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Ein russischer Gasstopp könnte uns bald bevorstehen. Die Auswirkungen auf Deutschland sind aber wohl verkraftbar. Bildrechte: IMAGO/Rene Traut

Ukraine-KriegSo könnte Deutschland einen russischen Gaslieferstopp überstehen

20. März 2024, 15:51 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat am Mittwoch (30.03.2022) die Frühwarnstufe nach dem Notfallplan Gas ausgelöst, damit soll ein möglicher russischer Lieferstopp vorbereitet werden. Laut Experten wäre dieser wohl zu verkraften – unter bestimmten Voraussetzungen.

Die Frühwarnstufe ist dabei die erste von drei Krisenstufen, danach folgen noch die Alarmstufe und die Notfallphase. Nach der Entscheidung des Grünen-Politikers Habeck, der einen Lieferstopp ab Freitag für möglich hält, hat die Bundesnetzagentur bereits die Menschen in Deutschland zum Energiesparen aufgerufen. Doch können wir wirklich rasch von russischem Gas unabhängig werden? Das Science Media Center hat dazu Experten befragt. Das Ergebnis: Es wäre schwierig, aber nicht unmöglich.

In Deutschland muss im kommenden Winter niemand frieren

"Ein sofortiger Stopp russischer Erdgaslieferungen wäre nur als gemeinsame europäische Anstrengung zu tragen", betont Leander Kotzur vom Institut für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich. Dafür wären gravierende Einsparungen in Industrie und Haushalten nötig und die Wirtschaft müsste im kommenden Winter ihre Produktion teilweise einstellen. Laut Kotzur könnte Deutschland mit Einsparungen nur ein Drittel des russischen Erdgases kompensieren, weshalb Kohlekraftwerke wieder verstärkt genutzt werden müssten – mit dem Preis höherer CO2-Emissionen.

"Die Industrie müsste verstärkt Biomasse und Kohle stofflich und energetisch nutzen. Die Gebäude könnten den Einsatz von Durchlauferhitzern erhöhen und die Raumtemperatur um ein bis zwei Grad Celsius absenken, wobei jedes Grad Reduktion etwa sechs Prozent des ursprünglichen Gasbedarfs im Gebäude für Raumwärme im Mittel einspart", erklärt Kotzur. Daneben könnte ein weiteres Drittel russischen Erdgases durch eine bessere Energieverteilung mit den anderen europäischen Ländern kompensiert werden. Zudem sollten die Europäer noch mehr Flüssiggas-Terminals im Südwesten des Kontinents nutzen, wobei hier Pipeline-Kapazitäten noch ein Problem darstellen. Letztlich sollten die Maßnahmen ausreichen, dass im kommenden Winter in Deutschland niemand frieren müssen, resümiert der Experte.

Gaskrise kann auch als Chance genutzt werden

Sein Kollege Michael Sterner von der Ostbayrischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH) erläutert, dass die energieintensive Produktion etwa in der Chemieindustrie schon immer auf Effizienz getrimmt war. Ein Gasstopp könnte nicht nur hier die Produktion zwischenzeitlich zum Erliegen bringen, sondern auch in der weiteren Wertschöpfungskette, beispielsweise in der Automobilindustrie, die Plastikteile benötigt, oder in der Landwirtschaft, die auf Dünger angewiesen ist. Am Ende könnten dadurch auch Arbeitsplätze verschwinden.

Anders sei dagegen die Situation bei der Raumwärme, wo sich Sterner für ein "persönliches Gasembargo" ausspricht: "Muss das Bad ganztägig auf 23 Grad beheizt werden oder alle anderen Räume auf 21 Grad? Dieser Hebel ist viel wirksamer, als Gas in der Industrie einzusparen." Auch ein Tempolimit nach dem Motto "120 für die Ukraine" sei sinnvoll.

In Deutschland seien wir außerdem in der glücklichen Lage, große unterirdische Gasspeicher zu besitzen, mit denen sich Gas aus Wind- und Solarstrom länger lagern lässt. Letztlich sei die Umstellung auf erneuerbare Energien im Zuge des Klimaschutzes ohnehin notwendig, betont Sterner. Damit könne die derzeitige Krise auch als Chance genutzt werden. "Nicht nur aus moralischer Sicht gegenüber der Ukraine, sondern auch aus Rück-Sicht auf die kommenden Generationen in der Voraus-Sicht gegenüber dem Klima. Das ist die Krise, die uns wesentlich länger begleitet und wesentlich mehr Ländereien rauben wird."

SMC/cdi

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