arabische Touristen 70 bis 80 Prozent seiner Kunden aus, wie der Hotel-Manager sagt. Sonst gibt es noch eine andere Option: selbst einzukaufen und selbst zu kochen – in örtlichen Supermärkten sind Kundinnen im Hijab bereits ein alltäglicher Anblick.
Feilschen sorgt für Kulturschock
Ein weiterer, eher kleiner Kulturschock, den die Einheimischen mit ihren arabischen Gästen erleben, ist das Feilschen, das in Polen völlig unüblich ist. "'Discount, discount' wiederholen sie, und wenn ich ihnen sage, dass es keinen Rabatt gibt, geht die Hälfte von ihnen beleidigt weg", berichtet der Besitzer eines Souvenirladens an der Krupówki-Straße. Doch die Menschen in der Region sind flexibel und werden sich sicherlich auch damit arrangieren – schließlich sind die arabischen Touristen in Zeiten hoher Inflation, in der die einheimische Kundschaft den Gürtel enger schnallt, eine wahre Goldgrube für sie.
Und vieles spricht dafür, dass diese Quelle nicht so schnell versiegen wird. "Für Araber ist Zakopane ein Vergnügungspark, eine Art Disneyland, noch dazu zum halben Preis", sagt Karol Wagner zu dem Phänomen der großen Beliebtheit von Zakopane unter den arabischen Gästen. "Bunte Trachten, Pferdekutschen, regionale Produkte, all das ist für sie eine große Attraktion." Was will man mehr?
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcaast | 09. September 2023 | 07:17 Uhr