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Häufig werden Kavaliersdelikte mit Bagatelltaten gleichgesetzt. Aber auch ein scheinbar kleinerer Verstoß kann schon schwerwiegende Folgen haben. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arne Dedert

StrafrechtNur ein Kavaliersdelikt oder schon eine Straftat?

16. März 2023, 17:00 Uhr

Das ist doch nicht weiter schlimm und machen doch alle! Aber sind solche vermeintlichen Kavaliersdelikte wirklich so harmlos? Was ist erlaubt und welche Strafen drohen? Kann mein Chef mir wirklich kündigen, nur weil ich einen Stift und etwas Papier eingesteckt habe? Welche Strafe droht beim Fahren ohne Fahrschein und welche beim illegalen Streamen von Filmen im Internet? Rechtsexperte Gilbert Häfner erklärt den Unterschied zwischen Kavaliers- und Bagatelldelikten.

Woher kommt eigentlich der Begriff Kavaliersdelikt?

Unter Kavaliersdelikten verstand man früher Vergehen von Adligen (ital. cavaliere = Ritter), für die Gesetze nicht galten. Heute bezeichnet man mit dem Begriff Taten, die zwar verboten sind, gemeinhin aber als moralisch nicht sonderlich verwerflich angesehen und daher von einer Vielzahl von Menschen hin und wieder begangen werden.

Häufig werden Kavaliersdelikte mit Bagatelltaten gleichgesetzt, die wegen ihrer vermeintlich geringen schädlichen Auswirkungen auf die Allgemeinheit als "lässliche Sünden" angesehen werden (z. B. Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, Fahrerflucht, Versicherungsbetrug, Steuerhinterziehung).

Dabei wird aber übersehen, dass zum einen auch ein scheinbar kleinerer Verstoß, etwa gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr, schwerwiegende Folgen haben und zum anderen die massenhafte Begehung geringfügiger Delikte (z. B. Falschangaben bei der Einkommenssteuererklärung) in der Summe zu großen volkswirtschaftlichen Schäden führen kann.

Darf der Arbeitgeber wirklich fristlos kündigen, wenn man von der Arbeitsstelle einen Gegenstand von geringem Wert "mitgehen lässt"?

Strafbare Handlungen, insbesondere Vermögensdelikte, die sich gegen den Arbeitgeber richten, stellen nach der Rechtssprechung der Arbeitsgerichte in der Regel einen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar (§ 626 BGB).

as gilt grundsätzlich auch für den Diebstahl geringwertiger Sachen. Allerdings ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Es kommt hier maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalles an. Daher kann auch bei Delikten, die – wie Diebstähle – das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer berühren, unter Umständen eine vorherige Abmahnung erforderlich sein, wenn der Vermögensschaden im Bagatellbereich (wenige Euro) liegt, das Arbeitsverhältnis bereits mehrere Jahre beanstandungsfrei bestand und der Diebstahl als einmaliger Ausrutscher anzusehen ist (so das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10.06.2010 im sogenannten "Emmely-Fall").

Eine vorherige Abmahnung kann auch dann erforderlich sein, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Tun sei nicht vertragswidrig oder werde zumindest vom Arbeitgeber nicht als beträchtliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen. Dies wurde von der Rechtsprechung angenommen bei Verzehr von Lebensmitteln in einem Pflegeheim, die zum Wegwerfen bestimmt waren ("Maultaschen-Fall").

In den meisten Fällen – wenn der Vermögensschaden im Bagatellbereich (wenige Euro) liegt – muss der Arbeitgeber abmahnen, bevor er eine Kündigung ausspricht. Bildrechte: imago images/Westend61

Macht man sich strafbar, wenn man einen auf der Straße gefundenen 50-Euro-Schein einfach einsteckt?

Wer eine Sache findet, deren Eigentümer er nicht kennt, ist verpflichtet, unverzüglich die zuständige Behörde (in der Regel die Gemeinde) zu verständigen und die Fundsache dort abzuliefern. Das gilt auch für Bargeld. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn der Wert der gefundenen Sache unter zehn Euro liegt.

Unterlässt der Finder die Anzeige und behält die Fundsache statt sie abzuliefern, begeht er eine Unterschlagung (§ 246 StGB). Der Regelstrafrahmen für eine derartige Tat sieht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Die Unterschlagung geringwertiger Sachen wird allerdings – sofern die Staatsanwaltschaft nicht ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht – nur auf Antrag des Geschädigten verfolgt. Die Grenze der Geringwertigkeit wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich gezogen: Während manche Gerichte sie bei 50 Euro ansetzen, stellen andere auf den Wert von 30 Euro ab. Die Unterschlagung eines 50-Euro-Scheines würde also die Gefahr strafrechtlicher Ermittlungen begründen.

Nur wer Geld im Wert von unter zehn Euro findet, darf es behalten. Bildrechte: imago images / Panthermedia

Kann man wegen Fahrens ohne Fahrschein im öffentlichen Personennahverkehr ins Gefängnis kommen?

Das Fahren ohne Fahrschein ist als "Erschleichen von Leistungen" in § 265a StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht. Freilich wird ein einmaliges Vergehen im öffentlichen Personennahverkehr, weil dort das Ticket geringwertig ist, grundsätzlich nur auf Antrag des Verkehrsunternehmens strafrechtlich verfolgt.

Selbst wenn ein solcher Antrag gestellt ist, wird die Staatsanwaltschaft erst im Wiederholungsfall auf Verhängung einer Strafe, und zwar zunächst einer Geldstrafe plädieren. Wer diese allerdings nicht bezahlen kann und auch nicht willens oder in der Lage ist, sie durch gemeinnützige Arbeit abzuleisten, muss die Geldstrafe im Wege einer Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis "absitzen".

Welche Folgen drohen demjenigen, der seine Haushaltshilfe "schwarz" beschäftigt?

Wer als Arbeitgeber Dienstleistungen ausführen lässt, ohne die sich daraus ergebenden steuerlichen Pflichten oder sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten zu erfüllen, macht sich strafbar. Steuerhinterziehung ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht. Entsprechendes gilt für das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen.

Erleidet die "schwarz" arbeitende Haushaltshilfe einen Arbeits- oder Wegeunfall, kommt zwar für ihre Behandlungskosten die gesetzliche Unfallversicherung auf. Der Arbeitgeber muss aber damit rechnen, dass er vom Versicherungsträger wegen seiner diesbezüglichen Aufwendungen in Regress genommen wird.

Wer als Arbeitgeber eine Putzhilfe beschäftigt, ohne die sich daraus ergebenden sozialversicherungsrechtlichen Melde- oder Beitragspflichten zu erfüllen, macht sich strafbar. Bildrechte: imago/Jochen Tack

Sind das Anschauen von Filmen auf Filmportalen sowie das Einstellen und Herunterladen von Musiktiteln bei so genannten Musiktauschbörsen im Internet strafbar?

Durch das Einstellen von Filmen und Musiktiteln ins Internet wird die Kopie öffentlich, also einer unbegrenzten Zahl von Personen zugänglich gemacht, was nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) nur mit dem Einverständnis des Rechteinhabers erlaubt ist. Liegt dieses nicht vor, ist auch das Herunterladen ("downloaden") solcher Werke zu privaten Zwecken verboten, wenn die Vorlage "offensichtlich rechtswidrig" angeboten wird. Von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit kann grundsätzlich ausgegangen werden, wenn der Film gerade erst oder noch nicht einmal in die Kinos gekommen oder der Musiktitel in den aktuellen Charts platziert ist.

Unter die gleichen Voraussetzungen wie das Herunterladen fällt auch das so genannte Streaming, also die bloße Übertragung eines Datenstroms mit lediglich kurzzeitiger Zwischenspeicherung im Cache der Festplatte, unter das Vervielfältigungsverbot des Urheberrechtsgesetzes.

Welche Strafe riskiert man, wenn man bei Rot über die Straße geht?

Wer bei Rotlicht die Straße überquert, gefährdet sich und unter Umständen auch andere Verkehrsteilnehmer; ganz abgesehen davon, dass ein solches Verhalten kein gutes Beispiel für Kinder darstellt. Als Fußgänger muss man mit einem Bußgeld von fünf Euro rechnen, kommt es zu einem Unfall, erhöht es sich auf zehn Euro. Deutlich teurer wird es für Radfahrer; hier liegen die Bußgelder bei 60 bis 180 Euro. Zusätzlich gibt es einen Punkt in Flensburg.

Fahrradfahrer werden bei Rotlichtverstößen stärker als Fußgänger zur Kasse gebeten. Bildrechte: IMAGO / Stefan Noebel-Heise

Können Eltern, die ihre Kinder schlagen, bestraft werden?

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB). Daher ist u.a. eine körperliche Bestrafung ("Züchtigung"), etwa durch Prügel, aber auch durch Ohrfeigen oder Klapse, verboten. Eine derartige Maßnahme ist als Körperverletzung nach § 223 StGB grundsätzlich strafbar. Insoweit droht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Wer sich zur Züchtigung eines gefährlichen Werkzeugs, etwa eines Rohrstocks bedient, muss gar mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren rechnen (§ 224 StGB).

Voraussetzung für ein Tätigwerden des Staatsanwaltes ist allerdings bei einfachen Körperverletzungen, also Schlägen mit der bloßen Hand, in der Regel ein Strafantrag des Geschädigten. Von Amts wegen verfolgen die Behörden derartige Delikte nur, wenn ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Das ist etwa dann der Fall, wenn es zu einer erheblichen Verletzung gekommen ist oder gar eine Kindesmisshandlung vorliegt.

Unser Experte

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 16. März 2023 | 17:00 Uhr