"Digital leben"ChatGPT: Wie ein KI-Werkzeug Schule in Sachsen-Anhalt verändert
Das KI-Tool ChatGPT kann überzeugend Fragen beantworten. Auch Schülerinnen und Schüler lassen sich damit bei den Hausaufgaben helfen. Sachsen-Anhalts Bildungsministerium gibt sich entspannt – Experten für digitale Bildung sehen Unterricht, Hausaufgaben und Noten durch das Tool in Frage gestellt.
- ChatGPT ist ein Gamechanger, sagt ein Bildungsjournalist. Sachsen-Anhalts Bildungsministerium sieht das Tool als unerlaubets Hilfsmittel und grundsätzlich nix Neues.
- Ein solches Tool hinterfragt bisherige Prüfungs- und Aufgabenformate. Muss aber auch richtig bedient und hinterfragt werden.
- Können Hausaufgaben oder Facharbeiten benotet werden, wenn ChatGPT sie beantworten kann? Das meint das Tool.
Für Christian Füller ist ChatGPT ein Gamechanger für Schule. "Die Kernelemente unserer Schule werden infrage gestellt", sagt Füller im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben". "Eine KI to Go für jedermann, die sowohl meine Nichte und meine Mutter anwenden kann. Das gab's einfach noch nicht." Füller ist Bildungsjournalist, wohnt in Wittenberg und arbeitet unter anderem für das Entscheider-Briefing "Table.Bildung" – einem wöchentlichen E-Mail-Newsletter über die pädagogische Transformation.
Das Team von MDR Recap wollte wissen: Ist ChatGPT cleverer als ein Mensch? Dafür hat Lehrer René Michel den Menschen und dem Programm die gleichen Hausaufgaben aufgegeben und im Anschluss ausgewertet.
Wer besser abgeschnitten hat und wie schwer es dem Lehrer gefallen ist, den Text der Künstlichen Intelligenz zu identifizieren, erfahren Sie in der aktuellen Recap-Folge.
Wegen ChatGPT müsste nun bei jeder Prüfung in Schule oder Uni eigentlich gefragt werden, ob sich ein Schüler das alles selbst erarbeitet oder einfach ausspucken lassen hat, sagt Füller. "Hausarbeiten an Universitäten in Australien sind im Moment gar nicht so richtig erlaubt, weil die sich sorgen, dass Studierenden sie nicht selbst schreiben."
Was ist ChatGPT
ChatGPT ist ein Chatbot der US-Firma OpenAI und tritt in einen Dialog mit dem Nutzer, der oder die Fragen stellen kann. Das Tool ist zunächst englischsprachig und seit Ende November 2022 online. Das zugrunde liegende Sprachmodell nutzt Daten, die es bis 2021 gesammelt und ausgewertet hat. Bei KI-Methoden geht es vor allem darum, Muster zu erkennen. OpenAI selbst sagt, ChatGPT tendiert dazu, "plausibel klingende, aber falsche oder sinnlose Antworten" zu liefern. Die Behebung dieses Problems sei schwierig.
Wer steckt hinter ChatGPT
OpenAI wurde als gemeinnützige Organisation unter anderem von Elon Musk gegründet. Er verließ den Verwaltungsrat von OpenAI 2018. Musk lobte ChatGPT auf Twitter als "erschreckend gut" und ließ den Zugriff von OpenAI auf Twitter sperren, weil OpenAI die Daten nutze, um die KI zu trainieren. 2019 hat OpenAI einen gewinnorientierten Ableger gegründet. Ein Investor ist der umstrittene PayPal-Mitgründer Peter Thiel, ein anderer der Software-Konzern Microsoft. Microsoft plant, das Werkzeug in seinen Cloud-Dienst Azure einzubauen.
Was ChatGPT für Prüfungen bedeuten kann
Bildungsjournalist Füller glaubt, dass ChatGPT Klausuren und Prüfungen an Schulen beeinflusst. "In einer Prüfung kann ich sagen, ich muss mal pullern und habe irgendwie mein Mobiltelefon dabei." Natürlich können Schülerinnen und Schüler die digitale Antwort von ChatGPT nicht einfach zu Papier bringen. "Aber ich brauche vielleicht nur ein Kick, um zurück ins Thema zukommen. Wer will das denn checken", fragt Füller.
Das Abitur in diesem Frühjahr stünde bei den Bildungsministern der Länder unter derselben Frage wie das erste Abitur in Corona-Zeiten: Da hätten die Minister gefragt, wie sie verhindern könnten, dass Schüler und Schülerinnen bei den Prüfungen schummeln. "Aber das verhindern zu wollen, ist sinnlos", meint Füller.
Jeder, der ein Smartphone hat und nicht ganz auf die Birne gefallen ist, kann sich innerhalb von zwei Minuten anmelden und Antworten produzieren. Man kann das Ding nicht verbieten. Das halte ich für absurd.
Christian Füller, Bildungsjournalist
Bereits Anfang Januar hat Füller fünf deutsche Bildungsministerien angerufen und nach den Umgang mit ChatGPT gefragt: "Ich war schockiert, als mich vier von fünf deutschen Bildungsministerien gefragt haben, was eigentlich ChatGPT ist."
ChatGPT: ungeheuer spannend
Olaf Kleinschmidt ist Gymnasiallehrer für Mathematik, Physik und Informatik. Seit mehr als 15 Jahren hat er in Magdeburg die Firma MAXX2IT, die digitale Bildungslösungen entwickelt, IT-Planungen übernimmt und medienpädagogisch berät. Für Kleinschmidt ist noch nicht abzusehen, was sich durch ChatGPT an Schulen ändert. "Aber dass sich generell etwas ändert, das steht fest."
Das Tool würde Wissenselemente aus allen Bereichen jedes Mal neu und radikal anders konstruieren als Lehrbücher, Enzyklopädien oder Google. "Dabei hängt die Antwort sehr direkt von der Fragestellung ab." Auf inhaltlich gleiche Fragen gibt es eine nicht die gleichen Antworten. Das macht die Kommunikation ungeheuer spannend.
"Aber den eigentlichen Bildungsauftrag der Schule müssen wir nicht revolutionär umkrempeln." Es sei jetzt die Aufgabe, herauszufinden, welche Kompetenzen im Umgang mit einer solchen KI notwendig sind. Dieses Wissen und die Kompetenz müssten jedem zugänglich gemacht werden. Dazu brauchen wir auch aus anderen Gründen neue Strukturen im Bildungsbereich.
Was Sachsen-Anhalts Bildungsministerium zu ChatGPT sagt
Sachsen-Anhalts Bildungsministerium weiß nicht, ob Schülerinnen und Schüler im Land ChatGPT nutzen. Vereinzelt würde die KI aber sicher schon in Schulen benutzt, sagt der Pressesprecher des Bildungsministeriums, Elmer Emig.
"Gehen Sie davon aus, dass das Thema in den Schulen natürlich auch kritisch diskutiert wird. Das Ministerium für Bildung und das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung evaluieren solche aktuellen technologischen Entwicklungen", so Emig im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben". Fortbildungsinhalte für Lehrkräfte würden angepasst. Das stärke die Medienkompetenz der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler.
Ministerium: ChatGPT unerlaubtes Hilfsmittel
Grundsätzlich empfiehlt Sachsen-Anhalts Bildungsministerium Entspannung. "Sicherlich ist der Hype derzeit groß und natürlich werden Chatbots einiges in Gang setzen. Aber das muss ja nicht unbedingt negativ sein. Im Moment betrachten wir Chatbots dieser Art genau wie andere unerlaubte Hilfsmittel", sagt Emig.
Und Emig sagt auch: "Die Texte der KI klingen zwar erst mal ziemlich gut und professionell, aber sie sind auch wirklich voller Fehler und Widersprüche, denn der Bot kapiert ja nicht wirklich, was er da schreibt." Schon immer konnten Lehrkräfte nur schlecht nachprüfen, ob Zuhause die Eltern bei Hausaufgaben oder Vorträgen mitgeholfen haben. Die Eigenleistungen der Schülerinnen und Schüler zu erkennen, geht nur, wenn über das Geschriebene auch geredet wird.
Wie sinnvoll sind Noten für Hausarbeiten noch?
Ein Tool, das auf Fragen Texte verfasst, kann auch eine Frage wie diese beantworten: Inwieweit stellen Tools, die aus weltweit verfügbaren Quellen Antworten generieren, die Benotung von Hausaufgaben und zu Hause angefertigte Facharbeiten in Frage?
Der folgende Absatz stammt von ChatGPT:
Tools, die Antworten aus weltweit verfügbaren Quellen generieren, wie z. B. Textgeneratoren wie ChatGPT, können Bedenken hinsichtlich der Benotung von Hausaufgaben und Facharbeiten, die zu Hause gemacht wurden, aufwerfen. Diese Tools machen es Schülern leicht, auf große Mengen an Informationen zuzugreifen und schnell Antworten zu generieren, was es Lehrern erschweren kann, festzustellen, ob die Arbeit von einem Schüler erledigt oder von einer Maschine generiert wurde. Dies kann die Gültigkeit von Hausaufgaben und Facharbeiten, die zu Hause angefertigt wurden, in Frage stellen und es den Lehrkräften erschweren, das Verständnis der Schülerinnen und Schüler für den Stoff genau zu beurteilen.
Um dieses Problem zu entschärfen, könnten die Lehrkräfte andere Bewertungsmethoden einführen, z. B. mündliche Prüfungen, projektbasierte Bewertungen oder Gruppenarbeit, die es den Schülerinnen und Schülern erschweren würden, zu schummeln oder KI-Tools für ihre Arbeit zu verwenden. Außerdem könnten die Lehrkräfte Software und Tools zur Plagiatserkennung einsetzen, um die Echtheit der von den Schülerinnen und Schülern eingereichten Arbeiten zu überprüfen.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Verwendung von KI-Tools zur Erledigung von Hausaufgaben und Facharbeiten als akademische Unredlichkeit gilt und schwerwiegende Folgen wie das Nichtbestehen der Aufgabe oder des Kurses nach sich ziehen kann. Es ist immer am besten, Haus- und Facharbeiten selbst zu erledigen, um den Stoff wirklich zu verstehen und die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können.
Eine ziemlich reflektierte Antwort, findet Bildungsjournalist Füller. Was die Antwort der KI allerdings nicht in Frage stellt: Wie Prüfungen im System Bildung gemacht werden. Das tut allerdings Bildungsjournalist Füller: "Das 'bulimiehafte' Lernen, damit der deutsche Lehrer in der Prüfung seine Note drauf stempelt, hilft Schülern und Schülerinnen nicht." Aber das sei ohnehin die große Frage in der Bildung seit dem Altertum: Wie bringen Lehrer Schüler dazu, aus Eigenmotivation zu lernen?
Was ChatGPT für Lehrer bedeuten kann
Und diese Frage hat mit ChatGPT eine neue Herausforderung: Warum sollten Schülerinnen und Schüler unbeliebte Hausaufgabe nicht einfach von dem KI-Werkzeug beantworten lassen? Bildungsjournalist Füller hat darauf eine plausible Antwort: Weil die Hausaufgabe dann die falsche ist.
Lehrerinnen und Lehrer müssten Aufgabenstellungen neu formulieren. Wenn sich die Antwort einfach von einer Maschine replizieren lässt, sei das der falsche Ansatz. "Eine einfache Aufgabenstellung brauchst du deinen Schülern nicht geben, weil sie die an das Ding abgeben", sagt Füller.
ChatGPT und die gesellschaftlichen Auswirkungen
Füller geht sogar noch einen Schritt weiter: "Die sozialen Auswirkung sind in meinen Augen revolutionär. Jobs werden wegfallen. Ich möchte jetzt zum Beispiel kein Start-up für Nachhilfe sein." Denn Lehrer könnten ihren Schüler ja ChatGPT als Nachhilfelehrer empfehlen und sie darauf achten lassen, dass dieser Nachhilfelehrer nicht immer das Richtige sagt. Und das sei dann sogar ein besonderer Erkenntnisgewinn im Umgang mit so genannter künstlicher Intelligenz: "Die Schüler können dann sogar noch sagen, warum die KI schwindelt, warum er keine Quellen, keine Literaturliste zustande kriegt. Weil er einfach würfelt."
Das Tool ist nämlich vor allem eines: eine große Maschine, um Statistiken auszuwerten und Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "digital leben" zeigt sich das schön an einem Beispiel: Als ChatGPT gefragt wird, wer Reiner Haseloff ist, ist die Antwort zunächst richtig. Allerdings behauptet ChatGPT dann, Haseloff sei vor seiner Politikerkarriere Geschäftsmann und Landwirt gewesen. Bei einem anderen Versuch war Haseloff Landwirtschaftsminister.
ChatGPT auf die Schliche kommen ChatGPT: Anders mit Schülern lernen
Die Statistik, das Muster dahinter ist vermutlich, dass Ministerpräsidenten zuerst Minister waren, dass statistisch gesehen viele Landwirtschaftsminister CDU-Mitglieder und viele CDU-Mitglieder Geschäftsleute oder Landwirte waren. Eine statistisch vielleicht signifikante Schlussfolgerung für eine KI – falsch ist sie trotzdem. Eine solche Fehlerquote weisen Algorithmen immer wieder auf: ob bei Gesichtserkennung, beim autonomen Auto, dass die Plane eines LKWs für ein Verkehrsschild hält oder bei der Rückfallquote von Kriminellen in den USA – aus Daten der Vergangenheit lässt sich die Zukunft nie zu einhundert Prozent vorhersagen.
Ein solches Wissen über KI gehört zu Schule heutzutage dazu, sagt Bildungsjournalist Christian Füller. Und für ihn gehört auch ein lustvolles Ausprobieren solche Werkzeuge in die Schulen.
Wir können einfach sagen: Hey, es macht wahnsinnig viel Spaß, das auszuprobieren. Was kann es? Was kann es nicht? Und in der Schule können Schüler und Lehrer gemeinsam die Grenzen des Tools erkunden und kritische Fragen stellen.
Christian Füller, Bildungsjournalist
Schule soll einen kritischen Umgang mit Quellen schon immer lehren, sagt Füller. "Manche Medienwissenschaftler sagen, in der Schule muss jeder Schüler zu einem kleinen Redakteur gebildet werden." So könnten Schülerinnen und Schüler zu einem Gesamturteil nach humboldtschem Vorbild werden, sagt Füller. "Und das ist doch fantastisch: Dass wir wissen, wir können etwas, was dieses Ding nicht kann, obwohl es so stark ist."
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MDR (Marcel Roth)
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