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Kommentar zur Niedersachsen-WahlWarum der rot-grüne Wahlsieg die Ampel gefährdet

10. Oktober 2022, 08:05 Uhr

Entgegen dem Bundestrend sieht es in Niedersachsen nach einem rot-grünen Wahlsieg aus. Für die Ampel-Koalitionäre der Bundesregierung dürfte der Wahlausgang im zweitgrößten Flächenland dennoch für viel Zündstoff sorgen. Die FDP fliegt aus dem Landtag in Hannover und kommt nach der vierten Wahlniederlage in Folge zunehmend unter die Räder. Für die Ampel ist das vor allem eines: gefährlich, kommentiert Torben Lehning.

Es sind die Sorgen der Wählerinnen und Wähler, die das niedersächsische Wahlergebnis formen. Da ist ein alter neuer Amtsträger, Stephan Weil, der in Krisenzeiten für einen vertrauten Kurs steht; eine FDP die sich zwischen Bundestrend und Koalitionsgelüsten aufreibt; und eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtete AfD, die trotz verlorener Fraktionsstärke im niedersächsischen Landtag in den vergangenen fünf Jahren ihr Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland verdoppeln kann.

Im Zentrum der Wahlentscheidung von rund sechs Millionen Wahlberechtigten standen bundespolitische Themen wie die Energiekrise, Inflation und Klimaschutz. 75 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Niedersachsen zeigten sich ob der bundespolitischen Lage am Tag des Urnengangs beunruhigt.

Weil ist bekannt

Da flogen die Stimmzettel vor allem dem Mann zu, der Niedersachsen in den vergangenen neun Jahren schon durch so manche Krise geführt hat. Stephan Weil holt der SPD damit den Sieg ins Haus, den die umfragengebeutelte Kanzler-Partei so dringend benötigt. Wohlgemerkt kann Weil trotz und nicht dank des Bundestrends sein Amt verteidigen. Als Bestätigung der sozialdemokratischen Politik in Berlin kann das Wahlergebnis wohl kaum gewertet werden.

Ruhig und konstruktiv, so trat Weil in den vergangenen Wochen auf. Der Ministerpräsident führte einen rot-grünen Wahlkampf, arbeitete trotz schwindender Umfragewerte im Bund nicht gegen, sondern mit der Ampel, brachte eigene Vorschläge für eine Gaspreisbremse ein und erhöhte somit kreativ den Druck auf seine eigene Partei. Es hat sich ausgezahlt.  

Die grünen Wunschkoalitionspartner mussten nach Höhenflügen in den Sommerumfragen zusehen, wie ihre niedersächsischen Beliebtheitswerte gleichsam mit denen der Bundespartei auf Talfahrt gingen. Das Gasumlagen-Chaos im Wirtschaftsministerium sorgte auch von Emden bis Göttingen für wenig Jubelstürme. Dass die Grünen dennoch gut fünf Prozent im Vergleich zur Landtagswahl von 2017 zulegen können, dürfte vor allem daran liegen, dass ihre Kernkompetenzen von Erneuerbaren Energien bis Klimaschutz in Niedersachsen sehr gefragt sind.

Geisterfahrt der Liberalen

Die FDP fliegt knapp aus dem niedersächsischen Parlament und verliert die vierte Landtagswahl in Folge. Im Bund wie in Niedersachsen sägen die Liberalen seit Wochen am eigenen Ast. In Niedersachen führte die Partei einen Wahlkampf gegen Grüne und SPD, obwohl es nie gut für eine schwarz-gelbe oder eine sogenannte Jamaika-Koalition aussah. Es drängt sich die Frage auf, wie erfolgreich solch eine Strategie sein kann, wenn man im Bund mit SPD und Grünen zusammenarbeitet und der Wahlkampf von bundespolitischen Themen geprägt wird. Die Antwort auf diese Frage gab es am Wahlabend.

Auch im Bund fremdelt die FDP mit rot-grün. Um als wirtschaftsliberale Partei erkennbar zu bleiben, fällt FDP-Chef Lindner zurzeit nicht viel mehr ein als konservative Geldpolitik. Keine Schulden, keine Steuererhöhungen für Besserverdienende, so das Mantra von Lindner. In Notzeiten, in denen Milliarden benötigt werden, um mit der Energiekrise fertig zu werden, ist das eine Leitlinie, mit der viele Wählerinnen und Wähler nichts mehr anfangen können.

Ob beim 9-Euro-Ticket oder bei der Gaspreisbremse – die FDP tritt immer wieder als Verhinderin auf, die sich erst Wochen lang bitten lässt und danach beschwert, dass der Entscheidungsprozess so lange dauert. Jetzt kommt es maßgeblich darauf an, welche Schlüsse die FDP aus ihrem Debakel von Hannover zieht.

Ampel in Gefahr

CDU-Kandidat Althusmann wollte die Niedersachsen-Wahl zu einer Abwahl der Ampel stilisieren. Das hat nicht ganz so geklappt wie Althusmann und CDU-Chef Merz sich das vorgestellt haben, aber dennoch könnte die Regierungskoalition nun ins Wanken geraten.

"Wir müssen unsere Rolle in der Koalition überdenken", sagt ein zerknirschter Christian Lindner am Sonntagabend. Die Äußerungen des Parteichefs geben viel Spielraum für Interpretationen und dürften bei SPD und Grünen für Schnappatmung sorgen. Dass die FDP ihre Rolle überdenken sollte, steht außer Frage. Am Ende dieser Selbstreflexion sollte jedoch nicht stehen, dass die FDP weiterhin Opposition in der eigenen Regierung spielt. Das ging 2013 schon einmal schief. Nach einer zerstrittenen Legislaturperiode mit der Union ging die FDP nicht nur als Verliererin vom Platz, sondern flog sogar aus dem Bundestag.

Vielleicht heißt liberale Politik in der Krise mehr als nur den Geldbeutel zuzuhalten. Dadurch, dass man seinen Koalitionspartnern ideologiegetriebene Politik vorwirft und selbst auf der schwarzen Null beharrt, gewinnt man keine Wahlen. Sollte die FDP diesen Pfad weiter beschreiten, wird sie nicht nur die Politik der Bundesregierung lähmen, sondern auch die Ampel zu einem verfrühten Ende bringen.

Trendwende am rechten Rand

Die AfD kann ihr Wahlergebnis von 2017 verdoppeln und beweist damit wieder einmal, dass solide Wahlergebnisse nicht zwingend mit solider Politik zusammenhängen müssen. Nach partei- und fraktionsinternem Streit verlor die niedersächsische AfD 2020 drei ihrer Landtagsabgeordneten und somit den Fraktionsstatus. Außer dem Freischalten eines Onlineportals, auf dem die Partei Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern dazu aufforderte, über Lehrkräfte zu publizieren, die sich politisch im Unterricht äußerten, ist die letzten fünf Jahre nicht viel von der parlamentarischen Arbeit der niedersächsischen AfD hängengeblieben.

Diese traurige Bilanz stand jedoch nicht dem beeindruckenden Wahlsieg von Sonntagabend im Wege. Nachdem die vergangenen Landtagswahlen allesamt Verlustergebnisse einfuhren, ist die AfD offenbar wieder auf der Gewinnspur. Die bundespolitischen Themen von Inflation bis Energiekrise zahlen vor allem bei der Partei ein, die scheinbar einfache Lösungen liefert.

Die AfD steht für russisches Gas anstatt Energiesparen. Das scheint vielen Wählerinnen und Wählern, die Angst vor der nächsten Gasrechnung haben, zu gefallen. Die meisten Stimmgewinne konnte die AfD von CDU und FDP abwerben. Ein Indiz dafür, dass sich Stimmenfang am rechten Rand meist nur für das Original auszahlt.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 10. Oktober 2022 | 07:00 Uhr

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