Eine Reise in die ZellenWie Sport unseren Körper jung hält
Sport ist gesund, keine Frage. Wer sich regelmäßig bewegt, verringert die Wahrscheinlichkeit, im Alter an Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder Demenz zu leiden. Das hängt damit zusammen, dass Sport auf Zellebene Programme aktiviert, die unseren Körper schützen.
Sind die DNA-Schnürsenkel noch ganz?
Beginnen wir unsere Reise durch den Körper bei den elementaren Bausteinen der Zelle: den Chromosomen. Sie beinhalten die DNA und sorgen dafür, dass die Informationen der Zelle richtig vererbt werden – ein Prozess, der im Körper ein Leben lang stattfindet. Die Chromosomen bestehen aus Mittel- und Endstücken, und diese Endstücke, die so genannten Telomere, sind entscheidend für die Qualität, mit der die Informationen vererbt werden. Sie sind die Grundlage für einen funktionierenden Körper. Mit zunehmenden Alter verkürzen sich die Telomere und verlieren ihre Funktion – dafür gibt es in der Forschung ein sehr plastisches Bild: "Man vergleicht sie oft mit den stabilisierenden Plastikenden an unseren Schnürsenkeln. Wenn die Telomere zu kurz sind, dann wirkt sich das auf die Stabilität des gesamten Chromosoms aus. Das ist so, wie wenn beim Schnürsenkel vorne dieses Plastikding wegfällt und der Schnürsenkel sich langsam aufdröselt", erklärt Stephanie Panier, Forscherin am Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns in Köln. In Zellsprache heißt das: Das Chromosom verliert die Fähigkeit, die Erbinformationen weiterzugeben. Die Zelle geht in den Stand-by-Modus, was dem gesamten Organismus schaden kann.
An dieser Stelle kommt Bewegung ins Spiel: "Durch Bewegung werden im Körper Signale gesendet, die bestimmte Programme in den Zellen aktivieren. Und eines dieser Programme stabilisiert die Telomere durch eine Aktivierung des Enzyms Telomerase", so Thomas Widmann, Facharzt für Innere Medizin an der Asklepios Klinik Triberg im Schwarzwald. Er hat an der Erforschung dieses Telomerase-Programms mitgewirkt. Bewegung verringert den Abbau der Telomere und schützt gewissermaßen die Plastikkappen an den Schnürsenkeln. Messbar wird der Mechanismus, wenn der Körper ins Schwitzen kommt: "Wenn Sie sich eine halbe Stunde aktiv bewegen, also Fahrrad fahren, joggen oder Krafttraining betreiben, dann wird dieser Mechanismus aktiviert und hält dann für einen Tag an. Das ist die gute, aber auch die schlechte Nachricht. Das heißt, wenn Sie einen dauerhaften Effekt bewirken wollen, dann müssen Sie sich regelmäßig bewegen", sagt Forscher und Mediziner Widmann.
Jungbrunnen für das Erbgut
In einer Studie hat Widmann zeigen können, wie groß der Effekt von Sport auf die DNA sein kann: Zusammen mit einem Team aus Forscherinnen hat er die Zellbausteine ehemaliger Berufssportler und eher unsportlicher Hochschulprofessoren verglichen. Ergebnis: Die Menschen, die ihr Leben lang viel Sport gemacht haben, waren biologisch 20 Jahre jünger, weil ihre Telomere deutlich länger waren. Doch auch bei Normalsterblichen wirke Sport wie ein Jungbrunnen für die DNA, so Widmann: "Wenn wir unter Laborbedingungen Menschen drei Mal die Woche für 45 Minuten trainieren lassen, dann zeigt sich dieser Effekt bereits nach einem halben Jahr". Regelmäßiger Sport kann, egal in welchem Alter, den DNA-Verschleiß aufhalten.
Luftfilter in den Gefäßen
Gehen wir von den Erbinformationen zu den Gefäßen, die Blut und Nährstoffe durch unseren ganzen Körper transportieren, und wagen wir einen weiteren Vergleich: Um Coronaviren in Innenräumen an der Verbreitung zu hindern, helfen Stoßlüften oder Luftfilter. Gegen Schadstoffe in unseren Gefäßen hilft Sport als Stoßlüfter oder Filter. 10.000 Liter Blut werden jeden Tag durch die Gefäße gepumpt. Doch im Laufe des Lebens reichern sich an den Gefäßwänden Abfallprodukte an, die die Gefäße porös machen können. Adern und Arterien können verkalken und versteifen und das Blut nicht mehr ausreichend transportieren.
Sport lässt das Herz mehr Blut durch die Gefäße pumpen und "durchlüftet" die Adern, Arterien und Venen. So heilen kleine Gefäßschäden aus oder bilden sich neue Zellen. Nebenbei stärkt Sport die Pumpleistung des Herzens, erzeugt neue Herzmuskelzellen und verringert die Herz-Kreislauferkrankungen, die zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland zählen.
Workout fürs Gehirn
Wir wollen unsere Reise ganz weit oben, in den Windungen des Gehirns abschließen. Auch unser Hirn und seine mannigfach verdrahteten Nervenzellen reagieren auf Bewegung. Zuerst einmal wird beim Sport mehr Blut in den Kopf gepumpt, was die Hirnaktivität erhöht. Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin werden vermehrt ausgeschüttet und verbessern die Übermittlung von Signalen entlang der Nervenzellen. Das kann sich auf unterschiedliche Weise bezahlt machen:
So erhöht Bewegung die Lernleistung der grauen Zellen, beispielweise wenn wir eine Fremdsprache erlernen: "Wenn wir Wörter in einer Sprache lernen möchten, speichern wir sie normalerweise im sogenannten deklarativen Gedächtnis. Das ist das Gedächtnis, das wir benutzen, wenn wir zum Beispiel Listen lernen – wie die Einkaufsliste. Wenn wir aber Bewegung mit dem Wort verknüpfen, können wir das prozedurale Gedächtnis, das heißt das Gedächtnis für Prozeduren involvieren. Und das führt dazu, dass auch die Power dieses Systems das Speichern und Abrufen unterstützt", erklärt Manuela Macedonia vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Sie forscht am bewegten Lernen und lässt Probandinnen und Probanden beispielsweise Japanisch in Bewegung lernen. Ältere Studien zeigen, dass Menschen nach drei Monaten noch etwa 40 Prozent der erlernten Vokabeln erinnern können, wenn sie diese in Bewegung gelernt haben. Beim unbewegten Lernen sind es nach drei Monaten nur fünf Prozent. Auch gegen neuronale Krankheiten wie Demenz und Depression kann Bewegung helfen.
Eines aber betonen alle Forscherinnen und Forscher, die die Effekte von Bewegung auf unsere Zellen und Organe untersuchen: Sport ist gesund und wichtig, aber er soll vor allem auch Spaß machen.
mh