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Inflation und GaspreiseGestiegene Preise: Wenn es fast nur noch für Lebensmittel reicht

02. September 2022, 05:00 Uhr

Im Sozialkaufhaus kauft ein, wer wenig hat – und das werden mehr. Dafür sorgen die gestiegenen Preise. Für einige Menschen mit geringem Einkommen sind allein die erhöhten Kosten für Lebensmittel enorm belastend. Dabei sei die Spitze der Krise noch gar nicht erreicht, sagt eine Expertin. Und rund 40 Prozent der Haushalte hätten keine Rücklagen oder Ersparnisse.

Möbel, Fernseher, Herd oder Kleidung: Im Sozialkaufhaus gehen die Menschen einkaufen, die knapp bei Kasse sind – und das werden immer mehr. Etwa in Halle-Neustadt, dort wohnen rund 50.000 Menschen. Die Arbeitslosenquote lag Ende vergangenen Jahres bei etwa 18 Prozent. Es ist ein Stadtteil mit vielen einkommensschwachen Haushalten. Das Sozialkaufhaus ist für sie eine günstige Anlaufstelle.

Madlen L. wohnt in einem der Plattenbauten, die in der Nachbarschaft um das flache Gebäude mit den günstigen Geräten und Möbeln stehen. Die junge Frau ist zum zweiten Mal im Sozialkaufhaus und sucht dieses Mal ein Bett für ihren Sohn. "Es sollte natürlich preislich im Rahmen liegen", sagt Madlen L. Ihr Limit liege bei 150 Euro. "Das ist top. Da kriegste es Dicke", sagt Filialleiterin Gabriela Crell.

Das Geschäft ist privat geführt und finanziert sich ausschließlich durch Spenderware. Gabriela Crell sagt: Der Andrang habe in den letzten zwei Monaten stark zugenommen. Jeder ist willkommen, losgelöst von der Einkommenshöhe. Auch viele ukrainische Flüchtlinge sind dabei. Wer sich etwas nicht leisten kann, bekommt meist einen Nachlass.

Alleinerziehende Mutter sucht Bett für Sohn

Madlen L. ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Bei einer Zeitarbeitsfirma verdient sie den – dafür festgelegten – tariflichen Mindestlohn von 10,88 Euro. Die gestiegenen Preise belasten die kleine Familie stark: "Mittlerweile kostet das Mittagessen pro Portion 4,20 Euro. Das ist heftig." Ihre monatlichen Nebenkosten habe sie vorsorglich um 20 Euro erhöht. Die geplante Energiepauschale in Höhe von 300 Euro sei für sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. 

"Man kann halt nicht mehr so hantieren wie früher. Gerade Lebensmittel. Man hat zwei Tüten. Die haben früher vielleicht 50 Euro gekostet. Wenn ich da schon bei 80 Euro liege", berichtet Madlen L. aus ihrem Alltag. Auf den Monat hochgerechnet seien die Belastungen enorm. Hinzu komme, dass ihre Kinder Sachen und Schuhe benötigen. "Das ist dann schon erheblich."

Expertin: Preisschocks intensiver als in den siebziger Jahren

Die individuelle Belastung zeigt sich auch an den nüchternen Zahlen: Nahrungsmittel sind im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich um 14,8 Prozent teurer geworden. Allein bei Butter beträgt die Preissteigerung fast 50 Prozent. Hinzu kommt der Anstieg bei den Energiekosten: um 35,7 Prozent. Für Erdgas inklusive Umlage zahlen Kunden 52 Prozent mehr als vor einem Jahr.

"Die aktuelle Krise ist besonders, weil die Preisschocks so vielfältig sind und so breit gestreut", sagt Dr. Silke Tober vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Öl-, Gas- und auch die Nahrungsmittelpreise seien deutlich gestiegen. "Das ist zumindest von den Preisschocks her intensiver als in den siebziger Jahren und einmalig in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg." Darunter würden natürlich insbesondere Menschen mit geringen Einkommen leiden.

Auswirkungen der Krise erst am Anfang?

"Das betrifft ungefähr 40 Prozent der Haushalte, die gar keine Ersparnisse jeden Monat haben", so die Wirtschaftswissenschaftlerin Silke Tober. Dort gebe es keinen finanziellen Spielraum, um Preissteigerungen aufzufangen. "Das heißt, diese Haushalte müssen tatsächlich ihren Konsum einschränken." Diese Gruppe bräuchte aus ihrer Sicht zukünftig weitere Hilfen – zum Beispiel in Form von Einmalzahlungen.

Denn aus Sicht der Expertin stehe man erst am Anfang: "Wir sind noch nicht in der Mitte der Krise. Sondern wir stehen quasi von den Auswirkungen her noch am Anfang." Der Großteil der Preissteigerungen komme erst noch. "Das heißt, wir werden voraussichtlich Inflationsraten in der Nähe von zehn Prozent im Herbst und Winter haben." Die vollen Steigerungen der Gaspreise, die sich an den Börsen bereits abzeichneten, würden die Verbraucher erst in einiger Zeit zu spüren bekommen.

Leiterin Sozialkaufhaus: Statt Kleidung etwas Ordentliches im Kühlschrank

Immerhin: Im Sozialkaufhaus konnte Gabriela Crell tatsächlich ein passendes Bett für den Sohn von Madlen L. finden. Kosten: 149 Euro – inklusive Matratze und Lieferung. "Also, wenn das heute noch [geliefert wird], dann wärt ihr meine Engel", sagt Madlen L. und strahlt. "Kein Problem", sagt Gabriela Crell und hat wieder eine Kundin glücklich machen können.

Früher war sie bei der Fluggastkontrolle tätig. 2014 folgte der Wechsel ins Sozialkaufhaus. Sie ist festangestellt, verdient 10,45 Euro Mindestlohn. Ihr Mann bekommt auf Grund eines Arbeitsunfalls eine Erwerbsunfähigkeitsrente. "Wenn man sich etwas leisten möchte, einen Urlaub oder so, muss ich mir das schon zusammensparen. Es ist sportlich, sage ich immer."

Strom und Nebenkosten hätten ihre monatlichen Ausgaben um 65 Euro gesteigert. Wie ihre Kunden auch, muss sie sich in einigen Dingen einschränken. So schränke sich Gabriela Crell etwa beim Kauf von Kleidung ein und stelle dies nach hinten: "Brauchst du jetzt nicht, schiebst du weg. Damit ich dann lieber etwas Ordentliches im Kühlschrank habe."

Quelle: MDR exakt/ mpö

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 31. August 2022 | 20:15 Uhr

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