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Viele Menschen sind einsam und hoffen, über Kontaktanzeigen auf Freunde oder die große Liebe. Bildrechte: imago/suedraumfoto

Der Redakteur | 23.03.2023Partnervermittlungen, die plötzlich keine mehr sind: Was können Betroffene tun?

24. März 2023, 08:21 Uhr

Es beginnt mit einer Anzeige in einem Anzeigenblatt. Ein Uwe stellt sie vor, eine Karin. Beide sind einsam und suchen einen Partner. An's Telefon geht aber eine Agentur, die sich der Sache annimmt. Die Vertreter kommen zum Vertragsabschluss sogar direkt nach Hause. Doch von Partnerschaft ist in den juristisch sehr genau formulierten Verträgen dann aus gutem Grund keine Rede mehr. Aber von sehr viel Geld.

Die Firmennamen sind austauschbar, haben aber eines gemeinsam: Es geht immer um Freundschaft oder Freizeit. Mal haben sie den Treffpunkt im Namen, mal ist es ein Freundschaftskreis, ein Club oder eben "Glück". Die Firmensitze sind über ganz Mitteldeutschland verteilt. Es tauchen Orte auf wie Stendal, Magdeburg, Dresden, Cottbus, Chemnitz, Gera, Suhl, Erfurt oder Halle auf und im Kleingedruckten auffallend häufig ein Server in Zossen, auf dem die Daten gespeichert werden.

Die Vorgehensweise ist auch nicht neu und der Verbraucherzentrale schon seit einigen Jahren bekannt. Genauso wie die Beträge, abhängig von der Anzahl der vermittelten Kontakte oder der Verlängerung der Laufzeit. 2.400 Euro, 3.600 Euro, 4.800 Euro und mehr, zahlbar sofort oder in Raten für die Zusendung der vereinbarten Anzahl von Freizeitkontakten.

Immer wieder legen Verbraucher den Verbraucherschützern Verträge vor, bei denen die Spanne von Preis und Gegenleistung Aufmerksamkeit erregt und die Papiere enthalten, die man besser nicht unterschreibt. Denn sie sind so ausformuliert, dass es schwer ist, selbst mit Hilfe von Gerichten, Zahlungen zu vermeiden. An der Service-Hotline einer der Firmen erklärt die freundliche Dame im breitesten Sächsisch, dass für acht Freundschaftskontakte schon mal 3.600 Euro fällig werden können. Ein Online-Abschluss sei nicht möglich, die Kundenberater kommen aber kundenfreundlich ins Haus.

MDR aktuell hat bei seinen Recherchen Anhaltspunkte dafür gefunden, dass mehrere in Mitteldeutschland ansässige Kontaktvermittlungsagenturen ein Netzwerk bilden.

Wo bleibt hier eigentlich die Liebe?

Ralf Reichertz von der Verbraucherzentrale kennt das Geschäft seit Jahren. Das Geschäft mit den Partnervermittlungen, die plötzlich keine mehr sind. In den Anzeigen ist zwar häufig noch von Partnerschaft und Liebe die Rede, auch am Küchentisch und bei Vertragsabschluss wie Betroffene erzählt haben. Doch dann mutiert in den Verträgen die Liebe zur Freundschaft oder Freizeitspaß.

Dass hier eben nur Freizeit- oder Freundschaftskontakte vermittelt werden, das hat für Ralf Reichertz von der Verbraucherzentrale nur einen einzigen Grund: Wäre es eine echte Partnerschaftsvermittlung, dann könnten die Agenturen ihr Geld schlicht nicht einklagen. Der Paragraf 656 im Bürgerlichen Gesetzbuch ist hier anwendbar, erklärt Reichertz und verweist auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: "Das bedeutet: Forderungen, die ein Partnervermittlungsinstitut geltend machen will, sind nicht einklagbar."

Das bedeutet: Forderungen, die ein Partnervermittlungsinstitut geltend machen will, sind nicht einklagbar.

Ralf Reichertz | Verbraucherzentrale Thüringen

Für den Verbraucher, dem wirklich Partner vermittelt werden sollten, hätte das den Vorteil: Wenn er noch nicht gezahlt hat, können die Institute gerne klagen, werden aber keinen Erfolg haben. Bereits gezahltes Geld ist hingegen weg. Bei Freundschaftskontakten hingegen können die Firmen ihre Ansprüche vor Gericht durchsetzen. Und sie machen das auch, wie Betroffene berichten.

Wie werden die Verträge abgeschlossen?

Nach der eigenen Reaktion auf die Anzeige in der Zeitung, die zum Beispiel telefonisch erfolgt, kommt sehr geschulter Besuch nach Hause. Die Verträge sind gut vorbereitet. Man unterschreibt sogar, dass man über das Widerrufsrecht aufgeklärt wurde.

Alles juristisch auf sicherem Boden. 14 Tage Widerrufsrecht sind es per Gesetz, also kann doch nichts passieren. Doch wie im Fall der Julie Freizeitglück GmbH dürfen die Betroffenen auf einem vorbereiteten Zettel gleich ihrem "Wunsch" Ausdruck verleihen, dass der Vertrag sofort und vor Ablauf der Widerspruchsfrist beginnen soll. Warum auch 14 Tage warten auf den ersten Kontakt?

Damit erlischt das Widerrufsrecht und zwar unter der Voraussetzung, dass die vereinbarte Leistung bereits vollständig erfüllt ist. Auch das steht juristisch vorbildlich auf dem Zettel, dessen Tragweite die Leute aber wohl nicht komplett verinnerlicht haben. Das zeigen die Aussagen gegenüber MDR THÜRINGEN und der Verbraucherzentrale. Ob das bei Gericht anerkannt wird und das Gericht letztlich überhaupt einen Gegenwert sieht, der 3.600 Euro rechtfertigt, das ist dann eine ganz andere Frage.

Laut Ralf Reichertz von der Verbraucherzentrale wäre das ein möglicher Ansatzpunkt für eine Klage. Allerdings kommt es häufig gar nicht dazu, weil die wenigsten Menschen vor Gericht ziehen, die sich durch diese Vorgehensweise hintergangen und abgezockt fühlen. Meistens aus Scham, wenn man erkennt, worauf man sich da eingelassen hat.

Trotzdem waren zwei Betroffene bereit, MDR THÜRINGEN ein Interview zu geben, um andere zu warnen.

Sich ja nicht durch diese Gesprächsführung irreführen zu lassen! (…) Man ist dann so euphorisch, dass man so blöd ist und das alles unterschreibt.

MDR THÜRINGEN-Hörerin, die gerne anonym bleiben möchte | (Name und Kontaktdaten sind der Redaktion bekannt)

Tausende Euro werden so unter "Lehrgeld" verbucht. Alleine die Julie Freizeitglück GmbH hat laut dem MDR vorliegenden Jahresabschluss zum 31. Mai 2022 einen Kassenbestand von rund einer Million Euro und einen Bilanzgewinn von gut einer halben Million Euro ausgewiesen. Bei anderen Firmen sieht es ähnlich aus. Daraus kann man schließen, dass es mittlerweile tausende Menschen sein müssen, die die Liebe gesucht und dann für Freundschafts- oder Freizeitkontakte viel Geld ausgegeben haben.

Ralf Reichertz empfiehlt dringend, besonders in solchen Vertragssituationen niemals mehrere Schriftstücke sozusagen vom Stapel weg hintereinander zu unterschreiben. Viel zu leicht würde einem dann etwas untergeschoben, dessen Folgen man gar nicht sofort abschätzen kann. Und auch anderswo lauern Verbraucherfallen.

Der Unterschied zwischen Überweisung und Sepa-Lastschrift

Am Ende ist es auch nur eine Unterschrift, aber der Unterschied ist gewaltig. Eine erteilte Einzugsermächtigung kann - auch wenn das Geld bereits abgebucht wurde - innerhalb von 8 Wochen widerrufen werden. Dafür reicht es, zur Bank zu gehen.

Anders sieht es aus, wenn einem bei Vertragsabschluss ein Überweisungsauftrag vorgelegt wurde, der den freundlichen Vertreter ermächtigt, diese Überweisung bei der Bank des Geprellten einzureichen. Die Warnung der Verbraucherzentrale: Auf diese Art überwiesenes Geld ist weg, es sei denn ein Gericht befindet am Ende darüber, dass das alles rechtswidrig war. Direkte Zahlungen am Küchentisch mit der EC-Karte oder bar sind auch schwer wieder rückgängig zu machen. Und von diesen Sofortzahlungen erzählen viele Betroffene.

Die Drohung mit dem Gerichtsvollzieher

Es gehört zu den Drohgebärden zweifelhafter Dienstleistungsanbieter, schnell mit dem Gerichtsvollzieher zu drohen. Im Ergebnis zahlen Verbraucher lieber, als Gefahr zu laufen, dass plötzlich und unerwartet jemand mit dem Kuckuck vor der Tür steht. Doch so schnell geht das nicht. Um jemandem einen Gerichtsvollzieher ins Haus zu schicken, brauche es einen sogenannten Titel, der vollstreckbar ist, sagt Ralf Reichertz.

Der Ablauf ist folgendermaßen: Wenn gegen einen Mahnbescheid nicht fristgemäß Widerspruch eingelegt wird, dann erlässt das Gericht einen Vollstreckungsbescheid. Und wenn gegen den Vollstreckungsbescheid nicht fristgemäß Einspruch eingelegt wird, dann wird er zum vollstreckbaren Titel. Denn eines ist auch klar: Die Verträge sind juristisch wasserdicht und jeder Verbraucher, der ungelesen und unverstanden irgendwas unterschreibt, sollte sich über die Konsequenzen im Klaren sein.

Statt Partnern werden "Freundschaften" oder "Freizeitgestlatungen" vermittelt. Bildrechte: IMAGO / Shotshop

Die Falle "Einschreiben mit Rückschein"

Betroffene, die sich an MDR THÜRINGEN gewandt haben, erzählen von Verträgen, die sich jährlich verlängern. Das heißt: Wer nicht rechtzeitig kündigt, zahlt ein weiteres Jahr für die monatlichen Freundschaftskontakte. Das in gutem Glauben abgeschickte Kündigungsschreiben, verbunden mit der Bitte um Einstellung der Zusendung von Freizeitkontakten, kann aber zu wenig sein, wie eine Betroffene leidvoll erfahren musste.

Zwar wurden die Kontaktzusendungen eingestellt und es war dann zwei Jahre ruhig an der Front, aber das war eine trügerische Ruhe. Die betreffende Agentur stellte sich einfach auf den Standpunkt, die Kündigung sei nicht eingegangen und der Vertrag habe sich fröhlich verlängert, und machte dann auf einen Schlag die Gesamtforderung geltend.

Deshalb: Für Kündigung oder Widerruf stets einen Nachweis einfordern oder selbst für einen solchen Nachweis sorgen. Es klingt nach der besten Lösung, dies durch ein Einschreiben mit Rückschein zu erreichen. Dann hat man etwas in der Hand. Doch es gebe leider Anbieter, die schlicht keine Post entgegennehmen, sagt Ralf Reichertz von der Verbraucherzentrale. Wenn der Postbote klingelt, wird niemals jemand die Tür öffnen, demzufolge wird dieses Einschreiben auch nicht zugestellt werden und damit ist auch die Bedingung des nachgewiesenen Zugangs nicht erfüllt. Und irgendwann ist die 14-tägige Widerrufsfrist abgelaufen.

Die Verbraucherzentrale rät deshalb dazu, möglichst alle verfügbaren Wege gleichzeitig zu nutzen, also das Schreiben per Mail, Fax und per Einwurf-Einschreiben zu schicken. Es würde im Falle eines Falles vor Gericht wenig glaubwürdig erscheinen, wenn die Gegenseite behauptet, derart vom Pech verfolgt zu werden, dass nun gleich gar keines dieser Schreiben eingetroffen ist. Beim Einwurf-Einschreiben gibt es zudem - wie beim Paket auch - eine Sendungsverfolgungsnummer. Wenn man diese dann online eingibt, dann kann man sich vom Zeitpunkt des Zustellens sogar einen Screenshot machen.

Wohin sollen sich Betroffene wenden?

An die Verbraucherzentrale. Ohne Scham und Umwege. Auch die nächste Polizeidienststelle ist ein sehr guter Anlaufpunkt. Sie sind nicht alleine mit dem Problem, die Zahl der Betroffenen ist groß und wird täglich größer. Denn die Lockanzeigen sind täglich in den Zeitungen. Der finanzielle Verlust bei den Betroffenen ist nur die eine Seite. Dass das persönliche Drama plötzlich im Radio thematisiert wurde, war für viele wie eine Befreiung.

Heute habe ich das zufällig im Radio gehört und gedacht: Bin ich nicht die Einzige, die sie über den Tisch gezogen haben?

MDR THÜRINGEN Hörerin, die gerne anonym bleiben möchte | Name und Kontaktdaten sind der Redaktion bekannt

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MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 23. März 2023 | 16:40 Uhr