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Die Tschechen geben Unsummen für Lebensmittel in polnischen Supermärkten aus. Rekordinflation und hohe Steuern in der Heimat treiben viele dazu, nach Ersparnisen im Nachbarland zu suchen. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Inflation und hohe SteuernWarum die Tschechen in Polen und Deutschland einkaufen

18. Dezember 2023, 15:10 Uhr

Vor allem Polen wird von vielen Tschechen als Einkaufsparadies gesehen – neben günstigen Lebensmitteln oder Sprit werden dort auch Möbel oder ganze Küchen angeschafft. Wachsender Beliebtheit erfreuen sich auch Einkäufe in Deutschland. Premier Petr Fiala versucht unterdessen mit einem "Testeinkauf" in einem Supermarkt in Bayern zu punkten – mit mäßigem Erfolg.

In der Adventszeit gehört eine Shoppingtour ins Ausland für viele Tschechen zur Tradition. Dieses Phänomen gab es schon im "real existierenden Sozialismus", wegen der vielen Reisebeschränkungen waren für die Bürger allerdings die Möglichkeiten begrenzt. Insbesondere die damalige DDR war vor den Feiertagen das Ziel vieler Einkaufstouristen jenseits der Grenze. Von dort holte man sich etwa Kakao, Eierlikör, Räucherkerzen, Wurstwaren und den Dresdner Christstollen.

Mittlerweile kaufen die Tschechen bei ihren Nachbarn in einem deutlich größeren Umfang ein, und zwar unabhängig von der Jahreszeit. Insbesondere die Supermärkte in Polen werden von tschechischen Kunden regelrecht im Sturm genommen. Was vor einigen Jahren mit dem Kauf von preiswerten Lebensmitteln und Kleidung begann und sich dann auf billigeren Sprit ausweitete, nahm in letzter Zeit enorme Dimensionen an. Gegenwärtig werden auch Möbel oder sogar ganze Küchen in Polen gekauft.

Lebensmittel in einem polnischen Supermarkt – für die Tschechen phantastisch preiswert. Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

Flucht vor der hohen Inflation

Die Flucht der Verbraucher ins benachbarte Ausland ist eine Konsequenz der hohen Inflation in Tschechien. Laut Eurostat lag letztere im Oktober 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bei 9,5 Prozent. Damit gehört das Land zu den Rekordhaltern innerhalb der Europäischen Union mit einer durchschnittlichen Inflation von 3,6 Prozent (in Deutschland lag die Teuerung bei 3 Prozent).

Nach einer Umfrage des Portals akcniceny.cz, das die Angebotsprospekte der wichtigsten Handelsketten veröffentlicht, kauft inzwischen jeder fünfte Tscheche in Polen ein. Auch bei den Banken macht sich der Trend bemerkbar: Die Anzahl von Kreditkartentransaktionen tschechischer Kunden in Polen ist in diesem Jahr um fast ein Drittel gestiegen. Die Preisunterschiede zwischen den beiden Ländern sind erheblich. Die Tageszeitung "Mladá fronta Dnes" hat im Oktober für einen Testeinkaufskorb in einer tschechischen Lidl-Filiale 700 Kronen ausgegeben, in einer polnischen Filiale der gleichen Kette waren nur 497 Kronen für dieselben Lebensmittel fällig, 29 Prozent weniger.

Reisebüros bieten Einkaufsfahrten an

Wo Nachfrage besteht, gibt es auch ein entsprechendes Angebot. So bieten einige Reiseunternehmen spezielle Tagesfahrten mit Bussen zum Shoppen nach Polen an. Dazu gehört zum Beispiel die Firma Čebus aus Brünn – für 450 Kronen (umgerechnet 18,50 Euro) kann man eine Fahrt ins polnische Cieszyn buchen. Los geht es um 5 Uhr morgens, um 7:45 Uhr ist man nach einem Zwischenstopp in Olmütz am Ziel. Die Rückfahrt startet um 13:30 Uhr. Am meisten werden Güter eingekauft, die lange haltbar sind. Manche Kunden decken sich sogar für einen längeren Zeitraum, etwa einen Monat, ein. Wer im Grenzgebiet wohnt und es nicht zu weit hat, kauft dort auch vergängliche Ware wie Fleisch oder Wurstwaren.

Die polnische Grenzstadt Cieszyn - neuerdings nicht nur eine touristische Destination, sondern Einkaufsmekka der Tschechen. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

"Für die Händler im Grenzgebiet wirkt sich dieser Einkaufstourismus in Richtung Polen negativ aus und führt zu Umsatzeinbußen. Sie können es sich nicht erlauben, die Waren zu vergleichbaren Konditionen wie die polnische Konkurrenz anzubieten. Sie haben wenig Spielraum, weil die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel in Tschechien bei 15 Prozent, in Polen jedoch derzeit bei 0 Prozent liegt. Schon dieser Unterschied stellt einen Wettbewerbsnachteil dar", beklagt sich der Präsident des tschechischen Handelsverbands, Tomáš Prouza, im Gespräch mit dem MDR.

Jan Bureš, Volkswirt beim Finanzunternehmen Patria, bestreitet aber, dass der grenzüberschreitende Einkaufstourismus allzu große Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft Tschechiens hat. "Ich glaube, dass das zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine große Belastung für die tschechische Wirtschaft darstellt. Vom grenzüberschreitenden Einkaufstourismus sind in erster Linie die Grenzregionen betroffen, wo es wegen der kurzen Anfahrt auch Sinn ergibt. Bei größeren Entfernungen muss man die Fahrtkosten noch einrechnen, so dass es dann möglicherweise keinen Sinn mehr ergibt, zum Einkaufen nach Polen oder Deutschland zu fahren", sagt er dem MDR.

Premier Fiala testet Preise in Deutschland

Gewissensbisse, dass sie ihr Geld im Ausland lassen, müssen die Tschechen allerdings nicht haben, denn selbst der "Landesvater", Premierminister Petr Fiala, ging kürzlich im Ausland auf Einkaufstour und hielt dies als "Feldversuch" auf Video fest. Anlässlich eines Besuches in Cheb, unweit der Grenze zu Bayern und Sachsen, fuhr er ins bayrische Waldsassen und kaufte dort Lebensmittel ein: Butter, Brot, Milch, Ketchup, Nutella und Schokolade. Produkte derselben Marken kaufte er dann auch in einem tschechischen Geschäft und machte einen Vergleich. Das Ergebnis: In Tschechien hat er etwa 60 Kronen (umgerechnet 2,47 Euro) mehr als in Deutschland bezahlt. Die Handelsketten konfrontierte er dann mit der unangenehmen Frage, warum sie in Tschechien zu höheren Preisen als im benachbarten Deutschland verkaufen. Besonders kritisch äußerte sich der Regierungschef zum Butterpreis, der in seinem tschechischen Einkaufskorb fast um ein Drittel teurer war als in Deutschland.

Tschechiens Regierungschef Petr Fiala wertet seinen Testeinkauf aus. Das Ergebnis: In Deutschland ist es günstiger. Bildrechte: Úřad vlády ČR

Die Reaktionen auf Fialas Einkaufstour waren durchwachsen. In den sozialen Medien erntete er Hohn und Spott – nicht nur wegen der etwas ungelenken Art und Weise, wie er im Video auftrat, sondern auch weil er sich damit auf das gleiche Niveau begab wie schon vor Jahren sein populistischer Amtsvorgänger Andrej Babiš. Auch dieser unternahm "vergleichende Testeinkäufe" in Deutschland, um zum selben Schluss wie Fiala zu kommen: In Deutschland sind viele Lebensmittel günstiger.

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Andere stellten sich wiederum die Frage, wo denn Fiala bislang gelebt habe, dass er vom höheren Preisniveau in Tschechien so überrascht sei? Und der Interessenverband der tschechischen Lebensmittelhersteller zeigte sich schockiert darüber, dass der Premierminister seine Landsleute mit einem Video indirekt auffordere, ihr Geld im Ausland auszugeben, und nutzte die Vorlage, um eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel in Tschechien von derzeit 15 Prozent auf mindestens 7 Prozent wie in Deutschland zu fordern.

Handelsverbandspräsident Prouza sieht das etwas differenzierter. Er glaubt, dass das Video des Premierministers nicht primär auf das Einkaufen im Ausland abzielte. Das eigentliche Ziel war laut Prouza zu zeigen, dass die großen multinationalen Konzerne die gleiche Ware den Kunden in Deutschland billiger und in besserer Qualität anbieten als tschechischen Kunden. "Ich denke, dass es richtig ist, dass der Premier mit seiner Aktion auf diese unfaire Einstellung hingewiesen hat", so Prouza.

Kann die Regierung Handelsketten Paroli bieten?

Doch welche Möglichkeiten die Regierung tatsächlich hat, um die multinationalen Handelskonzerne dazu zu bewegen, die Preise zu senken, bleibt offen. Bisher hat sie sich dagegen gesträubt, direkt in den Markt einzugreifen und zum Beispiel die Preise für gewisse Produkte zu regulieren. Sie verspricht sich einiges von der geplanten Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 15 auf 12 Prozent. Nach den Berechnungen des Finanzministeriums sollte die monatliche Ersparnis bei jedem Bürger im Schnitt 88 Kronen (3,60 Euro) betragen – vorausgesetzt, dass die Handelsketten die niedrigere Steuer an die Kunden auch tatsächlich weitergeben.

Unterdessen deutet sich im "Einkaufsparadies" Polen eine Wende an. Kaum waren die Parlamentswahlen vom 15. Oktober entschieden, kletterten die Preise an den Zapfsäulen wieder hoch – der Wahlkampfrabatt des staatlichen Erdölkonzerns Orlen galt nicht mehr und die Preisunterschiede von umgerechnet etwa 33-40 Cent pro Liter zwischen Tschechien und Polen glichen sich aus.

Vor der Wahl konnten tschechische Autofahrer in Polen deutlich billiger tanken - der Staatskonzern Orlen hilt die Preise künstlich niedrig. Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Der Mehrwertsteuersatz von 0 Prozent auf Lebensmittel läuft zum Jahresende ebenfalls aus – ob die neue polnische Regierung ihn verlängert, ist fraglich. Aufgrund des Regierungswechsels und der zu erwartenden Freigabe der enormen Summen aus dem Wiederaufbaufonds der EU sagen Wirtschaftsexperten zudem voraus, dass die polnische Währung gegenüber der Krone kontinuierlich zulegen wird. All das könnte das Einkaufen in Polen schon bald weniger attraktiv machen – zumindest für diejenigen, die mit Bussen aus weiter entfernten Städten wie Brünn und Olmütz anreisen müssen. Und im Grenzgebiet soll es bereits vorkommen, dass polnische Autofahrer ihren Tank in Tschechien füllen. Die Tschechen reiben sich die Augen: verkehrte Welt!

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN | MDR Sachsenspiegel | Unsere Nachbarn | 12. November 2023 | 19:00 Uhr