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Der Altpapier-Jahresrückblick am 30. Dezember 2019Pluralismus der Plattformen?

Google und Disney, Amazon und Apple: Die größten Medienkonzerne der Welt werden im Wettbieten um Sportrechte und in "Streaming-Kriegen" immer noch größer. TikTok zeigt, wie Asien im Kommen ist. Und was ist mit Europa? Ein Jahresrückblick von Christian Bartels.

Die zehn größten Medienkonzerne der Welt machten 2018 zusammengenommen rund 610 Milliarden Euro Umsatz. Im Jahr davor waren es 586 Milliarden gewesen, 24 weitere Milliarden sind dazugekommen. Solch ein Zahlensalat kommt im Altpapier selten vor, und prozentual klingt es nicht nach sehr viel. Deutlich mehr als der größte deutsche Medienkonzern Bertelsmann überhaupt jemals in einem Jahr Umsatz machte, ist es aber. Die Medienkonzerne, die viel Geld verdienen, verdienen immer schneller noch viel mehr Geld.

Der AutorChristian Bartels

Die 2019er-Rangliste der "größten Medienkonzerne" basiert natürlich auf Zahlen des abgeschlossenen Vorjahrs. 2019 steigerte etwa Alphabet/Google, mit knapp 116 Milliarden Euro Umsatz zweitgrößter Medienkonzern, seine Umsätze vor allem durch Werbeeinnahmen weiter "stark". Okay, der Gewinn ging im dritten Quartal "stark" zurück, aber erstens bedeutet das nicht Verlust, sondern: "nur" 6,4 Milliarden Euro Gewinn binnen drei Monaten. Und zweitens kam das durch Investitionen etwa in "vernetzte Lautsprecher" – wo Google kaum zu Unrecht künftige Gewinne wittert.

Von einigen gigantischen Firmen enthält die Liste, die Lutz Hachmeister und das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik seit einem Vierteljahrhundert erstellen, nur Teilbereiche. Von Apple etwa bloß die Sparte "iTunes, Software & Services", von Amazon die "Subscription Services & Ad Sales". Tatsächlich gehören Apple (Platz 9) und Amazon (13) ja zu den weltgrößten Konzernen überhaupt, wie deutsche Boulevardmedien gern in Meldungen über die reichsten Männer und Frauen berichten (€). Was im aktuellen Zwischenstand der Digitalära "Medien" sind und was nicht mehr oder noch nicht, darüber lässt sich streiten. Der im alten Europa in einigen Zusammenhängen (etwa dem der Medienressorts von Zeitungen) noch geltende Zuschnitt des Medienbegriffs ist längst verschwommen und verschwimmt dynamisch weiter.

Streaming-Kriege und Bingewatcher-Überforderung

"Wer Abos hat, hat's gut" stand im vorigen Jahresrückblick mit Blick auch auf Sky, die in London ansässige Pay-TV-Plattform (die in der Medienkonzern-Liste nicht mehr auftaucht, da sie nun zum drittplatzierten Comcast gehört). Vor kurzem bei der Versteigerung der, nun ja: Fernsehrechte an der Fußball-Champions-League entpuppte sich Amazon als ein Gewinner. Sky erscheint als großer Verlierer. Abonnements, die im Kern auf linearen Kanälen des älteren Medienendgeräts Fernsehen basieren, sind nicht mehr unbedingt viel wert.

Als weiterer Gewinner erscheint ein weiteres Unternehmen, das noch gar nicht in der Medienkonzern-Liste geführt wird: DAZN. Ob das "Netflix des Sports", wie der Streamingdienst sich beim Markteintritt pfiffig selbst vorstellte, eher europäisch ist (da die Perform Group, zu der es gehört, in London sitzt) oder eher amerikanisch (da Access Industries, zu der die Perform Group gehört, in New York sitzt), lässt sich schwer sagen. Die Person des Haupteigentümers Leonard Blavatnik hilft da auch nicht weiter. DAZN steht für die Globalisierung, die in der Champions League ja auch auf dem Platz steht. Sportrechte sind der wohl wichtigste Umsatz- und Einnahme-Treiber. Einer Studie zufolge, die der Privatsenderverband Vaunet zitierte, sollen "die Einnahmen aus Mediensportrechten im Zeitraum 2018 bis 2025 um 75 Prozent" steigen.

Die Fußball-EM 2020 wird wieder von ARD und ZDF übertragen werden, wie immer bislang. Ob das für die übernächste EM 2024 auch gelten wird, ist unklar. Die Medienrechte daran hat die Deutsche Telekom erworben – die in der Medienkonzerne-Top 50 ebenfalls noch nicht enthalten ist, so wie ihr größter Wettbewerber in Deutschland, die britische Vodafone. Dabei sind die Kabelnetze, die in Europa einst mit Steuergeld für Telefon- oder Fernsehkabel verlegt und später mit mehr oder minder großem Geschick privatisiert wurden, wichtige Medien-Infrastruktur. Plattformen wie Telekoms "Magenta TV", wo Sport und andere Eigenproduktionen, Streamingdienste sowie ARD-/ZDF-Mediatheken-Inhalten längst das herkömmliche lineare Fernsehangebot ergänzen, und Vodafones "Giga TV" sind mindestens auf dem Weg, eigenständige Medienanbieter zu werden.

Und die in den USA ausgerufenen "Streaming Wars" werden auch über diese Netze mit ausgetragen. Wird das DAZN der fiktionalen Serien, Netflix, diese "Kriege" überstehen? Der Streamingdienst, der einst als DVD-Postversand begann und auf seine Internet-basierte Weise längst ebenfalls Skys Fernseh-basiertes Geschäftsmodell angeknapst hat, gerät unter Druck, da mit Disney ein Hersteller von vielen der meistabgerufenen Inhalte wie Pixar-Animationen und "Star Wars"-Science-fiction sein eigenes Angebot aufmachte. Disney (Platz 4) behandelt den ehemaligen Kunden nun als Konkurrenz. Ob die jeweils nur zum Teil vergleichbaren Streaming-Plattformen joyn.de und tvnow.de, die die großen deutschen Privatfernsehgruppen ProSiebenSat.1 (als 49. gerade noch in den Top 50) und RTL (eines der wichtigsten Besitztümer von Bertelsmann auf Platz 16) ausgerechnet zurselben Zeit etablieren wollen, das schaffen, ist noch eine offene Frage.

Vielleicht waren 2018 insgesamt doch nur "(b)einahe 500 Serien (...) in den USA gestartet" (SPON). 2019 dürfte die Marke deutlich übertroffen worden sein – aber nur, um 2020, wenn der weltgrößte Konzern AT & T sein "HBO Max" starten wird (und Comcast zumindest in den USA ebenfalls ein eigenes Angebot), nochmals übertroffen zu werden. All die Inhalte könnten die härtesten Bingewatcher nicht ansehen. Und natürlich werden längst nicht alle Anbieter den teuren Konkurrenzkampf, in dem alle einander um fast jeden Preis ausstechen wollen, überstehen. Vielleicht wird sich zeigen, dass DAZN die Champions-League-Rechte zu teuer bezahlt hat, um die Kosten durch Abos wieder reinzubekommen. Falls Amazon zuviel bezahlt hat, dürfte es das überstehen: Das Pakete-Liefern und das noch lukrativere Cloud-Geschäft, in dem außer US-Army, Europol und Bundespolizei auch viele Streamingdienst-Anbieter zu den Kunden zählen, spielen genug Gewinne ein.

Die Gatekeeper der Zukunft?

Wer was auf welchen Endgeräten sehen (oder hören oder lesen) wird und wie potenziell interessierte (oder auch nur zufällige) Nutzer die relativ besten Inhalte entdecken, falls sie denn entdeckt werden, lauten die Meta-Fragen. Ungefähr alle Parameter verschwimmen dynamisch weiter:

> Bleiben für Bewegtbilder der YouTube-Algorithmus und für sonstiges Internet der Google-Algorithmus entscheidend, die beide streng geheim sind und zu den steigenden Werbeeinnahmen des Konzerns Alphabet beitragen? (Und ob es dem verbliebenen Journalismus gut tut, dass so viel Arbeit und Geld in Suchmaschinenoptimierung und -marketing fließt, wäre eine Anschlussfrage ...).

> Wird die Rolle einer anderen Form der sogenannten Künstlichen Intelligenz schnell wichtiger, die etwa mit der freundlichen Stimme von Alexa aus sogenannten Smart Speakern spricht? Sie trägt zu Amazons Gewinnen bei (wobei Alphabet/Google in dieses Geschäftsfeld ja kräftig investiert ...).

> Behalten die physischen Kabelnetze etwa der Telekom und Vodafones ihre Bedeutung? Immerhin steht der Name des mit Abstand weltgrößten Medienkonzerns AT & T ja für "American Telephone and Telegraph Company".

> Oder überflügeln sie die Mobilfunk-Wellen? Der viel beschworene 5G-Standard wird ja auch in Deutschland mobiles Internet schneller machen (und teurer, obwohl Deutschland schon mit seinem langsamen Gegenwarts-Internet "zu den datenteuersten Ländern der EU" zählt). Falls 5G alle Erwartungen erfüllt, schließt sich die geo-politische Frage an, ob Hersteller der Bauteile wie Huawei ohne Wissen der Nutzer Daten rausziehen (oder in Krisenfällen gar alles abschalten) können.

> Oder behalten Smartphones und ähnliche betatschbare Endgeräte ihre zentrale Rolle? Davon würde, weil auf den meisten Endgeräten das fast konkurrenzlose Betriebssystem Android läuft, wiederum Google noch mehr profitieren. Wobei es ähnliche "Ökosysteme" – ein krasser Werbe-Euphemismus – ja sowohl vom Betreiber des letzten Android-Konkurrenten, dem auch in der Software-Entwicklung starken Hardware-Konzern Apple, als auch Betriebssystem-unabhängig von Facebook (Platz 5) gibt, das seinen Plan einer eigenen Währung weiterverfolgt.

> Und am Rande: Wie steht es in diesen Kontexten um klassische Medien und ihre Werbeeinnahmen aus Presseanzeigen, Fernseh- und Radiospots und ein bisschen aus Internetwerbung, von denen sie sich jahrzehntelang gut finanzierten? Beides, journalistische Medien und ihre Werbeflächen, stehen schon lange unter Druck aus enorm vielen Richtungen. Können sich bei weiterhin exponentiell wachsender Konkurrenz endlich zukunftsfeste Ansätze der Journalismusfinanzierung durchsetzen?

* Beziehungsweise: Wird es weiterhin einerseits das freie Internet und andererseits ein sich schnell veränderndes, aber im Prinzip offenes und pluralistisches Zusammenspiel unterschiedlicher, oft neuer Netze und Empfangswege, Plattformen und Endgeräte geben? Gewiss hätte das Nachteile, zum Beispiel für Zeitgenossen, die viele Fußballspiele live sehen wollen, aber vor allem den gewaltigen Vorteil, dass weder einzelne Konzerne oder Oligopole, wie milliardenschwer auch immer, noch einzelne Staaten langfristig Inhalte bestimmen oder unterdrücken können. In dieser Hinsicht wird 2020 auch spannend, ob der deutsche Medienstaatsvertrag, der lange in Arbeit war und noch von allen Landtagen angenommen werden muss, um in Kraft zu treten, sich als der von vielen (selbst der FAZ!) erhoffte "Meilenstein" erweisen wird. Bekommen die zersplitterten deutschen Was-mit-Medien-Institutionen mit Behelfsbegriffen wie "Intermediäre" das zum überwiegenden Teil von außereuropäischen Konzernen bestimmte Mediensystem für Deutschland ein wenig in den Griff?

TikTok kommt nicht aus Kalifornien

"Asien ist das neue Europa" hieß es hier im Oktober, als die Rangliste online ging, und das nicht nur mit Blick in den (aus deutscher Sicht) Fernen Osten. Schließlich ist ein katarisches Unternehmen, das so auf Mediensportrechte setzt wie der Ölstaat Katar auf Sportveranstaltungen, der zweithöchste Neueinsteiger (Platz 29). Der höchste kommt aus China. Asiens Aufstieg in der Medienwelt ist nicht zu übersehen.

Einerseits steigt, seitdem Geräte aller Art als "smart" gelten (was freilich ein oft in die Irre führender werblicher Hersteller-Begriff ist), wieder die Bedeutung von Endgeräte-Herstellern, die zum größten Teil in Asien sitzen und produzieren. Jedes "smarte" Fernsehgerät bietet Startseiten an, die bestimmte Inhalte vorschlagen und andere damit nicht. Zu den wichtigsten im engeren Sinne medialen Aktivitäten des im Weltmaßstab kleinen deutschen Springer-Konzerns zählt die App Upday – weil sie auf Samsung-Geräten aus Südkorea vorinstalliert ist.

Außerdem leben die meisten Mediennutzer in Asien. Auch das hat Tencent (Platz 6) zum größten nichtamerikanischen Medienkonzern gemacht. Inhaltlich hatte das mit deutschen Nutzern lange nicht viel zu tun. Die neue Rolle asiatischer Medienfirmen wurde vielen Menschen über 25 erst Ende dieses Jahres stärker bewusst: seit die Selbstdarstellungs-App TikTok die erste Milliarde Nutzer noch schneller als Facebook erreichte. "Erstmals scheint eine Kommunikationsplattform in den westlichen Ländern Bedeutung zu erhalten, die nicht im digital-libertären Milieu Kaliforniens herangewachsen ist", brachte die Neue Zürcher Zeitung diese Zäsur auf den Punkt. Seither wird, besonders durch netzpolitik.org, TikToks Zensur-Praxis analysiert. Ein Ergebnis: Die chinesische Plattform reagiert geschickter als etwa Facebook auf Kritik, dessen Sprecher meist ausgesucht nichtssagend bleiben.

Die Welt wird multilateraler werden. Das ist wieder eine (geo-)politische Phrase. Ob das für Europa eher Gefahr ist oder Chance, darüber ließe sich lange diskutieren (zumindest, sofern sich von einer halbwegs einigen europäischen Sicht sprechen ließe). Aus Medien-Sicht könnte es durchaus eine Chance sein, nicht allein in infrastrukturelle Abhängigkeit von US-amerikanischen Konzernen zu geraten. Schließlich ist auch das eine konstante Entwicklung der Medien-Welt: Europäische Konzerne spielen Jahr für Jahr noch kleinere Rollen – gar nicht unbedingt, weil ihre Umsätze nicht wachsen, sondern weil die dominanteren Plattform-Konzerne viel stärker wachsen.

Die Öffentlich-Rechtlichen und YouTube, Facebook, TikTok

In der Zählung des IfM erscheint als zweitgrößter deutscher Medienkonzern, wie voriges Jahr – die ARD, die sich selbst eher nicht als Konzern begreift, aber in gewaltigen Ausmaß Inhalte herstellt. (Und in deren großem Rahmen auch diese Kolumne erscheint.) Genau wie das ZDF auf Platz 7 in Deutschland hat sie sichere Einnahmen, die in einem Jahr weiter steigen dürften – zu wenig für den Geschmack der Öffentlich-Rechtlichen, zu viel für den ihrer Gegner. Darüber wird 2020 wieder heftig diskutiert werden.

Laufend noch wichtiger werden jedenfalls Fragen, wie die Öffentlich-Rechtlichen ihre nichtkommerziellen Einnahmen im gesamtgesellschaftlichen Interesse sinnvoll einsetzen sollten. Nur zum Beispiel: Wie sollten sie Google und sein YouTube, Facebook und nun auch TikTok bespielen? Klar erreichen sie dort viele Beitragszahler, die sie sonst nur selten erreichen. Ebenfalls klar, dass sie mit für solche sog. sozialen Medien hergestellten Inhalten, die sich oft exklusiv nur dort ansehen lassen, dazu beitragen, diese Milliardenkonzerne noch stärker zu machen als sie ohnehin werden. "Hol dir die App, um Kommentare zu sehen und mitzureden!", steht groß unterm TikTok-Debüt der ARD-"Tagesschau". Und wie groß ist die Gefahr, sich damit selbst abhängig zu machen und schließlich an die Plattformen zahlen müssen, um dort vom Publikum gefunden zu werden? So etwas zählt zu Facebooks Geschäftsmodell.

Auch auf solche Fragen gibt es viele Antworten, freilich wenige einfache. Könnte die Idee der "gemeinsamen Medien- und Kulturplattform für Europa", die der bisherige ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm formuliert hat und die tatsächlich in der engeren Diskussion geblieben ist, für größere Teile des Problems einen größeren Teil der Lösung darstellen? Darüber müsste nicht mehr nur diskutiert werden, dahin müssten Schritte unternommen werden. Es bleibt jedenfalls spannend in den neuen 20er Jahren.

Der Altpapier-Jahresrückblick 2019