Halle-Attentat: Reportage zum fünften ProzesstagDie tödlichen Waffen des Angeklagten
Am fünften Prozesstag zum Attentat von Halle haben die Waffen des Angeklagten im Fokus gestanden. Ein Gutachten des Bundeskriminalamtes bescheinigte, was die Opfer und die Verletzten am 9. Oktober 2019 am eigenen Körper erfahren mussten: Der Angeklagte hatte Werkzeuge gebaut, die lebensgefährliche Verletzungen hervorrufen konnten. Außerdem ist schon jetzt klar, dass der Prozess länger dauern wird, als ursprünglich geplant.
Angesichts von zwei Toten und zwei Schwerverletzten überrascht das Ergebnis eines Gutachtens des Kriminaltechnischen Institutes des Bundeskriminalamtes kaum: Der Angeklagte hatte Schusswaffen gebaut, mit denen er in der Lage war, "potenziell tödliche Verletzungen" anzurichten. Am fünften Verhandlungstag am Montag wurde dieses Gutachten Punkt für Punkt von der vorsitzenden Richterin verlesen. Es dauert 20 Minuten; es ist von Anfangsgeschwindigkeiten, Projektil-Größen, Treibmittel-Mischungen und Schussentfernungen die Rede.
Der Angeklagte hört aufmerksam zu
Seit den ersten Prozesstagen ist bekannt, wie sehr sich Stephan B. für Waffentechnik interessiert – und speziell für die Wirkung seiner Eigenbauten, die er im Schuppen des Hauses seines Vaters gefertigt hatte. Während Richterin Ursula Mertens das Gutachten liest, hört der Angeklagte aufmerksam zu; liest in einer gedruckten Fassung des Schriftstückes mit.
Eine der beiden Schrotflinten, eine der beiden automatischen Maschinenpistolen und eine weitere Pistole waren von den Ermittlern im Vorfeld getestet worden. Die Projektile waren dafür in einen Gelatine-Block gefeuert worden, der von seiner Widerstandsfähigkeit menschlichem Muskelgewebe entspricht. Ergebnis des Tests: Die Geschosse aus Pistole und Maschinenpistole durchschlugen das Ziel. Die Energie der Projektile ist laut Gutachten vergleichbar mit "handelsüblicher Munition" aus "handelsüblichen Vergleichswaffen".
Detaillierte Aufarbeitung oder schneller Prozess
Außerdem wurde am Montag angeordnet, dass viele Dokumente nicht öffentlich in der Hauptverhandlung verlesen werden. Das betrifft zahlreiche Fotos und Ermittlungsergebnisse, mit denen die Hintergründe und der Ablauf der Tat detaillierter aufgearbeitet werden könnten. Die vorsitzende Richterin ordnete das sogenannte Selbstleseverfahren an. Das bedeutet, dass die Anwälte der Nebenklage, Generalbundesanwaltschaft, Gericht und Verteidiger diese Dokumente selbst lesen.
Einige Nebenklagevertreter sind damit allerdings nicht einverstanden. Rechtsanwalt Alexander Hoffmann sagte, es sei "problematisch, wenn zentrale Beweisthemen nur im stillen Kämmerlein gelesen werden" und nicht der Öffentlichkeit im Prozess bekannt gegeben werden.
Hoffmann meint, es dürfe nicht sein, dass einerseits der Selbstdarstellung des Angeklagten im Hauptverfahren Platz eingeräumt wird, andererseits aber "objektive Beweise nicht-öffentlich" behandelt werden sollen.
Ich denke auch, dass die Beweisaufnahme zu den Internetforen und -portalen, auf denen der Täter sich bewegt hat – die müssen öffentlich benannt und diskutiert werden. Sonst entsteht der Eindruck, wir haben da einen verrückten, ein bisschen verschwurbelten Typen, der im Internet irgendetwas macht. Und wir kriegen gar nicht mit, welche Art von Diskussionen und Netzwerken im Internet, und teilweise auch im Darknet, arbeiten – und was die auch bewirken.
Alexander Hoffmann | Rechtsanwalt
Das Gericht hat bereits angekündigt, dem Anliegen der Nebenklage-Vertreter in nachzugeben und zumindest einen Teil der Dokumente öffentlich verlesen zu lassen.
Pause bis 25. August – Prozess dauert länger
Die Beweisaufnahme wird am nächsten Verhandlungstag am 25. August fortgesetzt werden. Dann haben die Vertreter der Nebenklage auch die Gelegenheit, Widerspruch zum Selbstleseverfahren zu äußern. Derzeit plant das Gericht die Ladung der Zeugen, die als nächstes gehört werden sollen.
Es ist bereits jetzt absehbar, dass der Prozess nicht, wie ursprünglich geplant, Mitte Oktober enden wird. Das Gericht hat bereits den 3. und 10. November für weitere Schlussvorträge geblockt – und alle an dem Verfahren Beteiligten nahegelegt, noch weitere Termine im November vorzumerken. Verhandelt wird in der Regel dienstags und mittwochs.
Über den AutorRoland Jäger arbeitet seit 2015 für den Mitteldeutschen Rundfunk – zunächst als Volontär und seit 2017 als Freier Mitarbeiter im Landesfunkhaus Magdeburg. Meist bearbeitet er politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen - häufig für die TV-Redaktionen MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE und Exakt – Die Story, auch für den Hörfunk und die Online-Redaktion. Vor seiner Zeit bei MDR SACHSEN-ANHALT hat Roland Jäger bei den Radiosendern Rockland und radioSAW erste journalistische Erfahrungen gesammelt und Europäische Geschichte und Germanistik mit Schwerpunkt Medienlinguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg studiert.
Der vierte Prozesstag
Der dritte Prozesstag
Der zweite Prozesstag
Der erste Prozesstag
Quelle: MDR/ld
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 03. August 2020 | 19:00 Uhr
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