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Früher waren mehr Eichhörnchen in Leipziger Parks unterwegs wie hier 2014. Bildrechte: imago/imagebroker

ArtenschutzWohin sind die Eichhörnchen verschwunden?

08. November 2022, 11:16 Uhr

Wer vor ein paar Jahren in einem der Leipziger Parks mit einer Tüte raschelte, war schnell von Eichhörnchen umzingelt. Es gab Stellen, an denen die Tierchen so zutraulich waren, dass sie von Menschen dargebotene Nüsse direkt aus der Hand pflückten. Seit einigen Jahren ist das anders, man kann jetzt mit Tüten rascheln und die Nüsse dann selber knabbern. Und das nicht nur in Leipzig. Was ist da los?

von Liane Watzel

Bedroht sind Eichhörnchen nicht, sagt Annemarie Hofmann von der Leipziger Auwaldstation. Konkrete Zahlen zu Eichhörnchenbeständen gibt es für Leipzig nicht, der Bestand wird nicht erfasst, lediglich ihr Krankenstand, also wenn sich ein Mensch erbarmt und ein krankes Tier in eine Wildtierauffangstation bringt oder in eine Tierarztpraxis. Zwischen 2012 und 2016 wurden zum Beispiel in Leipzig von Tierärzten, die mit Nabu und der Ökologischen Auffangstation Borna-Birkenhain zusammenarbeiten, insgesamt zwölf Eichhörnchen versorgt, allein 2016 waren es fünf. Dabei handelt es sich der Auffangstation in Borna zufolge um verletzte Tiere, die zum Beispiel aus dem Kobel gestürzt waren.

Raffen Viren Eichhörnchen dahin?

Und was ist mit mit Krankheiten? In Berlin machte 2017 eine Studie zu einer Eichhörnchenpocken Schlagzeilen. Nur Jungtiere erkrankten an dem Virus, der Hautzellen befiel und zerstörte. Das führte bei den Tieren zu immer größeren und tieferen Wunden, und verkrusteten Hautpartien an den Handflächen und Fußsohlen der Tiere, sowie an Nase, Lippen, Ohren und im Urogenitalbereich.

In einem Merkblatt des Leibniz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin heißt es 2017 dazu: "Die Erkrankung tritt seit über 10 Jahren im Großraum Berlin auf, jedoch werden pro Jahr immer nur wenige Tiere (bis zu 10 Jungtiere) gefunden. Vermutlich ist das Virus schon viel länger vorhanden, aber zuvor wurden keine betroffenen Tiere entdeckt. Eine seuchenhafte Ausbreitung (Epidemie) des Virus ist nicht anzunehmen, da es schon so lange in der Population zu zirkulieren scheint. Es ist jedoch möglich, dass es auch in anderen Regionen Deutschlands oder in Europa auftritt."

Possierlich, wenn Eichhörnchen Nüsse knabbern. Aufnahmen, wenn sie Eier oder Jungvögel räubern, gibts dagegen nicht. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Könnte also diese Krankheit auch außerhalb Berlins dazu führen, dass es weniger Eichhörnchen gibt? Theoretisch schon, nur ist Forscherin Dr. Gudrun Wibbelt bei ihren Untersuchungen von Eichhörnchen-Proben noch kein Fall aus Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen untergekommen, genauer gesagt, nirgendwo aus Deutschland. "Was aber nicht heißt, dass das Virus nicht auch anderswo vorhanden ist", sagt die Wissenschaftlerin, es sei einfach nicht plausibel, dass es nur in Berlin vorkomme. Warum solle sich ein Virus nur auf eine Region beschränken? "Man würde die auch woanders finden, wenn man nachgucken würde", ist sich Dr. Wibbelt sicher. "Auch bei uns hat es ewig gedauert, bis dann ein Bioinformatiker das Virus als solches identifiziert hat, und das gibt es entwicklungsphysiologisch schon länger als die Kuhpocken, ein Virus, das sich über viele Tierarten erstreckt."

Mag der Fuchs Eichhörnchen?

Bislang gibt es jedenfalls keine Hinweise auf Pocken bei Eichhörnchen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Aber was ist eigentlich mit der Nachbarschaft der Eichhörnchen, in Leipzig zum Beispiel sagen sich in vielen Parks inzwischen Waschbär und Fuchs gute Nacht. Fressen die Eichhörnchen? Zoologe Josef H. Reichholf, der auch ein Buch über Eichhörnchen geschrieben hat, glaubt das nicht. Er schreibt MDR WISSEN: "Füchse erwischen allenfalls kranke Eichhörnchen. Das gilt auch für Waschbären, die viel zu schwer sind, um den Hörnchen ins Gezweig der Baumkronen nachklettern zu können. Das schafft – bedingt – der Baummarder. Wirksam werden die von ihm verursachen Verluste, wenn die Bestände bereits schwach geworden oder die Vorkommen noch selten sind, nicht aber bei/nach großer Häufigkeit." Er verweist vielmehr auf den Einfluss der Bäume, gute oder schlechte Mastjahre beinflussen Wildtierpopulationen, also Jahre, in denen Bäume viele Früchte tragen oder wenige.

Kann dem Waschbär das Hörnchen schmecken?

Bezogen auf die Waschbären sieht das der Köthener Tierparkchef Michael Engelmann anders. Er sagt im Gespräch mit MDR WISSEN: "Die Waschbären räumen die Kobel aus. Wenn die Jungtiere der Eichhörnchen im Februar zur Welt kommen, sind die Eichhörnchen-Nester im Geäst leicht zu entdecken." Wer hat nun recht? Dr. Grudrun Wibbelt vermutet, dass beide recht haben. Sind die Äste stark genug für die Waschbären, könnten diese schon einen Kobel ausräumen. Seien die Behausungen der Eichhörnchen auf dünnen Ästen gebaut, haben die behäbigeren Waschbären keine Chance.

Waschbären sind Allesfresser und machen offenbar auch nicht vor Eichhörnchen halt Bildrechte: Colourbox.de

Generell sei auch der Rückgang von Eichhörnchen-Populationen in Köthen zu beobachten, sagt Michael Engelmann, früher gab es hier auch mehr, heute sehe man nur selten noch welche. Aber, sagt Engelmann genau wie Annemarie Hofmann von der Leipziger Auwaldstation, vermutlich spielen viele Faktoren eine Rolle, wenn es um Eichhörnchenbestände geht. Engelmann verweist beispielsweise auch noch auf die heißen Sommer: "Die machen den Eichhörnchen auch zu schaffen." Und Dr. Wibbelt führt einen weiteren Faktor an: Adenoviren, die zu Darmentzündungen führen. Geschwächte Tiere, die mit dem Durchfall-Virus infiziert sind, suchen sich Nahrung, wo sie am wenigsten Energie brauchen, also bekannte Futterstellen, die viele Tiere aufsuchen. Fatal, sagt Wibbelt, denn dann pappen sie ihre Viren überall dran, und das Virus erwischt weitere Exemplare. Ob das nun in Leipzig der Fall war? In den Auffangstationen scheinen in den vergangenen Jahren jedenfalls keine abgemagerten Exemplare aufgeschlagen zu sein.

Kommt auch der Insektenschwund im Kobel an?

Annemarie Hofmann führt noch einen weiteren potentiellen Verdächtigen ins Feld: das Insektensterben. Das klingt auf den ersten Blick kurios, auf den zweiten aber recht plausibel: Verringert sich das Insektenangebot, haben Vögel weniger zu fressen, sowohl für sich selbst als auch für den Nachwuchs im Nest. Was wiederum die Speisekarte der Eichhörnchen ausdünnen könnte. Sie verputzen nämlich nicht nur Sämereien, junge Triebe, Pilze, Haselnüsse, Bucheckern, Fichtenzapfen, Obst und Knospen, sondern auch Eier aus Vogelnestern bzw. ausgebrütete Jungvögel. Dr. Wibbelt, die häufig tote Eichhörnchen seziert, ist da skeptisch. Vor allem Nussbrei ist das, was sie im Verdauungsapparat der kleinen Nager findet. Ei oder Hinweise auf Vogelreste seien ihr noch nicht untergekommen. Sie vermutet, dass Vogeleier und Jungvögel eher eine untergeordnete Rolle spielen, wenn es um den Eichhörnchen-Speiseplan geht: "Eher so wie das Sonntags-Ei auf dem Frühstückstisch, wenn ein Eichhörnchen mal ein Nest räubert."

Es scheinen also viele Faktoren zu sein, die das Eichhörnchen-Vorkommen beeinflussen können. Das Beispiel des Eichhörnchens verdeutlicht aber in jedem Fall eindringlich, wie dicht das Nahrungsnetz in der Natur miteinander verwoben ist. Und dass es offenbar gelernt hat, dass der Mensch recht hilfreich sein kann. "Jungtiere, die Hunger haben, klammern sich oft an Hosenbeine von Menschen", sagt Michael Engelmann und auch Dr. Wibbelt schildert ähnliches Verhalten von erkrankten Exemplaren.

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