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NATO-OsterweiterungWie sich die NATO nach Osten ausgeweitet hat

01. Juni 0023, 12:05 Uhr

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die NATO stark verändert: Es gibt eine neue Ausrichtung und viele neue Mitgliedsstaaten, von denen die meisten zuvor dem Warschauer Pakt angehörten. Russland sieht sich durch diese Veränderungen bedroht und behauptet, die NATO-Osterweiterung würde Absprachen verletzen.

von Thyra Veyder-Malberg, Osteuroparedaktion

Im Jahr 1949 wurde die NATO (engl.: North Atlantic Treaty Organization, dt.: Nordatlantikpakt-Organisation) mit Blick auf die militärische Bedrohung durch die Sowjetunion gegründet. Die Bündnispartner - die USA und elf europäische Staaten - verpflichteten sich, einander im Falle eines militärischen Angriffes beizustehen, was vor allem die Schutzmacht-Funktion der USA für das westliche Europa festschrieb. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts blieb die NATO jedoch bestehen. Ab 1999 begannen immer mehr Länder, die vormals dem Warschauer Pakt oder dem ehemals blockfreien Jugoslawien angehört hatten, der NATO beizutreten. Die NATO-Osterweiterung begann.

Die Politik der offenen Tür

Grundlage dieser Beitritte war - und ist nach wie vor - die sogenannte "Politik der offenen Tür", die in Artikel 10 des Paktes festgehalten ist. Demzufolge steht die Mitgliedschaft jedem europäischen Staat offen, "der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrages zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebietes beizutragen". Die Einladung zum Beitritt von Seiten der NATO muss einstimmig erfolgen.

Inzwischen haben zahlreiche Staaten diese Möglichkeit genutzt: Ungarn, Polen und Tschechien traten 1999 bei, im Jahr 2004 folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Inzwischen schlossen sich noch Kroatien und Albanien, Montenegro und im Jahr 2020 Nordmazedonien an. Am 4. April 2023 wurde auch Finnland Mitglied der Nato – das Land gab damit seine jahrzeehntelange Politik der Neutralität im Schatten Russlands auf.

All diese Staaten traten dem Bündnis aus freien Stücken bei. In einigen ging dem NATO-Beitritt ein Referendum voran: So stimmten etwa 85,3 Prozent der Ungarn für den Beitritt, in Slowenien waren es immerhin rund 66 Prozent. In anderen Ländern, wie etwa Bulgarien und der Slowakei wurden Regierungen, die einem NATO-Beitritt ablehnend gegenüberstanden, von der Bevölkerung abgewählt.

Zusagen nicht eingehalten?

Im Zuge der Russland-Ukraine-Krise, aber auch schon zuvor, argumentieren Vertreter Russlands immer wieder, die NATO-Osterweiterung würde vom Westen gegeben Zusagen verletzen. Tatsächlich gab es im Zuge der Verhandlungen um die Wiedervereinigung Deutschlands zwischenzeitlich mündliche Zusagen an die Sowjetunion, die NATO nicht weiter nach Osten auszuweiten. Das geht sowohl aus Zeitzeugenberichten als auch aus Gesprächsnotizen hervor.

Fest steht allerdings auch: In den Zwei-plus-Vier-Verträgen, die die Wiedervereinigung Deutschlands schließlich völkerrechtlich regeln, gibt es lediglich die Zusicherung, keine ausländischen Streitkräfte oder Atomwaffen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu stationieren. Darüber hinaus wurde keine Zusage bezüglich der NATO schriftlich fixiert.

In den Jahren 1990 und 1991 äußerten westliche Politiker - etwa der deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher - immer wieder, die NATO habe nicht vor, sich nach Osten auszuweiten. Das entsprach damals der Meinung der meisten Mitgliedsstaaten, kann aber nicht als eine verbindliche Zusage gegenüber Russland gelten, die 30 Jahre später immer noch Bestand haben soll.

Andererseits hat Russland 1994 das Budapester Memorandum unterzeichnet. Darin verpflichten sich Russland, die USA und Großbritannien, die Souveränität und territoriale Integrität von Kasachstan, Belarus und der Ukraine anzuerkennen. Diese erklärten sich im Gegenzug bereit, auf Nuklearwaffen zu verzichten. Die Annexion der Krim durch Russland verletzt diese Zusage Russlands ganz eindeutig.

Der deutsche Außenminister Hans-Dietrucg Genscher und sein us-amerikanischer Amtskollege James Baker bei einem 2 + 4 Treffen im Jahr 1990 Bildrechte: imago images / photothek

Eine andere NATO als im Kalten Krieg

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Auflösung des Warschauer Paktes und dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich die politische Weltlage - vor allem für die Länder Osteuropas. Auch die NATO passte sich an und entwickelte 1991 ein neues strategisches Konzept, das in etwas veränderter Form im April 1999 als Doktrin verabschiedet wurde: Die sah vor, dass die Nato nicht mehr nur, wie in Artikel 5 des Nato-Vertrages festgeschrieben "zur Verteidigung des Bündnisgebietes" agieren konnte, sondern auch um andernorts Konflikte zu Verhüten oder Krisen zu bewältigen. Das schloss explizit "die Möglichkeit von nicht unter Artikel 5 fallenden Krisenreaktionseinsätzen" (Ziffer 31), also Militäreinsätze abseits des Bündnisgebietes, ein.

Durch NATO-Bombardement zerstörtes Gebäude in Belgrad Bildrechte: Andrej Ivanji/MDR

Bereits vor Verabschiedung der neuen Doktrin führte die NATO ihren ersten Krieg außerhalb eines Bündnisfalles: Im März 1999 griff sie in den Kosovo-Krieg ein und begann mit Luftangriffen auf Belgrad. Zudem agierte die NATO in diesem Fall ohne ein UN-Mandat, dessen Erteilung Russland im UN-Sicherheitsrat verhindert hatte. Deshalb war die Kriegsbeteiligung der NATO in den Augen zahlreicher - auch westlicher - Kritiker völkerrechtswidrig. Dies wurde als Beleg dafür gewertet, dass die NATO ihre Interessen ohne Rücksicht auf internationales Recht durchsetzen wird. Befürworter des Eingreifens dagegen sahen das Völkerrecht nicht verletzt.

Seit 1999 hat die NATO einige Militäroperationen außerhalb ihres Bündnisgebietes geführt, etwa von 2001 bis 2021 in Afghanistan oder 2011 in Libyen.

Die NATO-Russland-Grundakte

Bereits vor der Verabschiedung der neuen Doktrin wurde das Verhältnis zu Russland auf neue Füße gestellt. Die im Mai 1997 unterzeichnete NATO-Russland-Grundakte legt die Grundzüge einer gemeinsamen Zusammenarbeit für die Sicherheit in Europa fest. Man wollte sich nicht mehr als Gegner, sondern als Partner betrachten. Die Grundakte enthält ein Bekenntnis zum Gewaltverzicht und erkennt die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten an.

Und es verpflichtet zur "Achtung (…) ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es in der Schlussakte von Helsinki und anderen OSZE-Dokumenten verankert ist, selbst zu wählen." Das heißt: Alle Staaten haben das Recht, sich selbst auszusuchen, welchem Verteidigungsbündnis sie beitreten wollen. Damit hatte Russland der Osterweiterung der NATO zugestimmt. Vorherige, anderslautende Absprachen wurden, selbst wenn sie je Gültigkeit besessen hätten, damit hinfällig.   

Im Gegenzug verpflichtete sich die NATO, keine nuklearen Waffen im Hoheitsgebiet der neuen Mitglieder zu stationieren. Auch von der Stationierung von substantiellen, konventionellen Kampftruppen sollte abgesehen werden, sie wurde aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Russland hingegen verpflichtete sich zur Zurückhaltung bei der Verlegung von konventionellen Streitkräften. Um etwaige Streitpunkte auszuräumen und die Zusammenarbeit zu verstetigen wurde als Forum der NATO-Russland-Rat eingesetzt.

Georgien und die Ukraine

Im Verhältnis zwischen NATO und Russland spielt der Umgang mit Georgien und der Ukraine eine besondere Rolle. Die ehemaligen Sowjetrepubliken streben beide, unterstützt von den USA, eine Vollmitgliedschaft an. Bereits im April 2008 stellte der damalige NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer beiden Staaten eine Aufnahme in Aussicht - allerdings ohne einen konkreten Zeitrahmen zu nennen. Inzwischen behindern aber unter anderem Grenzkonflikte mit Russland eine Aufnahme in das Bündnis.

Bereits im August 2008 begann der Kaukasuskrieg, im Zuge dessen russische Truppen auf georgisches Territorium vorrückten - formal, um die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossietiens und damit ihre Abspaltung von Georgien zu unterstützen. Die Republiken Abchasien und Südossetien sind aber international nicht anerkannt und politisch, wirtschaftlich und militärisch vollkommen von Russland abhängig.

Die Ukraine rückte nach der Wahl des pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zunächst wieder von einer NATO-Mitgliedschaft ab, strebte diese aber nach der Maidan-Revolution von 2013/2014 wieder an. Noch im selben Jahr annektierte Russland völkerrechtswidrig die ukrainische Halbinsel Krim und unterstützte pro-russische Separatisten im Osten der Ukraine bei ihrem bewaffneten Kämpfen gegen das ukrainische Militär. Inzwischen hat Russland die Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine anerkannt, unklar ist aber, innerhalb welcher Grenzen.

Eine Vollmitgliedschaft Georgiens und der Ukraine in der NATO ist daher in weite Ferne gerückt, da aufgrund der offenen Konflikte mit Russland mit ihrer Aufnahme gleichzeitig automatisch der Bündnisfall nach Artikel 5 eintreten würde. Davor schrecken zahlreiche Mitgliedsstaaten zurück. Dennoch erhob das ukrainische Parlament im Jahr 2019 das Streben nach einer Vollmitgliedschaft in NATO und EU in den Verfassungsrang.

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 24.2.2022 erstmals veröffentlicht und später ergänzt.

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Dieses Thema im Programm:MDR Aktuell Fernsehen | 22. Februar 2022 | 19:50 Uhr