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MDR KLIMA-UPDATE | 10. Februar 2023Bilder vom Zustand der Welt: Umweltverschmutzung und moderne KunstAusgabe #75 vom Freitag, 10. Februar 2023

10. Februar 2023, 11:00 Uhr

Man dachte, es sei moderne Abstraktion, doch wahrscheinlich war es vor allem Luftverschmutzung: Forscher haben Bilder von Impressionisten mit Aufnahmen von Orten unter Smog-Bedingungen verglichen.

Hallo,

mit der Industrialisierung begann des fossile Zeitalter und damit der ganze Schlamassel, in dem wir als Menschheit heute stecken. Die Fabriken und ihre Maschinen rauchten und qualmten und verpesteten die Luft. Wissenschaftlich nüchterner ausgedrückt haben sie die Atmosphäre verändert.

Und das hat nicht nur das Klima beeinflusst, sondern auch die bildende Kunst. Im Thema der Woche widmen wir uns heute einer Studie im renommierten Journal der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA, die eine spannende These über den Impressionismus aufstellt. Diese Stilrichtung der Malerei gilt als Wegbereiterin der Abstraktion und damit der Kunst der Moderne. 

Aber vielleicht waren die flächig aufgetragenen Farben, die neblig dargestellten Landschaften und Objekte gar kein künstlerisches Stilmittel, sondern vielmehr eine realistische Darstellung der vielen Staubpartikel in der Luft? 

Aber zunächst zur…


Zahl der Woche:

22,3

… Prozent des 2022 verbrauchten Stroms in der Europäischen Union wurden mit Wind und Sonne erzeugt. Damit lagen sie an Platz eins der Quellen der Stromerzeugung, vor Atom- (21,9 Prozent) und Gaskraftwerken (19,9 Prozent). Das half, eine dreifache Krise zu überstehen: Ausbleibende russische Gaslieferungen, Probleme bei mehr als der Hälfte aller französischen Atomkraftwerke und fehlender Strom aus Wasserkraft infolge der Sommerdürre. Der Erfolg sei einem Rekordzubau von Solarzellen und Windrädern in Europa zu verdanken, schreiben Autoren vom Think Tank Ember. Sollte sich die Situation der französischen Nuklearenergie in diesem Jahr bessern, dann könnte die Stromerzeugung mit fossilen Energien um bis zu 20 Prozent gesenkt werden, eine Verdopplung des Rekordrückgangs im Jahr 2020, erwarten die Forscher. 

Verschmutzter Realismus: Wie (schlechtes) Klima die Kunst beeinflusst hat

Klimawissenschaft gibt den Grad der Erwärmung immer an als Vergleich zu den Durchschnittswerten vor der Industrialisierung. Da damals noch nicht flächendeckend gemessen wurde, müssen sich Wissenschaftler mit anderen, stellvertretenden Indikatoren behelfen. Das können die Jahresringe von Bäumen sein oder gut konservierte Fossilien, die im Labor Auskunft geben können über die Umwelt zum Zeitpunkt der Konservierung eines Objekts.

Im äußerst renommierten Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) stellen Anna Lea Albright vom Labor für dynamische Meteorologie der Pariser Sorbonne und Peter Huybers vom Department of Earth Sciences der Harvard University nun einen neuen möglichen Stellvertreter vor: Zeitgenössische Kunst. 

Albright und Huybers analysierten den Grad des dargestellten Nebels auf den Bildern des britischen Impressionisten J.M.W. Turner (1775 bis 1851) und des von ihm inspirierten französischen Malers Claude Monet (1840 bis 1926). Beide Künstler malten gerne Landschaften und wiederholten dabei oft die gleichen Motive. Die These der Wissenschaftler: Die oft verschwommene Darstellung von Häusern, Menschen und Objekten auf den Bildern, der scheinbar dichte Nebel, ist nicht ein rein künstlerisches Stilmittel. Stattdessen ist die Veränderung der Atmosphäre zu sehen. "Unsere Grundannahme ist, dass der Impressionismus - wie er sich in den Werken von Turner, Monet und anderen entwickelt hat - Elemente eines verschmutzten Realismus enthält", schreiben die Autoren der Studie.

Oben links: Claude Monet sah die Houses of Parliament im Smog. Bei klarer Sicht würden sie aussehen, wie auf dem Foto rechts daneben. Das Foto unten zeigt, wie sie an einem nebligen Tag im Dunst verschwinden.  Bildrechte: Fie Art Images/Heritage Images/IMAGO/ZUMA Wire/PantherMedia/mic1805/MDR WISSEN

Big Smoke: Als die Großstädte in giftigem Rauch versanken

Sowohl Turner als auch Monet waren Zeitzeugen der einsetzenden Industrialisierung ihrer Länder. Und diese Industrialisierung begann mit den Dampfmaschinen, in denen Kohle verfeuert wurde. Kohle enthält in der Regel zwischen einem und fünf Prozent Schwefel und Schwefel reagiert bei Verbrennung zu Schwefeldioxid. Das ist ein stechend riechendes und giftiges Gas, das mangels Rauchgasfiltern zu Beginn des industriellen Zeitalters schnell die Luft der Zentren verpestet hatte. 

Zwischen 1800 und 1850 war Großbritannien der weltweit größte Emittent von Schwefeldioxid. London versank im "Big Smoke", die Hauptstadt war allein für zehn Prozent der nationalen Emissionen verantwortlich. Diese Entwicklung finden Albright und Huybers in den Bildern der Künstler wieder.

Sie verglichen Fotos bekannter Motive an klaren Tagen und an solchen mit Smog-Bedingungen. Daraus entwickelten sie am Computer ein statistisches Modell, das durch die Analyse von Bildern die Menge an Aerosolen bestimmen kann, die den Blick auf ein bestimmtes Motiv trüben. Diesen Algorithmus wendeten sie schließlich auf 60 Bilder Turners und 38 Bilder Monets an. Das Ergebnis: Laut der Analyse zeigte sich ein enger Zusammenhang mit der nebligen Darstellung und Schätzungen zum Grad der Luftverschmutzung zum Zeitpunkt der Entstehung der Malereien.

Besonders in Turners Werk sei der Grad der zunehmenden Verschmutzung deutlich sichtbar. Habe er die Umrisse seiner Motive anfangs noch scharf gemalt und satte Farben gewählt, so seien die Konturen im Lauf des Schaffens immer schwammiger und die Farben zu Pastelltönen abgeschwächt worden. Eine ähnliche Entwicklung sei auch auf den Bildern Monets zu sehen, so die Forscher.

Der Zustand der Atmosphäre prägt unsere Sicht

Natürlich haben beide Maler ihre Motive bewusst gewählt. Turner war ein aufmerksamer Beobachter der Umweltveränderungen und des technologischen Fortschritts, die immer wieder zum Thema der Bilder wurden. Monet wiederum war inspiriert von Turners Werk und fasziniert vom rauchigen Nebel in London und wählte wohl ganz bewusst Tage, in denen die Wetterbedingungen (hoher Luftdruck, kaum Wind und Niederschlag, kalte Temperaturen) günstig für Smog waren. Und trotzdem liefere die Darstellung realistische Hinweise auf das Ausmaß der Luftverschmutzung zur damaligen Zeit, argumentieren die Wissenschaftler. 

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts besserte sich die Situation, als die Regierungen Maßnahmen gegen den Smog der industrialisierten Städte ergriffen.

Im Ergebnis zeigt die Studie laut ihren Autoren nicht nur, wie stark die Luft vor 200 Jahren verdreckt war. Sie zeigt auch, wie Umweltveränderungen Kunst beeinflussen. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass moderne Veränderungen der atmosphärischen Eigenschaften auch die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne verändern können", so das Fazit von Albright und Huybers. 


🗓 Klima-Termine

Sonntag, 12. Februar – Radebeul

Der Nabu lädt zur Wasservogelzählung. Die Halbtagsexkursion von Niederwartha bis Kötitz beginnt 8:30 Uhr an der Auffahrt Eisenbahn-Elbbrücke. Infos

Dienstag, 14. Februar – Erfurt

Buchvorstellung "Klimarassismus - der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende" mit den beiden Autoren und einer anschließenden Diskussion. Im Augustinerkloster in der Augustinerstraße 10, Eintritt frei, 19 bis 22 Uhr, Infos hier.

Dienstag, 14. Februar – Schierke im Harz

"Luchse im Harz - eine Erfolgsgeschichte", Vortrag über die Wiederansiedlung der Großkatze im Harz seit Anfang 2000. Ort ist der Mehrzweckraum der Schierker Feuerstein Arena, Beginn ist 14 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung hier.

Dienstag, 14. Februar – Görlitz

Ausstellungsführung durch das Senckenberg Museum für Naturkunde, "Lust und Liebe im Tierreich" zum Valentinstag. Beginn 18 Uhr. Mehr dazu hier.

Mittwoch, 15. Februar – Ottendorf-Ockrilla

Umweltschützer demonstrieren aktuell nördlich von Dresden gegen die Fällung eines Waldstücks bei Ottendorf-Ockrilla. Die Bäume sollen einem Kiestagebau weichen. Vor Gericht erwirkten die Aktivisten eine Verschiebung der Räumung ihres Protestcamps Heidebogen bis mindestens 15. Februar. Mehr Infos bei MDR SACHSEN.


📰 Klimaforschung und Menschheit

Künstliche Intelligenz: Temperaturschwellen 1,5 und 2 Grad könnten viel früher erreicht sein

US-Forscher haben eine künstliche Intelligenz mit den Ergebnissen vieler Klimasimulationen trainiert und sie dann mit Temperaturmessungen aus der Vergangenheit gespeist. Ziel der beiden Forscher Noah Diffenbaugh und Elizabeth Barnes: Der komplexe, selbstlernende Algorithmus sollte die Klimamodelle überprüfen anhand der tatsächlich gemessenen Entwicklung der Temperaturen. Ergebnis: Laut der Berechnung könnte die Schwelle von 1,5 Grad Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bereits in den Jahren 2033 bis 2035 erreicht werden. Damit wäre das erklärte Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen, die Erwärmung unter dieser Schwelle zu halten, verfehlt. Noch dramatischer: Auch die 2 Grad Schwelle, die als nächste extrem kritische Marke gilt, könnte bereits 2050 bis 2054 überschritten werden. Beim Erreichen dieser Temperaturen wären nahezu alle Korallenriffe der Erde verloren. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten würden aussterben, und die Erträge menschlicher Nutzpflanzen wie Mais würden dramatisch einbrechen. Diese Entwicklung zu verhindern sei schwierig, aber möglich betonen die Autoren. 

15 Millionen Menschen durch Gletscherseen bedroht

Der Klimawandel lässt das Eis der Berge schmelzen. Am Fuß der schwindenden Gletscher bilden sich Seen. Brechen die natürlichen Barrieren dieser Wasserbecken, können Sturzfluten ins Tal rauschen. 15 Millionen Menschen weltweit leben weniger als 50 Kilometer von solchen gefährlichen Seen entfernt und könnten bei einem Abgang des Seewassers getötet werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie im Fachjournal Nature Communications. Caroline Taylor und Kollegen von der Universität von Newcastle in England haben weltweit 1.089 gefährliche Gletscherseen identifiziert. Demnach sind vor allem Bewohner im Himalaya und seinen Randgebirgen bedroht, rund 9,3 Millionen Betroffene leben hier. Während in den Alpen Gletscherseen eng überwacht und Rettungskräfte auf Katastrophen vorbereitet werden, fehlen für die Anden in Südamerika viele Daten. Hier könnten noch weit mehr Menschen gefährdet sein, als bislang bekannt, schreiben die Forschenden.

Modellrechnung: Energiesparen könnte Wirtschaftswachstum in der EU ankurbeln

Forscher vom Berliner "Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change" haben berechnet, wie Deutschland und Europa gestärkt aus der Energiekrise in Folge des Ukrainekriegs hervorgehen könnten. Ein ambitioniertes Energiesparprogramm im Straßenverkehr, bei den privaten Haushalten und im Dienstleistungsbereich könnte demnach beträchtliche finanzielle Mittel frei machen, die in Erneuerbare, E-Mobilität und Energieeffizienz investiert werden könnten. So könnte die Wirtschaftsleistung der EU bis 2025 sogar um 0,5 Prozent gesteigert werden im Vergleich zu einem Szenario ohne  Energiekrise. Zugleich würden die europaweiten CO2-Emissionen um 14,8 Prozent sinken. "In der von Moskau provozierten Abkopplung steckt bei richtiger Ausgestaltung durchaus die Chance, den Europäischen Green Deal und den Weg hin zu Klimaneutralität zu beschleunigen", sagt Ottmar Edenhofer, Direktor des Forschungsinstituts und einer der Autoren der Studie.


📻 Klima in MDR und ARD

👋 Zum Schluss

Sauberkeit killed the Klimakommunikation – so könnte man eine kleine Posse in Leipzig zusammenfassen. Vor nicht mal ganz einem Jahr haben wir über die "Warming Stripes" auf der Sachsenbrücke in Leipzig berichtet. Leipziger Klimaschützer hatten auf der bei Spaziergängern und Parkfreunden sehr beliebten Brücke farbige Streifen aufgebracht und im April 2022 offiziell eingeweiht.

Illustriert werden die Abweichung der jährlichen Durchschnittstemperaturen vom langjährigen Mittel, eine aus vielen Artikeln und Studien bekannte, und doch leider oft ignorierte Darstellung. Von einem sanften blau und der Vergangenheit auf der Westseite der Brücke mehren sich zur gen Osten orientierten Gegenwart immer mehr rote Streifen. Das Klima ist wärmer geworden. Nach ein paar sehr dunklen Stellen folgt schließlich weiß: Das ist die Zukunft, die wir noch in der Hand haben.

Leider hat die Stadtreinigung die Installation weggebürstet. Die Kehrmaschinen und ihre Stahlbürsten haben den Ruf nach mehr Klimaschutz aus Versehen von der Brücke runtergeschrubbt. Die Klimaschützer hatten umweltfreundliche Farbe verwendet, die den Reinigungsmaschinen leider nicht standhielt.

Die Klimaschützer hoffen nun auf etwas Geld von der Stadt, um das Kunstwerk zu reparieren. Ich würde mich freuen. Auf der Brücke kommen viele Menschen zum Feiern und Entspannen zusammen. Wäre schön, wenn sie dabei weiter vor Augen hätten, dass es in Sachen Klimaschutz viel zu tun gibt.

Herzlichst

Ihr Clemens Haug

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