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Das Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig - dank der aktuellen Strompreise fährt Betreiber LEAG aktuell Rekordgewinne ein. Bildrechte: IMAGO/Dirk Sattler

EnergieStrompreiskrise: Welche Lösungsideen Wissenschaftler haben und warum sie nicht perfekt sind

14. September 2022, 16:10 Uhr

Die explodierenden Strom- und Gaspreise werden zur existenziellen Bedrohung für Verbraucher und Unternehmen in Europa. Schnelle Lösungen sind gefragt, doch jede davon wird weitere Probleme bringen, sagen Experten.

Durch Klimakrise, Krieg und versäumte Investitionen: In Europa explodieren neben den Gas- nun auch die Strompreise. Manche Politiker glauben auf Basis einer arg vereinfachten Version der Nachfrage-Angebots-Gleichung: So viel Strom wie möglich herstellen und einspeisen, dann sinkt auch der Strompreis wieder. Der echte Strommarkt ist allerdings deutlich komplexer. Forschende und Wissenschaftlerinnen haben daher andere Vorschläge, wie die aktuell extrem hohen Strompreise abgemildert und für die Bevölkerungen Europas halbwegs tragbar gemacht werden können.

Strompreis: Gaskrise, Klimakrise und französische Atomkrise

Grund für die hohen Preise ist eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Da ist einerseits die Krise der französischen Atomkraft. Mehr als die Hälfte der über 50 französischen Meiler steht aktuell still. Einerseits, weil sich an vielen Jahrzehnte alten Reaktoren gefährliche Schäden aufgetan haben, die zunächst repariert werden müssen. Andererseits, weil der heiße und trockene Sommer zu Niedrigwasser in französischen Flüssen und damit zu einem Kühlwassermangel für die Kraftwerke geführt hat. (Das Niedrigwasser legt zugleich auch viele Wasserkraftwerke in Europa lahm).

Deshalb hat Frankreich anders als in den vergangenen Jahren im Sommer kaum Strom exportiert und wurde umgekehrt zum Importeur. Um das Defizit auszugleichen wurden in Deutschland alle schnell verfügbaren Erzeugungskapazitäten angefahren, darunter auch viele Gaskraftwerke. Dort sind aber die Erzeugungspreise in Folge von Sanktionen gegen Russland und dessen im Gegenzug verhängten Gaslieferstopp extrem hoch. Und weil an der Strombörse das Prinzip "Merit Order" gilt, wodurch das teuerste Kraftwerk den Preis für alle Kraftwerke bestimmt, sind die Strompreise aktuell auf einem Rekordniveau.

Günstige Windkraft wird ausgeschaltet – teure Gaskraft hochgefahren

Hinzu kommen weitere Probleme des Strommarkts. Beispielsweise sind die Gebiete, in denen ein bestimmter Strompreis gilt, nicht immer deckungsgleich mit dem Stromangebot. So gehören Deutschland und Luxemburg zu einem Preisgebiet. Aber weil der Ausbau des Stromnetzes nicht wie geplant vorangekommen ist, kann es passieren, dass es an windigen Tagen im Norden ausreichend Strom gibt, im Süden der Preiszone aber nicht. Trotzdem sinke der Preis und schaffe so einen falschen Anreiz, erläutert Martin Weibelzahl, Fachbereichsleiter am Kernkompetenzzentrum Finanz- und Informationsmanagement am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik in Bayreuth.

Das führe zu absurden Konsequenzen, sagt Weibelzahl. "Zur Gewährleistung der Netzstabilität müssen Windenergieanlagen im Norden abgeregelt und oftmals alte, ineffiziente Kraftwerke im Süden zum Ausgleich hochgefahren werden. Das nennt man Redispatch. Dies führt zu extrem hohen Kosten und gleichzeitig zu unnötigen CO2-Emissionen."

Kurzfristig sei dieses Problem nur über kleinere Preiszonen, sozusagen lokale Strompreise zu lösen, glaubt er. Regionen, die großzügig Flächen für erneuerbare Energien ausgewiesen hätten, würden von niedrigen Preisen profitieren. Für Regionen, in denen das genau wie der Netzausbau verschlafen worden sei, werde durch lokale Strompreise ein Anreiz geschaffen, umzusteuern. Dadurch würden Kosten für unsere Wirtschaft und Gesellschaft reduziert, durch unser aktuell ineffizientes Marktdesign unnötig verursachte CO2-Emissionen verringert und die Abhängigkeiten von russischem Gas weiter abgebaut, glaubt Weibelzahl.

Abschöpfen von Zufallsgewinnen könnten auch Investitionen in Erneuerbare gefährden

Da solche Baumaßnahmen aber viel Zeit benötigen und auch die Regelung des Strommarkts nicht auf die Schnelle neu verhandelt werden kann, denken viele Regierungen aktuell über die Subvention von Strompreisen für Verbraucher nach. Die Idee: Sogenannte Zufallsgewinne von Stromerzeugern – etwa für die Einspeisung von günstigem Solarstrom zum Preis von extrem teurem Gasstrom – sollen abgeschöpft und an die Haushalte weitergegeben werden.

Bei dieser Abschöpfung sollte die Politik aber nicht die Spielräume von Unternehmen einschränken, das Problem durch Investitionen zu lösen, sagt Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. "Es wäre sinnvoll, dass nur solche Zufallsgewinne besteuert werden, die nicht in Zukunftsinvestitionen fließen sollen."

Eine Deckelung des Strompreises könnte Anreize zur Verschwendung bieten

Was die Entlastung von Verbrauchern angeht, wird derzeit auch ein Preisdeckel für Strom diskutiert, wie ihn verschiedene europäische Regierungen bereits beschlossen haben. Lion Hirth, Professor für Energiepolitik an der Hertie School in Berlin, hält diesen Eingriff für potenziell gefährlich. "Energiesparen muss sich weiter finanziell lohnen. Wir müssen die Spar-Anreize erhalten oder im besten Fall noch verstärken." Würde der Preis zu niedrig angesetzt, sei das eine Einladung zur Energieverschwendung auf Staatskosten. "Außerdem gefährdet das die Stabilität der Stromnetze, weil Menschen von Gas- auf Stromheizungen ausweichen könnten."

Auch Claudia Kemfert warnt: "Eine Deckelung des Strompreises kann die Krise verstärken, indem der Stromverbrauch subventioniert wird. Es gäbe unzureichende Anreize zum Stromsparen. Besser wäre, das Stromsparen zu subventionieren, und betroffene Haushalte und Unternehmen direkt zu entlasten. Nicht Preise müssen gedeckelt werden, sondern Kosten."

Praktisch nicht gerecht zu ermitteln: Der durchschnittliche Stromverbrauch von Haushalten

Andere Experten sehen hier aber Möglichkeiten, einen Kompromiss zu finden. So könnte eine Menge Strom definiert werden, die als Grundbedarf eines jeden Haushalts gilt, beziehungsweise der Zahl der Personen, die in ihm wohnen. Wer mehr als diese Menge verbraucht, muss das teuer bezahlen. So bliebe ein Anreiz zum Stromsparen vorhanden, zugleich würden die Stromversorger ausreichend bezahlt, argumentiert Professor Erik Gawel, Direktor des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement ab der Universität Leipzig.

Allerdings gebe es dabei auch viele Fragen zu beantworten. "Die auszuwählende Reichweite wirft aber schwierige Gestaltungsfragen auf: Sollen auch Unternehmen entlastet werden? Auch Spitzenverdiener? Auch Zweit- und Drittwohnungen?" Auch wie die Höhe Basisbedarfs bemessen werde, sei nicht leicht zu klären. "Pro Kopf? Nach historischem Verbrauch? Pro Haushalt?", fragt sich Gawel.

Schnelle Lösungen sind jetzt gefragt – Schnelligkeit verhindert aber Gerechtigkeit

Stromanbieter wüssten meist nicht, wie viele Personen in einem Haushalt wohnen. Werde der vergangene Stromverbrauch zu Grunde gelegt, würden Stromverschwender belohnt, bisher sparsame Kunden aber bestraft. Gawel und andere Experten fürchten, dass es in der Kürze der Zeit kein Modell geben wird, dass unter allen Gesichtspunkten gerecht ist.

Der Zielkonflikt zwischen Schnelligkeit und Einfachheit einerseits und ausgefeilter Berücksichtigung des 'wahren Entlastungs-Bedarfs' andererseits – vergleichbar mit der Kritik an der Energie-Pauschale von 300 Euro brutto für zunächst jeden Arbeitnehmer – müsse gelöst und politisch vertreten werden, sagt der Leipziger Ressourcen-Experte Gawel.

Hier kommt vermutlich ein einfaches und informationsschlankes, aber nicht vollendet gerechtes Modell in Frage.

Prof. Dr. Erik Gawel, Leiter des Departments Ökonomie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), und Direktor des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig

Unterstützung sollte Anreize für Klimatechnologien nicht zunichtemachen

Auch Felix Christian Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik in der Abteilung Energie und Klimaschutz am Öko-Institut, hält fehlerhafte Effekte von schnellen Lösungen für nahezu unvermeidlich. "Alle der sinnvoll umsetzbaren Modelle sind administrativ beziehungsweise regulatorisch anspruchsvoll. Wenn es um schnelles Handeln geht, wird das aus der regulatorischen beziehungsweise administrativen Perspektive schnellstmöglich umsetzbare Modell den Vorzug bekommen müssen, auch um den Preis von Mitnahmeeffekten oder Ungerechtigkeiten."

Er hofft, dass durch Maßnahmen zur Unterstützung von Haushalten und der Wirtschaft sinnvolle Anreize nicht verloren gehen. "Es wird jedoch in jedem Fall darauf zu achten sein, dass der Hochlauf neuer Klimaschutztechnologien wie elektrische Fahrzeuge oder Wärmepumpen durch Basisverbrauchsmodelle nicht ausgebremst wird."

(ens/smc)

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