GeburtshilfeGeburten in Mitteldeutschland – Immer weniger Krankenhäuser und fehlende Hebammen
Immer weniger Krankenhäuser in Mitteldeutschland betreuen Geburten. Die Folgen für die Frauen sind längere Wege, keine freie Wahl und medizinische Eingriffe, die nicht nötig wären.
Inhalt des Artikels:
Bundesweit bieten immer weniger Krankenhäuser Geburtshilfe an. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. Demnach führten 2021 von den bestehenden 1.887 Krankenhäusern nur noch etwas mehr als 32 Prozent Entbindungen durch, 1991 waren es noch 2.441 Krankenhäuser, von denen mit rund 49 Prozent fast die Hälfte Geburtshilfe anbot.
Auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist die Zahl der Krankenhäuser, die Geburten betreuen, gesunken. Einem MDR-Bericht zufolge mussten von 2000 bis 2018 insgesamt 30 Geburtshilfe-Stationen in Mitteldeutschland geschlossen werden.
Fallpauschale: Geburten müssen sich rechnen
Ein Grund für die Schließungen ist dem Deutschen Hebammenverband zufolge, dass sich Geburten für die Kliniken finanziell lohnen müssen. Das hängt mit dem Fallpauschalen-System zusammen. Das bedeutet, dass ein Krankenhaus ausreichend Geburten betreuen und mit der einzelnen Geburt möglichst viel Geld verdienen muss.
So werden zum Beispiel für einen Kaiserschnitt 4.500 Euro, für natürliche Geburten aber nur 3.300 Euro gezahlt, obwohl diese häufig zeitintensiver sind. Damit lässt sich auch erklären, dass die Zahl der Kaiserschnitte in Deutschland immer weiter steigt. 2021 kam laut Statistischem Bundesamt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt.
Personalmangel in den Kliniken
Hinzu kommt, dass viele Krankenhäuser nicht mehr genug Mitarbeiter für die Geburtshilfe finden. Das hängt nach Aussage des Deutschen Hebammenverbandes damit zusammen, dass die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren massiv angestiegen ist.
Hebammen müssen demnach häufig drei oder mehr Geburten gleichzeitig betreuen, Pausen ausfallen lassen und regelmäßig Überstunden machen. Wegen dieser Bedingungen würden viele Mitarbeiter ihre Arbeitszeit reduzieren oder sogar kündigen.
Hohe Haftpflichtzahlungen
Ein weiteres Problem ist demnach, dass freiberufliche Ärzte und Hebammen einen Teil ihrer Haftpflichtversicherung selbst zahlen müssen. Obwohl die Krankenkassen über den sogenannten Sicherstellungszuschlag den Großteil der Kosten übernehmen, können ein paar tausend Euro übrig bleiben, die der Arzt oder die Hebamme aus eigener Tasche zahlen müssen. Auch das kann laut Hebammenverband ein Grund sein, aus der Geburtshilfe auszusteigen.
Sachsen: Bisher kaum Engpässe in der Geburtshilfe
Nach Angaben der sächsischen Krankenhausgesellschaft gibt es landesweit aktuell 76 Krankenhäuser, von denen 38 Geburtshilfe anbieten. Ein Standort werde jedoch Ende des Jahres geschlossen.
Nach Aussage des Hebammenlandesverbands gibt es wegen der geringen Geburtszahlen in Sachsen aktuell kaum Engpässe in der Versorgung. "Wenn Frauen eine Betreuung durch eine Hebamme wünschen, dann werden diese zumeist auch fündig", so die Vorsitzende Stephanie Hahn-Schaffarczyk.
Lage in den Kreißsälen entspannt sich
Auch im ländlichen Raum gibt es demnach kaum Versorgungslücken, weil Hebammen zum Teil auch lange Fahrtwege auf sich nehmen, um Schwangere und Mütter im Wochenbett zu betreuen.
Darüber hinaus entspanne sich die Lage in den Kreißsälen. Dort sei nun wieder mehr Zeit für die intensive und individuelle Betreuung der werdenden Mütter. Durch das Fallpauschalensystem gebe in den Krankenhäusern allerdings einen sehr hohen Kostendruck. Die ersten Krankhausbetreiber würden deshalb bereits überlegen, Hebammen zu kündigen oder befristete Verträge auslaufen zu lassen.
Lange Fahrtwege belasten Mutter und Kind
Ein weiteres Problem: Durch die Schließung von Geburtshilfe-Abteilungen wie etwa in Erlabrunn oder Lichtenstein entstehen zum Teil lange Fahrtwege für die Familien. "Eine lange Anfahrt mit Wehen bzw. unter der Geburt macht Angst, verstärkt Schmerzen, gefährdet Mutter und Kind und führt letzten Endes zu mehr unbegleiteten Geburten, was wiederum Probleme mit sich bringt", so Hahn-Schaffarczyk.
Auch in Sachen Kaiserschnitte brauche es ein Umdenken: "Weg von der Geburtsmedizin, hin zurück zur Geburtshilfe und individuellen Betreuung der Schwangeren und Gebärenden." Die Schwangerenbetreuung sollte demnach hauptsächlich in den Händen von Hebammen liegen und nur bei Auffälligkeiten Gynäkologen hinzugezogen werden.
Sachsen-Anhalt: Viele Hebammenkreißsäle, aber schlechte Versorgung auf dem Land
In Sachsen-Anhalt gibt es nach Angaben der Landeskrankenhausgesellschaft 45 Krankenhäuser, von denen 19 eine Fachabteilung Geburtshilfe haben. In den letzten Jahren mussten unter anderem Geburtsstationen in Haldensleben, Weißenfels, Zerbst und Zeitz geschlossen werden.
Wie der Hebammenlandesverband auf Anfrage mitteilte, können Schwangere und Mütter im Wochenbett in Sachsen-Anhalt in den Städten aktuell gut durch Hebammen versorgt werden. Das gelte auch für die Kliniken.
Einzigartiges Angebot von Hebammenkreißsälen
Landesweit gebe es zudem fünf Hebammenkreißsäle, unter anderem in Dessau, Halle und Magdeburg. So ein dichtes Angebot von Hebammenkreißsälen sei bundesweit einzigartig und spreche auch für engagierte Hebammen und ärztliche Geburtshelfer im Land, so die Verbandsvorsitzende Undine Bielau. Es sei spürbar, dass ein Umdenken begonnen habe.
Die geburtshilfliche Versorgung sei außerhalb der Kliniken jedoch landesweit sehr eingeschränkt oder zum Teil gar nicht vorhanden. Dadurch könnten Schwangeren nicht von ihrem Recht Gebrauch machen, den Geburtsort frei zu wählen. Viele Kinder würden also zwangsweise in Kliniken geboren.
Lange Wege, unnötige medizinische Eingriffe
Zudem sei es im ländlichen Raum für viele Familien schwierig, eine gute Betreuung durch eine Hebamme zu finden. Viele junge Hebammen zieht es dem Verband zufolge in die Städte, weil dort eher hebammengeleitete Geburtshilfe in Hebammenkreißsälen angeboten wird als auf dem Land.
Ein weiteres Problem sei, dass die Wege zum nächstgelegenen Krankenhaus je nach Region bis zu 45 Minuten betragen könnten. In der Nähe der Landesgrenze werden demnach auch Kinder in anderen Bundesländern als Sachsen-Anhalt geboren. So würden etwa nach der Schließung des Kreißsaals in Zeitz viele Familien für die Geburt nach Gera in Thüringen fahren.
Lange Fahrtwege führen nach Aussage des Hebammenverbandes zu häufigeren Interventionen wie zum Beispiel dem frühzeitigen Einleiten der Geburt, um ein Hin- und Herfahren der Familie zu vermeiden. Häufig seien diese Eingriffe medizinisch aber gar nicht notwendig.
Wohnortnahe Versorgung wichtig
Generell löse eine fehlende wohnortnahe Versorgung bei vielen Familien Unsicherheit, Sorge und Angst aus. Bei einer Unterversorgung sei es zudem auch nicht möglich individuell auf die Bedürfnisse der Schwangeren bei der Geburt einzugehen.
Dabei ist das den Angaben zufolge sehr wichtig. "Wenn eine Gebärende die Schwangerschaft, die Geburt, das Wochenbett und die erste Zeit mit diesem neuen Familienmitglied als selbstwirksamen, stärkenden Lebensmoment erlebt, wird sie auch für die Gesellschaft ein wertvolles Mitglied bleiben können", erklärt Undine Bielau.
Es sei aber leider auch nicht selten zu beobachten, dass es anders laufe. Deshalb seien der Umgang mit Traumata rund um diese Lebenszeit auch für Hebammen ein größerwerdender Arbeitsinhalt.
Thüringen: Immer weniger Geburtshilfe im ländlichen Raum
In Thüringen gibt es nach Angaben der Landeskrankenhausgesellschaft 45 Krankenhäuser, von denen 18 Geburtshilfe anbieten. Grund für die Schließungen seien der Fachkräftemangel bei Ärzten im Bereich der Geburtshilfe und bei Hebammen, besonders im ländlichen Raum. Hinzu kommt demnach, dass die Geburten in Thüringen seit Jahren rückläufig sind.
Mehrere Kreißsäle mussten schließen
Nach Aussage des Hebammenlandesverbands mussten in den letzten Jahren insgesamt fünf Kreißsäle in Greiz, Schleiz, Hildburghausen, Sonneberg und Sömmerda schließen. Die umliegenden Kreißsäle seien daraufhin jedoch weder strukturell noch personell erweitert worden.
In der Folge sei die geburthilfliche Versorgung im städtischen Bereich zwar weiter abgesichert, in den ländlichen Gebieten werde sie jedoch immer schlechter. Dadurch hätten schwangeren Frauen weder eine gerechte Wahl- noch Zugangsmöglichkeit zur Geburthilfe.
Hebammenverbände: Wie gute Geburtshilfe gelingen kann
Um künftig eine flächendeckende Versorgung in der Geburtshilfe zu erreichen, fordert der Hebammenverband Sachsen, dass geburtshilfliche Abteilungen erhalten werden. Es dürfe keine weiteren Schließungen geben. Der Hebammenverband Sachsen-Anhalt spricht sich zudem für eine wohnortnahe Betreuung durch ein Team von Hebammen, Gynäkologen und anderen Akteuren aus.
Der Hebammenverband Thüringen will ebenfalls weitere Schließungen im ländlichen Raum verhindern. Dafür engagiere man sich am Runden Tisch "Geburt und Familie" des Thüringer Gesundheitsministeriums, an dem alle relevanten Akteure gemeinsam an der Thematik arbeiteten.
Fallpauschalensystem muss abgeschafft werden
Außerdem muss nach Aussage des sächsischen Hebammenverbandes das Fallpauschalensystem abgeschafft werden und die Geburtshilfe so finanziert werden, dass Schwangere und werdende Mütter in 95 Prozent der Fällen eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme bekommen. Das habe viele Vorteile. So müsse sehr viel seltener Schmerzmittel gegeben werden und die Kinder seien unter der Geburt weniger gestresst.
Auch der Hebammenverband Sachsen-Anhalt fordert, dass "Kinderkriegen" keinen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen sein darf und deshalb nicht mehr Teil des Fallpauschalensystems sein sollte. Stattdessen brauche es eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme bei jeder Geburt und mehr Nachwuchsförderung im ländlichen Raum.
Um eine freie Wahl des Geburtsortes sicherzustellen, sei es auch wichtig, die außerklinische Geburtshilfe zum Beispiel in Geburtshäusern stärker zu fördern. Das gehe aber nicht ohne politische Unterstützung.
Hebammengeleitete Geburtshilfe
Alle Hebammenverbände sind sich darüber hinaus einig, dass die Schwangeren- und Geburtsbetreuung vor allem in die Hände der Hebammen gegeben werden sollte und sich Ärzte wie Gynäkologen nur bei Bedarf beteiligen. Dieser Ansatz wird in Mitteldeutschland bereits in den Hebammenkreißsälen umgesetzt, unter anderem in Arnstadt, Dresden und Magdeburg.
"Wir sehen in der Förderung und Umsetzung der hebammengeleiteten Geburtshilfe in Thüringen eine große Chance die geburtshilfliche Versorgung zu sichern und gleichzeitig die Arbeitszufriedenheit der Hebammen zu steigern", betont die Vorsitzende des Thüringer Hebammenverbandes, Annika Wanierke. Dadurch würden Schwangere und Gebärende unter anderem vor zu frühen und zu vielen Interventionen geschützt.
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 19. Juli 2023 | 15:00 Uhr
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