Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Ein Graffiti in Belgrad zeigt Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Der Schriftzug bezeichnet ihn als "Bruder", im Hintergrund die serbische und russische Flagge. Bildrechte: IMAGO / SNA

Russland-Ukraine-KriegSerbien: Der Westen zieht die Daumenschrauben an

30. April 2022, 05:00 Uhr

Im langen Schatten des Kriegs in der Ukraine steht Serbien vor der Gretchenfrage: unter dem Druck des ungeliebten Westens mit dem geliebten Russland brechen, oder sich im selbstmörderischen Heroismus an Putin halten. Serbiens Drahtseilakt zwischen Ost und West neigt sich dem Ende zu.

von Andrej Ivanji, Belgrad

Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić stellte sich die serbische Außen- und Sicherheitspolitik seines Landes über lange Zeit so vor: Während aus dem brüderlichen Russland billiges Erdöl und Gas fließen und Moskau die serbische Kosovo-Politik in der UN verteidigt, strömen aus der Europäischen Union Fördergelder und Investitionen.

Der EU-Beitrittskandidat Serbien will neutral sein und definiert die Mitgliedschaft Serbiens in der EU als seine außenpolitische Priorität. Gleichzeitig will das Land aber auch die traditionell sehr gute Beziehung mit dem slawisch-orthodoxen Russland beibehalten und beharrt auf dem Kosovo als einem untrennbaren Teil Serbiens.

Überdies kauft Serbien günstige russische und chinesische Waffen, serbische Streitkräfte nehmen an Militärübungen sowohl mit Russland und Belarus als auch mit der NATO teil und alle sind glücklich. So scheint es sich Präsident Vučić jedenfalls zu wünschen.

Nicht alle in Serbien sind für eine EU-Mitgliedschaft. Gegenüber der NATO sind die Vorbehalte seit den Bombardements im Kosovo-Krieg 1999 noch größer. Bildrechte: IMAGO / SNA

In Brüssel und Washington war man allerdings noch nie glücklich darüber. Ab und zu kam eine Mahnung, aber man tolerierte dieses blockfreie Spiel nach dem Vorbild von Titos Jugoslawien. Und tatsächlich funktionierte es auch das gesamte zurückliegende Jahrzehnt lang. Bis Russland am 24. Februar die Ukraine angriff, die Welt auf den Kopf stellte und Vučić einen Strich durch alle seine Rechnungen machte.

Annalena Baerbock spricht Klartext

Schon nach wenigen Tagen war klar: Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine wird Serbien nicht länger unparteiisch bleiben können. Längst war es in die Zwickmühle geraten, zwischen Washington und Brüssel auf der einen und Moskau auf der anderen Seite. Das war angesichts der Wahlen in Serbien am 3. April äußerst ungünstig.

Vučić muss sich wie Goethes Faust gefühlt haben: Die zwei Seelen in seiner Brust, die Putin-liebende und die pragmatisch-westliche, wollten sich voneinander trennen. Die deutsche Außenministerin Annalena Bearbock von den Grünen muss Vučić bei ihrem Besuch in Belgrad Mitte März dann wie die Verkörperung eines weiblichen Mephisto vorgekommen sein: Sie forderte die ganze Seele des serbischen Präsidenten, verurteilte mitten im russophilen Serbien den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Ermordung unschuldiger Zivilisten, verwies auf die mehreren Millionen ukrainischer Flüchtlinge und sprach vom Rechtsstaat – von "europäischen Standards" eben, die ein Mitgliedsland braucht.

Annalena Baerbock spricht bei ihrem Besuch in Belgrad am 11. März deutliche Worte. Bildrechte: IMAGO / SNA

Im Klartext: Ein Land, das die EU-Mitgliedschaft anstrebt, muss spätestens jetzt gemeinsam mit seinen europäischen Partnern Wladimir Putin ohne Wenn und Aber verdammen. Es war wohl ein unangenehmes Gespräch, dass Vučić und Baerbock geführt haben. Serbiens Präsident muss sich nach Angela Merkel gesehnt haben, die immer auffällig viel Verständnis für seine Freundschaft zu Putin und für Vučićs autokratische Machtausübung gezeigt hatte.

Prüfstein UN-Resolution gegen Russland

Noch vor Baerbocks Besuch hatten der deutsche, französische, britische, italienische und amerikanische Botschafter sowie der Chef der EU-Mission in Serbien Anfang März Serbien gemeinsam dazu aufgefordert, in der UN-Generalversammlung für die Resolution zu stimmen, die die russische Invasion in die Ukraine dann mit so überwiegender Mehrheit verurteilen sollte. Der serbische Staatspräsident gab nach und so drückte der serbische UN-Botschafter bei der Abstimmung auf den grünen Knopf.

Umgehend sandte Vučić dann aber entschuldigende Signale in Richtung Moskau: Serbien sei so klein und der Druck sei so groß gewesen. Ja, man verurteile die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine, aber nein, Serbien werde sich unter gar keinen Umständen den westlichen Sanktionen gegen Russland anschließen, gegen die slawisch-orthodoxe Schutzmacht der Serben, die man liebe und der man so dankbar für alles sei. Putin gab sich vorerst zufrieden.

Opfer der eigenen Propaganda

Und so legte sich im März über die Wahlkampagne in Serbien auf einmal der lange Schatten des russischen Ukraine-Kriegs. Marginale, rechte und prorussische Parteien bekamen plötzlich mächtige Wahlkampfmunition. Denn auch die serbischen Wähler sind überwiegend prorussisch gesinnt. Drei prorussischen oppositionellen Parteien gelang dann auch der Einzug ins Parlament. Und der traditionelle Koalitionspartner von Vučićs Serbischer Fortschrittspartei (SNS), die ebenfalls dezidiert prorussische Sozialistische Partei Serbiens (SPS) des verstorbenen Milošević, schnitt erheblich besser ab als erwartet.

Die SNS wurde das Opfer ihrer eignen Propaganda, die von den gleichgeschalteten Medien über Jahre verbreitet worden war: Der Ton war stets prorussisch und antiwestlich, denn der Westen, die NATO, habe Serbien bombardiert und das Kosovo mit Gewalt abgespalten. Hinter dieser Erzählung steckt aber etwas Anderes: Der Westen kritisierte Vučić immer wieder wegen mangelnder Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit, deshalb schürte der populistische Autokrat antiwestliche Stimmung.

Vučić, der um sich einen Personenkult aufgebaut hat, hat die Präsidentschaftswahlen überzeugend gewonnen, doch seine SNS schnitt wesentlich schlechter ab als erwartet und kann nicht mehr allein die Regierung bilden. Die Koalitionsverhandlungen versprechen sehr schwierig zu werden, zumal Vučićs Koalitionspartner SPS als verlängerter Arm Putins in Serbien kein akzeptabler Partner für den Westen sein dürfte.

Die amerikanischen Reiter der Apokalypse

Wenn Vučić in Annalena Baerbock den Mephisto sah, müssen ihm die drei Amerikaner, die ihn vergangene Woche besucht haben, wie die drei Reiter der Apokalypse erschienen sein: die Senatoren aus dem Außenpolitischen Ausschuss Chris Murphy und Jeanne Shaheen sowie der Senator aus dem Militärausschuss Thom Tillis.

Wenn man die diplomatische Verpackung weglässt, lautete die Botschaft der Senatoren: Entweder wird Serbien Teil der demokratischen oder der undemokratischen Welt; entweder seid ihr mit uns oder gegen uns. Serbien solle endlich mit Putin brechen und wie alle anderen europäischen Staaten Sanktionen gegen Russland verhängen. Die Vereinigen Staaten von Amerika würden Vučić dabei unterstützen. Eine gemeinsame Pressekonferenz gab es nicht, die Senatoren traten dann in der amerikanischen Botschaft vor die Presse.

Russland oder der Westen, das ist mittlerweile für Vučić tatsächlich die Gretchenfrage. Unter dem derzeitigen Druck von EU und USA ist Serbien wohl endgültig am Scheideweg angelangt. Denn auch aus Moskau erreichen Belgrad mittlerweile die ersten ernsthaft verärgerten Töne.

Ein Angebot von

Dieses Thema im Programm:MDR Aktuell Fernsehen | 30. April 2022 | 19:30 Uhr

Mehr Politik in Osteuropa

Mehr aus Osteuropa